Eppingen

Der Mord am Bahnhof soll unvergessen bleiben

An der Gedenkfeier für den von Neonazis getöteten Werner Weickum nahmen 60 Menschen aus vielen gesellschaftlichen Gruppen teil.

20.07.2021 UPDATE: 21.07.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 15 Sekunden
Das Blumengesteck für den von Neonazis ermordeten Werner Weikum, niedergelegt von Stadtrat Michael Mairhofer und Pfarrer Manfred Tschacher, soll zeigen, dass die Tat auch nach 25 Jahren nicht vergessen ist. Foto: Armin Guzy

Von Armin Guzy

Eppingen. Als Werner Weickum am Eppinger Bahnhof von einer Gruppe junger Neonazis langsam und brutal ermordet wurde, war er 44 Jahre alt. Die Tat und der anschließende Prozess haben Wunden in der Stadtgesellschaft hinterlassen, fanden überregional Beachtung – unter anderem berichtete die TAZ –, und die "Zeit" listet Weickum bis heute in ihrem Dossier "156 Schicksale", in dem es um Opfer rechter Gewalt geht. Die Tat, die vor 25 Jahren geschah, ist in Eppingen ein Thema, an dem manche lieber nicht rühren wollen, während andere lieber noch offensiver daran erinnern würden. Um das Anbringen einer Gedenkplakette am Eppinger Bahnhof wird bis heute gerungen. Und auch darüber, ob Weickum von offizieller Seite als Opfer rechter Gewalt gesehen wird: Im Verfassungsschutzbericht für das Tatjahr 1996 ist das nicht der Fall; bei der Amadeu-Antonio-Stiftung hat man hingegen keinen Zweifel an einer durch rechte Ideologie motivierten Tat.

Die Täter, zehn damals 16 bis 23 Jahre alte junge Menschen aus Eppingen und der Region, wurden 1997 wegen Mordes, Beihilfe oder unterlassener Hilfeleistung vom Heilbronner Landgericht verurteilt – die beiden Haupttäter zu lebenslanger Haft, die inzwischen verbüßt ist, die übrigen Angeklagten zu Jugendstrafen von bis zu achteinhalb Jahren. Sie hatten den aus Stebbach stammenden, in der Tatnacht stark betrunkenen Elektriker zuerst zu einem Fahrdienstleiterhäuschen gelockt, ihn dort niedergeschlagen und mit Springerstiefeln malträtiert. Von "Stiefeltritten ins Gesicht", berichtete damals auch die RNZ. Weil die Täter Weickum 200 Mark raubten und später auch noch die Pin seiner Scheckkarte aus ihm herausprügelten, bevor sie ihn schließlich mit einem Müllsack erstickten und seine Leiche nahe Schloss Neipperg versteckten, wird die Tat von manchen als Raubmord gesehen.

Die rund 60 Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung am Montag sehen das anders und wollen auch deshalb weiterhin daran erinnern. Denn die zehn Jugendlichen waren schon vorher in Eppingen als Neonazis bekannt, als "Bahnhofsclique", und standen zum Tatzeitpunkt teilweise unter Bewährungsauflagen. Ihr Anführer, der nicht nur wegen seines Berufes "Metzger" gerufen wurde, hatte gerade eine Haftstrafe abgesessen.

Die Gruppe hatte bereits 1994 ein Schulfest des Hartmanni-Gymnasiums und eine Veranstaltung des Jugendzentrums aufgemischt und systematisch Mitschüler tyrannisiert. Daran erinnerte am Montag Lennart Dröge vom Antifaschistischen Arbeitskreis Eppingen, der gemeinsam mit der Initiative "Eppingen ist bunt" die Gedenkfeier am Bahnhof organisiert hatte. Damals sei alles verharmlost und die Täter von manchen zu Opfern widriger sozialer Lebensumstände gemacht worden, hat Dröge, selbst noch Schüler, recherchiert. Tatsächlich aber sei die extrem rechte Szene zu dieser Zeit schon ein lange brodelndes Problem in der Stadt gewesen, und um "Metzger" habe sich ein Führerkult und ein Milieu entwickelt, in dem "Gewalt normalisiert und heroisiert wurde". Davon berichtete seinerzeit auch die TAZ-Prozessreporterin Beate Flemming: Die Wohnung zweier Gruppenmitglieder sei Eingeweihten als "Führerhauptquartier" bekannt gewesen, in dem auch Kampfhunde gezüchtet wurden.

