Das Mannheimer "System Löbel"
Der Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel zerstörte mit politischer Instinktlosigkeit seine Karriere

Von Alexander Albrecht
Mannheim. Demokratie schafft Ämter auf Zeit. Dass seine politische Zeit so schnell und so abrupt endet, hätte sich Nikolas Löbel in seinen schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können, zu sehr war seine Biografie bislang von Aufstieg geprägt. Vorsitzender der Schüler- und der Jungen Union im Land, Fraktionsvize im Gemeinderat, Chef der Mannheimer CDU, Bundestagsabgeordneter per Direktmandat. Mit seinen erst 34 Jahren hätte der selbst ernannte "Macher" noch einige Sprossen auf der Karriereleiter erklimmen können. Ja, wenn er nicht in entscheidenden Situationen den politischen Instinkt verloren und moralische Maßstäbe über Bord geworfen hätte.
>>>Update: Am Montag gibt Löbel nun doch seinen sofortigen Rückzug bekannt - hier lesen Sie mehr<<<
Wer in seiner Heimatstadt Erfolg haben will, muss sich – mehr als anderswo – zu ihr bekennen. Das hat Löbel früh erkannt. Mit dem Slogan "Aus Mannheim. Für Mannheim" und lokalen Themen ist ihm der Einzug in den Bundestag geglückt. Und selbst politische Gegner bescheinigen ihm, in den dreieinhalb Jahren viel erreicht zu haben. Gemeinsam mit Oberbürgermeister Peter Kurz zog Löbel einen Millionenzuschuss aus Berlin für die Sanierung des Nationaltheaters an Land, er sorgte durch sein Engagement für mehr Sicherheit im Radverkehr der Stadt und warb Gelder zum Erhalt des Museumsschiffs ein. Ein Schaffer.
Beruflich lief es für den Abgeordneten dagegen lange weniger gut. In Seckenheim aufgewachsen, studierte Löbel nach dem Abitur in Mannheim Rechtswissenschaften – und fiel zweimal durch das juristische Staatsexamen. Später machte er einen Bachelor in BWL an einer privaten Hochschule und setzte 2019 noch einen Master-Abschluss an der Fern-Uni Hagen drauf. Seine Projektmanagement GmbH schrieb drei Jahre lang rote Zahlen.
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Politisch etablierte er ein Netzwerk, das man als "System Löbel" bezeichnen kann. Tatsächlich hat sich der scheidende MdB so manches von einem ganz Großen aus der Nachbarstadt Ludwigshafen abgeschaut: Helmut Kohl, einer seiner Vorbilder. Löbel häufte in der Mannheimer CDU Posten um Posten an, um ihn herum entstand wie beim Altkanzler ein Mikrokosmos von treuen Mitstreitern und Freunden. So kommt es, dass der Gemeinderatsfraktionschef Claudius Kranz auch sein Anwalt ist. Mitglieder, die den Parteichef kritisierten, wurden von ihm öffentlich zur Schnecke gemacht.
Löbel ist ein guter Redner und Überzeuger. Einer, der gerne aneckte – wohl wissend, dass Aufmerksamkeit eine wichtige Währung im aufgeregten Politikbetrieb ist. Menschen, die ihn weniger mögen, nennen ihn einen skrupellosen Karrieristen oder arroganten Kotzbrocken. Immer dann, wenn es für ihn eng wurde, ging Löbel nach dem gleichen Muster vor. Er streifte sich das Büßerhemd über, entschuldigte sich und zog seine Partei in die Verantwortung mit hinein. Kurz nachdem Löbel Plakate für soziale Mieten aufhängen ließ, kam heraus, dass er als Vermieter für ein saniertes Mehrfamilienhaus 14 Euro pro Quadratmeter verlangt. Dass er einem Mieter mit fragwürdigen Mitteln gekündigt hatte. Dass er für sein Abgeordnetenbüro viel weniger Miete zahlt, als es das Finanzkonzept der Mannheimer CDU vorsieht, und er seine GmbH in der Parteizentrale günstig residieren ließ.
Beim Nominierungsparteitag changierte Löbel im Herbst 2020 zwischen dem Eingeständnis, Fehler gemacht zu haben, und Rechtfertigungserklärungen. Die vergangenen Wochen hätten ein schlechtes Licht auf die CDU geworfen. "Verdammt viel Vertrauen" habe die Partei bei den Bürgern verloren. "Und die Situation haben wir uns selbst zuzuschreiben." Dabei trug Löbel, und nur er, die Schuld an dem Fiasko. Was alle außer ihm nicht wussten: Er hatte Monate zuvor eine Viertelmillion Euro für Provisionszahlungen kassiert. Deshalb funktionierte das "System" weiter. Bis Freitag. Bis zu Löbels "Maskengate".
Noch einmal der Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Als Bundestagsabgeordneter hätte er gerade in der besonderen Pandemiesituation sensibler handeln müssen, lässt Löbel ausrichten. Doch auch sein Rücktritt aus dem Auswärtigen Ausschuss kann ihn nicht mehr retten. Der Druck ist zu groß geworden, der Schaffer ein Geschaffter.
Seine "gute Balance" zwischen politischer und wirtschaftlicher Tätigkeit ist aus den Fugen geraten. Und so wird er als Raffzahn in die Geschichte eingehen, der sich in einer dramatischen Lage für das Land die Taschen vollgestopft hat.