Wie eine Drohne Rehkitzen das Leben rettete
Tierretter aus Weinheim und Umgebung suchen mit einer Drohne Felder ab, bevor der Mähdrescher kommt - Wärmebildkamera führt Helfer zu den Jungtieren

Am frühen Morgen dreht die Drohne über einem Feld ihre Runde. Jetzt herrschen die besten Bedingungen, um Rehkitze zu entdecken. Foto: gol
Von Wolf H. Goldschmitt
Rhein-Neckar. Das Bild erschreckt selbst manch hartgesottenen Bauern: ein vom Mähdrescher zerfetztes, blutüberströmtes Tier. Alle Jahre wiederholt sich dieses Drama auf den Wiesen. Rund 100.000 Tiere werden von Mähmaschinen verstümmelt oder getötet. Besonders betroffen sind Rehkitze, junge Hasen und bodenbrütende Vögel, deren Fluchtinstinkt nicht ausgebildet ist. Sie bleiben zusammengekauert und reglos im hohen Gras liegen, bis ihr kurzes Leben jäh und grausam beendet wird.

Ein Reh ergreift in einem Weizenfeld die Flucht vor einem Mähdrescher. Foto: Stratenschulte
Tierschützer, Landwirte und Jäger rücken dem überflüssigen Sterben deshalb nun mit moderner Technik auf den Leib. Michael Ehlers hat die erste Rehkitzrettung der Region als losen Zusammenschluss von Tierfreunden ins Leben gerufen. Und die Bilanz der Premierensaison kann sich sehen lassen: 18 "Bambis" sind gerettet worden. Ehlers, der seit Jahren aktiv im Tierschutz tätig ist, setzt im Gegensatz zu vielen Jagdgegnern auf Aufklärung, friedliche Mahnwachen während Treib- und Drückjagden und ganz besonders auf einen Dialog mit einsichtigen Jägern.
"Es ist nicht sinnvoll, alle Waidmänner über einen Kamm zu scheren, und gerade in Sachen Rehkitzrettung hat sich dies gezeigt", sagt der engagierte Tierfreund. Vor einem Jahr kontaktierte Ehlers deshalb den Jagdpächter Gottfried Prechtl aus Birkenau und rannte offene Türen ein. "Wie oft im Leben, ist es immer besser, sich erst einmal selbst vor Ort ein Bild zu machen, statt pauschal zu verurteilen", betont Ehlers im Gespräch mit der RNZ.
Häufig werde auf die Landwirte geschimpft, weil es beim Mähen immer wieder zu verletzten oder toten Wildtieren komme. Doch wer noch keine Suche nach den jungen Rehen selbst mitgemacht habe, könne nicht beurteilen, wie aufwendig, anstrengend und schwierig sie sei. Nach vielen Gesprächen beschloss Michael Ehlers, eine Drohne mit Wärmebildkamera über Crowdfunding anzuschaffen, um große Flächen deutlich schneller absuchen zu können.
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Durch die Wärmebildkamera wird der Standort eines Rehs angezeigt. Auch das Kitz ist lokalisiert. Foto: gol
Die Wärmebildkamera der Drohne arbeitet am effektivsten, wenn der Temperaturunterschied zwischen dem Boden und dem Wildtier möglichst groß ist. Bei viel Sonne und Außentemperaturen um die 15 Grad kann der Boden sehr schnell schon über 20 Grad und mehr warm sein. Dann ist die Suche mühsam, da es für die Drohne viele andere Signale wie zum Beispiel Erdhügel, Steine oder kahle Flächen gibt. Man vergeudet knappe Flugzeit von maximal zwanzig Minuten pro Akku und schlaucht die Freiwilligen.
Aus diesem Grund brachen die Retter ausschließlich in den frühen Morgenstunden auf. Meistens klingelte der Wecker um 4 Uhr. Um 5 Uhr trafen sich die Frühaufsteher am vereinbarten Treffpunkt, wo auch schon der Landwirt und ein Jagdpächter warteten. Einsatzorte in der ersten Saison: Reichelsheim, Birkenau, Olfen bei Wald-Michelbach, Heddesheim, Weinheim und Mannheim-Friedrichsfeld.
Und wie wird gearbeitet? Bestätigt das Signal der Drohne ein Rehkitz, wird die Stelle entweder mit einer Fahnenstange markiert oder das Kitz wird direkt in einem Korb gesichert. Dabei ist große Sorgsamkeit geboten, denn das Jungtier darf nicht mit der menschlichen Haut in Berührung kommen, weil es die Ricke dann nicht mehr annimmt.
Daher sind Einweghandschuhe und dazu jede Menge Gras Pflicht beim Anfassen des Tieres. Der Behälter wird dann am Rande der Wiese gut sichtbar abgestellt. Ist die komplette Fläche abgeflogen und ohne weitere Sichtungen, erhält der Landwirt grünes Licht und beginnt zu mähen.
Sobald er fertig ist, werden die Kitze an einem geeigneten Rand der Fläche in die Freiheit entlassen. Und die Mutter lässt nicht lange auf sich warten, um ihren Nachwuchs wieder zu sich zu holen.
Nicht alles läuft ideal. Besonders die meist kurze Vorlaufzeit macht dem Dutzend Rettern Probleme. Nicht selten kam erst abends um 22 Uhr eine Anfrage für den nächsten Morgen. Trotz guter Vernetzung mittels WhatsApp und Facebook war es laut Michael Ehlers schwer, so kurzfristig genug Leute an den Start zu bekommen - besonders an Wochentagen. Aber irgendwie ging es fast immer.
Der Zuspruch und die Anfragen von Jägern und Landwirten sind inzwischen enorm. Trotzdem trifft die Kitzrettung immer wieder auf Sturheit und Ablehnung. Manche Landwirte und auch Jäger finden den modernen "Kram" überflüssig und wollen lieber weitermachen wie bisher. In Heddesheim hatte die Gruppe sogar den Fall, dass ein Bauer, der auch Jäger ist, trotz der Anwesenheit der Sucher begann, ohne Rücksicht auf Verluste seine Wiese zu mähen. Zum Glück ohne Folgen für die Fauna - und den Landwirt. Denn eine Strafanzeige kommt teuer.
Ehlers und seine Mannschaft wollen die Rehkitzrettung etablieren und bekannter machen. "Daher würden wir 2020 gerne mit noch mehr Landwirten und Jägern kooperieren und parallel dazu weitere Helfer und Unterstützer motivieren", plant der Initiator.
"Sicherlich wird kein Jäger wegen uns vegan leben, aber wir haben den Eindruck, die eine oder andere Brücke für mehr Verständnis geschlagen zu haben. Und vor allem: Wir haben jede Menge Leben gerettet", schreibt Ehlers zum Saisonabschluss an die neue Tierschutzgemeinschaft.