1899 Hoffenheim nach der Niederlage beim BVB

"Sehschwäche" im Kampfgetümmel

Hoffenheim fühlte sich beim hitzigen 2:1 für Borussia Dortmund von Schiedsrichter Felix Brych benachteiligt

07.05.2017 UPDATE: 08.05.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 57 Sekunden

Unmut, Frust und permanente Diskussionen: Hoffenheims Rudy (v.l.n.r.), Baumann, Hübner, Vogt und Süle beim kollektiven Protestmarsch gegen Referee Brych. Foto: Imago

Von Joachim Klaehn

Dortmund. Während Thomas Tuchel nach einem kurzen Plausch mit Julian Nagelsmann den Presseraum verließ, bildete der TSG-Cheftrainer neben dem Podium gemeinsam mit einem Dutzend Journalisten eine Talkrunde.

Hintergrund

Die Einzelkritik

Baumann: Hoher Frustfaktor in der Mixed Zone. Kein Wunder. Am Torwart lag es am Allerwenigsten, dass die Punkte in Dortmund geblieben sind.

Süle: Gegen die pfeilschnellen BVB-Angreifer ohne

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Die Einzelkritik

Baumann: Hoher Frustfaktor in der Mixed Zone. Kein Wunder. Am Torwart lag es am Allerwenigsten, dass die Punkte in Dortmund geblieben sind.

Süle: Gegen die pfeilschnellen BVB-Angreifer ohne Patzer. Mehr nicht.

Vogt: Laut Nagelsmann nicht mit gewohnter Passquote. Durchschnitt.

Hübner: Musste raus. Richtig, weil ihn Brych wohl vom Feld gestellt hätte.

Kaderabek: Kein Dampf im tschechischen Kessel. Einer der Schwächeren.

Zuber: Besser als sein Gegenüber Kaderabek. War nicht allzu schwer.

Rudy: In München muss bald mehr kommen. Wird es.

Demirbay: Giftig. Laufstark wie immer.

Kramaric: Wurde fälschlicherweise zurück gepfiffen. Tat sich schwer.

Uth: Durfte von Beginn an ran. Gab aber kein Empfehlungsschreiben ab.

Wagner: Eine Kopfballchance. Kein Brandherd.

Toljan: Eine halbe Stunde lang unauffällig.Kein Flankengott.

Amiri: Ohne entscheidende Akzente.

Szalai: Wollte gegen seinen Mainzer Ex-Coach was reißen. Schaffte er nicht. awi

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Es gab nach diesem vermeintlichen "Endspiel" um die direkte Champions-League-Qualifikation, das Borussia Dortmund mit 2:1 (1:0) gegen "Hoffe" gewann, viel zu besprechen. Nagelsmann war eine knappe Stunde nach dem Abpfiff wieder emotional runtergekommen, nachdem er sich im Fernsehen über den vierten Offiziellen aufgeregt hatte. "Es tut mir leid, dass ich dies bei Sky so dargestellt habe", entschuldigte sich Nagelsmann angesichts eines weiteren klärenden Dialogs mit Frank Willenborg.

Der Spielverderber blieb freilich Schiedsrichter Felix Brych. Der Münchner ist promovierter Jurist und er lag in seinem 231. Bundesliga-Spiel mit den Bewertungen von mehreren entscheidenden Situationen daneben. "Schiri ist auch ein Scheiß-Job!", sagte Nagelsmann in kleiner Runde. "Die mag ja keiner. Entweder hasst sie heute Dortmund oder wir." Der 29-Jährige schmunzelte dabei dezent, im gleichen Moment wurde ihm die Tragweite seiner Worte bewusst. Ein Plädoyer für den Videobeweis schien angemessen: Erst dann falle der große Druck für die Referees weg.

TSG-Manager Alexander Rosen war nicht weniger sauer über Brych und Kollegen. Als er in der engen Mixed Zone an der schreibenden Zunft vorbeistapfte, um vor Kameras zu treten, rief er diesen schelmisch zu: "Macht euch schon mal warm. Ich komme gleich und bin gut drauf."

Die ironisch gemeinte Ankündigung stellte einen deutlichen Duktus in Aussicht. Etwas später hielt Rosen sein Versprechen: "Was in den ersten 45 Minuten passiert ist, hat jeder im Stadion gesehen. Da gibt es keine zwei Meinungen. Ich habe in der Halbzeit noch überlegt, ein Loch ins Tornetz zu schneiden, dass er uns da noch einen reinpfeift." Eine süffisante Anspielung auf das von Brych gegebene Phantomtor von Sinsheim (18. Oktober 2013), als der Leverkusener Stefan Kießling einen irregulären Treffer via Außennetz erzielt und die TSG letztlich mit 1:2 verloren hatte.

Im ausverkauften Dortmunder "Kessel", vor 81.360 Zuschauern, brodelte es von Anfang an heftig. Nach 43 Sekunden wurden in der Südkurve mit unfassbarer Lautstärke die ersten Schmähgesänge ("Dietmar, du Sohn einer Hure") gebrüllt, ein Transparent ("Nagelsmann: Peinliche Schmähgesänge? Peinlich, dass ihr trotz Europa vor leeren Rängen spielt!") verriet, wie sehr die BVB-Anhänger den sportlichen Erfolg der TSG missbilligen.

