Von Petra Florack-Iredale
Rimini - mit dieser legendären Stadt an der italienischen Adriaküste verbindet man ganz gegensätzliche Bilder. In den 60er-Jahren pilgerten die fortschrittlichen Deutschen mit Kind und Kegel im VW Käfer gen Süden. An einen Strand, wo der deutschen Ordnungsliebe mit der akkuraten Aufstellung von Strandliege und Sonnenschirm voll entsprochen wurde. Pizza und Pasta, der Chianti-Wein, "O sole mio" aus dem Lautsprecher und die unaufhörlich geliebte Nuss-Nougat-Creme weckten Träume.
Heute locken in der Hauptsaison die heißen Partynächte. Spät aus den Federn kommen, in brütender Hitze am hoffnungslos überfüllten Strand abhängen, um dann nachts bei dröhnender Lautstärke zu feiern. Nicht nur das Wetter und die Abkühlung versprechende Adria sorgen für beste Laune, sondern diese sich über den Strand legende Leichtigkeit des mediterranen Lebens.
Für alle, die das nicht (mehr?) im Urlaub suchen, ist die Nebensaison eine ganz andere Rimini-Erfahrung. Rimini im "sotto stagione", der Nachsaison? Warum sollte man das tun? Und überhaupt, was macht der "Bagnino" dann? Alles gute Gründe, einen solchen Strandwärter zu besuchen und einmal nachzufragen. Mirko Ramilli ist 36 Jahre alt und hat sich irgendwann in seinen Zwanzigern entschieden, einen Strandabschnitt neben dem seiner Mutter zu pachten und einer dieser geliebten Alleskönner am Strand von Rimini zu sein.
Doch was tut so ein "Bagnino" eigentlich den ganzen Tag? Etwa sechs Monate, von April bis September, beginnt sein Arbeitstag morgens um 7 Uhr und endet selten vor 21 Uhr. Meistens deutlich später. Zunächst einmal räumt er die Überbleibsel der Nachteulen in seinem Strandbereich weg, damit alles sauber und ordentlich ist, wenn seine Gäste kommen. Das ist meist so ab 9 Uhr. Er stellt die Liegen schön in Reih und Glied. Die Schirme werden je nach Sonnenstand und Wind geöffnet. Dann wartet meistens schon die 90-jährige Maria an seinem Häuschen auf ihn, damit sie sich, wie jeden Tag, bei ihm unterhaken kann und er sie liebevoll zum Wasser eskortiert.
Ja, Mirko liebt an seinem Beruf vor allem den Kontakt mit den Menschen. Sieht sich als ihr Gastgeber, der immer darauf schaut, dass es ihnen gut geht. Auch jetzt, Ende September. Er füllt für die kleinen Badegäste die Wassertiere und Luftmatratzen mit der nötigen Luft, hat stets ein Pflaster bereit für Verletzungen und Wehwehchen, immer eine Tinktur gegen lästige Quallenstiche, verwaltet die Schlüssel der Kabinen, schlichtet auch schon einmal Dispute zwischen kleineren oder größeren Badegästen, ist einfach der Mann für alle Fälle an seinem Strandabschnitt, dem "Bagno 10".
Dieser liegt im Schatten des berühmten Grandhotels, einem eher ruhigen Ort. 90 Prozent seiner Gäste sind auch deswegen "Riminesi", also Einwohner dieser umtriebigen Stadt, die meistens für die gesamte Saison ihren festen Platz am Strand mieten. Am beliebtesten ist die "prima fila", die erste Reihe direkt an der Brandung, wo der Blick aufs Meer höchstens durch die Badenden oder Spaziergänger hin und wieder versperrt wird. Da tun sich dann meistens Familien oder Freunde zusammen, um diesen begehrten Platz für 850 Euro im Jahr zu belegen.
Aber hier schaltet sich die Europäische Union in die alten, nicht von allen geliebten Traditionen, ein. Im Augenblick hat Mirko die Sicherheit zum Pachten "seines Bagno" nur bis 2020. Das Parlament in Brüssel allerdings plant, Sonnenanbetern die europäischen Strände verstärkt kostenfrei zu überlassen. Aus Mirkos Sicht und der seiner Kollegen ein Problem, denn notwendige Investitionen in sein "Bagno" könnten sich dann vielleicht nicht mehr auszahlen.