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Dröge ist dafür zu jung, aber SPD-Stadtrat Michael Mairhofer war damals Ohrenzeuge. Er sprach auch stellvertretend für Oberbürgermeister Klaus Holaschke – der Weickum übrigens aus seinen Fußballertagen persönlich kannte – und für den Gemeinderat. Dass er in der damaligen Nacht Weickums Schreie als Anwohner gehört, aber nicht nachgeschaut hat, weil es am Bahnhof öfter laut zuging, belastet ihn noch heute. "Wir sind damals auch nicht eingeschritten", räumte er ein, und auch, dass er Weickums Schreie heute noch im Ohr habe. "Man hat die Gruppe in ihrer politischen Radikalisierung gewähren lassen", sagte Mairhofer, "das war ein gesellschaftliches Versagen." Umso wichtiger sei die Gedenkfeier. "Das zeigt, dass wir erinnern und aufarbeiten. Wir dürfen Gewalt nicht dulden und müssen Unrecht benennen", mahnte er und nannte die Tat einen "ultimativen Tabubruch" und einen "weiteren Stolperstein in der Stadtgeschichte".

Dröge erinnerte später daran, dass rechtsgerichtete Parteien bei der Landtagswahl 2016 in Eppingen zusammen mehr als 20 Prozent der Stimmen bekommen haben, und auch Grünen-Stadtrat Peter Wieser sieht "das Krebsgeschwür Faschismus" noch immer da und forderte bei der Gedenkfeier ein gezieltes Entgegentreten einer solidarischen Gesellschaft. Er dankte Dröge für dessen Beharrlichkeit, die Veranstaltung von der Stadt genehmigen zu lassen. Zur Erinnerung: 2011 hatten 15 bis 20 Neonazis versucht, die Gedenkfeier zum 15. Todestag zu stören. Diesmal war Polizei da, und ob die aufheulenden Motoren zweier vorbeifahrender Autos Posertum oder politisches Statement waren, bleibt im Dunkeln.

Nachdem der katholische Stadtpfarrer Manfred Tschacher ein Gebet gesprochen und gemahnt hatte "wir dürfen bei Gewalt und Ausgrenzung nicht wegschauen", wurde Werner Weickum in einer Schweigeminute gedacht und ein Kranz niedergelegt. Anschließend erinnerte auch Elisabeth Hilbert vom Verein "Jüdisches Leben Kraichgau" daran, dass "Menschenhass und Gewalt in diesen letzten 25 Jahren mehr und mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind". Weickum stehe stellvertretend für so viele Menschen, die allein gelassen wurden und Opfer der Unmenschlichkeit geworden sind. "Gedenken. Das sind wir Werner Weickum schuldig", sagte Hilbert.

Dröge erinnerte in seinem Schlusswort daran, dass "das Fehlen von rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven den Mord an ihm nicht zu einer unpolitischen Tat machen" und Neonazis, auch aus Eppingen, auch heute noch in der Region aktiv sind.

Ort des Geschehens

Die "Freien Nationalisten Kraichgau", die 2014 noch mit einer Demo in Sinsheim für Aufregung gesorgt hatten, haben sich 2016 zwar aufgelöst, etliche der Mitglieder sind aber beim Kreisverband "Die Rechten Rhein-Neckar" und bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen aktiv, wie zuletzt in Eppingen und Sinsheim. Auch beim Prozess nach dem Angriff auf eine Eisdiele in Wiesloch ergaben sich Querverbindungen zu den ehemaligen "Freien Nationalisten".

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