Diese aufgeheizte Atmosphäre übertrug sich aufs Feld. Die Hoffenheimer Spieler, aber auch Brych, der mitunter nicht durch Unauffälligkeit glänzt, sondern zur Selbstdarstellung neigt, ließen sich beeindrucken. Dem 1:0 von Marco Reus (4.) ging eine klare Abseitsstellung des Stürmers voraus, der Elfmeter (14.), den Pierre-Emerick Aubameyang verschoss, war eine hanebüchene Entscheidung im doppelten Sinne, denn Reus nahm das Rund mit ausgestreckten Oberarm auf und Pavel Kaderabek machte keinerlei aktive Bewegung mit dem Arm zum Ball.

Hintergrund

Stimmen zum Spiel

Julian Nagelsmann, TSG-Trainer: "Wir haben ein mutiges Auswärtsspiel gemacht. Man hat gesehen, dass wir gewinnen wollten. Allerdings hatten wir vorne keine Präsenz." (...) "Ich würde mir wünschen, dass der vierte

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Stimmen zum Spiel

Julian Nagelsmann, TSG-Trainer: "Wir haben ein mutiges Auswärtsspiel gemacht. Man hat gesehen, dass wir gewinnen wollten. Allerdings hatten wir vorne keine Präsenz." (...) "Ich würde mir wünschen, dass der vierte Offizielle den Schiedsrichter unterstützt und nicht nur die Trainer einfängt."

Tomas Tuchel, BVB-Trainer: "Gestern haben wir noch mit Schal und Wollmütze auf dem Trainingsplatz gestanden. Heute war es plötzlich sehr heiß. Das ist nicht einfach. Wir haben eine herausragende Verteidigungsleistung gebracht. Der Geist, den wir gezeigt haben, ist bemerkenswert." (...) "Für das Interview von Herrn Watzke habe ich vor dem Spiel keine Energie aufgebracht. Das bleibt auch jetzt so."

Alexander Rosen, TSG-Manager: "Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft - und das zum 32. Mal in dieser Saison. Wir sind sehr stabil und selbstbewusst aufgetreten."

Sebastian Rudy, TSG-Kapitän: "Zwei Fehlentscheidungen am Anfang, das ist natürlich schwer, wenn man durch so was 0:1 in Rückstand gerät. Wir haben eine gute Partie gemacht."

Marcel Schmelzer, BVB-Kapitän: "Wir haben uns das Ziel gesetzt, dass wir zu Hause ungeschlagen bleiben. Das haben wir heute geschafft."

Horst F. Tuneke, BVB-Reporter-Legende: "Eine fürchterliche Schiedsrichter-Leistung, ein fürchterliches Spiel. Von den Hoffenheimern bin ich heute sehr enttäuscht." awi/jog

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Auf der Gegenseite hingegen wurde die Ringkampfeinlage im griechisch-römischen Stil von Sokratis (41.) samt Materialtest des Trikots von Sandro Wagner nicht mit einem Strafstoß geahndet, ferner erfolgte ein unberechtigter Abseitspfiff gegen Andrej Kramaric (45.), der mutterseelenalleine auf Roman Bürki zumarschiert wäre. Deshalb sagte TSG-Torhüter Oliver Baumann kopfschüttelnd: "Man fühlt sich schon ein bisschen beschissen."

Nach dem 2:0 von Aubameyang (82.) und dem Anschluss von Kramaric (86.) - allenfalls ein Kann-Elfmeter, der nach einer Konzessionsentscheidung roch - blieb es unverändert hitzig, zumal von den Trainerbänken aus mit allen denkbaren Mitteln versucht wurde, Einfluss auf die Dramaturgie zu nehmen. Die Provokationen wollten nicht enden.

Ganz rational betrachtet können die 93 Minuten auch anders analysiert werden. Fußballästheten kamen gewiss nicht auf ihre Kosten, die Last des Resultates wog schwerer als die Lust auf ein Offensivspektakel wie im Hinspiel. Der BVB gewann verdient, weil die Schwarz-Gelben eine Tugend zum Vorschein brachten, die nicht unbedingt zu ihren Stärken gehört. "Wir haben von Beginn an eine herausragende Verteidigungsleistung gezeigt", konstatierte Thomas Tuchel, "das war der absolute Schlüssel."

Stimmt. Dortmund wollte den Dreier mit aller Kompromisslosigkeit, Wucht und Macht, während es den sonst kombinationsstarken Hoffenheimern an zündenden Ideen aus dem Mittelfeld, Präzision im Passspiel und Durchsetzungsvermögen in der gegnerischen Box mangelte. "Wir hatten vorne keine Präsenz", räumte Nagelsmann zähneknirschend ein. Die Kraichgauer traten zu keinem Zeitpunkt wirklich gefährlich auf, besaßen keine einzige hochkarätige Chance. "Diesen Vorwurf müssen wir uns selbst machen", so Rosen sachlich.

Das knisternde Duell für die kommende Champions-League-Saison verlief auf recht überschaubarem Niveau. Brychs "Sehschwäche" sollte da eine weitere Facette eines vogelwilden Kampfes sein. Dass er am Hoffenheimer Teambus noch das klärende Gespräch suchte, spricht für ihn und das Maß an fragwürdigen Einschätzungen an diesem Tag.

Zur Erinnerung: Im Dezember profitierte "Hoffe" gegen Dortmund beim 2:2 - Reus flog mit einer ungerechtfertigten Gelb-Roten Karte vom Feld, Wagner hatte vor dem 2:1 Sven Bender regelwidrig von hinten weggeschubst. Zwei Punkte gewonnen, zwei Punkte verloren - zwischen dem BVB und der TSG herrscht offenbar ausgleichende Gerechtigkeit …

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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