Was macht Mirko denn nun außerhalb der Strandsaison? Er verkauft Obst. Und wie verbringt der Reisende in der Zwischenzeit - neben ausgedehnten Strandspaziergängen - seinen Tag? Das Adria-Ufer erscheint plötzlich viel weitläufiger und um die Strandliegen zieht Mirko einen textilen Windschutz. An vielen Tagen kann man noch ein Bad nehmen, wenn die Sonne freundlich vom blauen Himmel scheint. Und man kann sich die spannende Stadt Rimini in ihrer überschaubaren Größe zu Fuß erschließen.
Nicht so überfüllt wie im August, lädt die malerische "Piazza Cavour" mit ihren Cafés zum Verweilen ein. Rimini, in der Antike "Ariminum" genannt, blickt auf eine jahrtausendealte Geschichte zurück, die mit der Gründung 268 v. Chr. ihren Anfang nimmt. Der Augustusbogen, wo sich zwei der wichtigsten antiken Straßen, die Via Flaminia und die Via Emilia, kreuzten, sowie die Tiberius-Brücke sind nur zwei Sehenswürdigkeiten aus dieser Zeit.
Liebhaber der Antike finden sehenswerte Relikte aus römischer Zeit. Das aus dem 2. Jahrhundert stammende "Haus des Chirurgen" unter der Piazza Ferrari gibt Einblicke in den Alltag eines Arztes. Am Originalort belassene Mosaikböden und der Grundriss mit erkennbaren Behandlungs- und Ruheräumen sind freigelegt und für Besucher zugänglich. Im Stadtmuseum kann man - zumindest aus heutiger Sicht - recht gruselige Instrumente des römischen Operateurs bestaunen. Der Strand befand sich übrigens zu dieser Zeit direkt an der Hausgrenze, also etwa zwei Kilometer weiter im Landesinneren.
Das Castello Sismondo ist ein monumentales Zeugnis der Herrschaft des Adelsgeschlechtes Malatesta, im 15. Jahrhundert die mächtigste Familie in der Region. Auf keinen Fall sollte man die kulinarischen Genüsse Riminis vernachlässigen. Die Piadina (eine Art Fladenbrot) gilt hier als die dünnste der Emilia Romagna. Klassisch mit Schinken, Burrata (Frischkäse) und Rucola gefüllt, wird sie in vielen Osterien angeboten.
Neben diesen Attraktionen begegnet man immer wieder Hinweisen auf das Leben Federico Fellinis, dem vielleicht berühmtesten Sohn der Stadt. Verlässt man Mirkos "Bagno" Richtung Innenstadt, passiert man das monumentale "Grand Hotel", in dem Fellini bei seinen häufigen Aufenthalten immer die Suite 315 bewohnte. Von dort konnte er Menschen, "Riminesi" wie Prominente, beobachten, die später die Vorlagen für seine surrealen Filmfiguren abgaben. "Das Grand Hotel war ein Märchen aus Reichtum, Luxus und orientalischem Prunk", sagte Fellini einst. Ein Symbol der "verbotenen Wünsche", die im Leben des Filmemachers immer eine große Rolle spielten.
Im "Museo della Città" liegt eine Kopie des "Libro dei Sogni", ein provokantes Traum-Tagebuch knallbunter, auch obszöner und kommentierter Karikaturen, das der Regisseur auf Anraten seines Therapeuten über 30 Jahre führte. Die "New York Times" stellte Rimini für 2018 in die Reihe der "best places to go". Grund war die Wiedereröffnung des "Cinema Fulgor" am Corso d’Augusto, wo Fellini ab dem Alter von vier Jahren seine Begeisterung für die Filmkunst entwickelte und wo zwei seiner Filme uraufgeführt wurden.
Marco Leonetti, charismatischer Leiter der "Cineteca", des Filmarchivs in der Stadtbibliothek, ist Mitglied in der Kommission, die das 100-jährige Geburtsjubiläum Fellinis in Rimini vorbereitet. Er zeigt sich begeistert von drei besonderen Charakteristika: Ironie, Kreativität und Ästhetik im Werk des begnadeten Filmemachers. Diese Merkmale sollen auch im geplanten Fellini-Museum im Castello Sismondo, nur zehn Minuten fußläufig vom Kino Fulgor entfernt, ihre Wirkung entfalten: In Rekonstruktionen von Filmsets soll der Besucher über Bilder, Geräusche und multimediale Inszenierungen das oft sperrige Filmwerk Fellinis verstehen.
Das war zu seinen Lebzeiten immer ein Problem, denn die seinerzeit katholisch, auch faschistisch geprägte italienische Gesellschaft fremdelte mit Fellini über lange Zeit. Dennoch prägte Rimini sein Leben und filmisches Werk weitreichend und er war der Stadt zeitlebens verbunden, fand hier auch seine letzte Ruhe.