Von Fabian von Poser
An einem namenlosen Ort in der Kalahari kauern drei Männer im Sand. Sie tragen nichts an ihren Körpern außer Lendenschurzen aus Steinbock-Leder. Sie teilen sich einen einzigen Bogen und ein paar Pfeile, getränkt mit Käfer-Gift. Einer presst den Zeigefinger auf die Lippen und mahnt zur Ruhe. Der Zweite nimmt eine Handvoll Sand vom Boden, hebt die Faust, öffnet sie, und lässt die Körner herausrieseln. "Der Wind steht schlecht", flüstert er. Dann schleichen die Drei weiter, um einer der fünf Kudu-Antilopen, denen sie seit mehr als einer Stunde auf den Fersen sind, habhaft zu werden.
Die drei Männer heißen Kxao, N!ani und Daqm (die Sonderzeichen stehen für die Klicklaute der San). Sie stammen aus der winzigen Ansiedlung //Xa/hoba in der Nyae Nyae Conservancy, einem 9000 Quadratkilometer großen, von den Buschleuten selbst verwalteten Schutzgebiet bei Tsumkwe im Nordosten Namibias, in dem noch etwa 2300 Ju/’Hoansi-San weitgehend ungestört ihrem traditionellen Leben nachgehen. Weitgehend deshalb, weil die Ju/’Hoansi als einer der letzten Stämme des südlichen Afrikas noch mit traditionellen Waffen jagen – allerdings nur nicht geschützte Arten wie Kudu, Springbock, Oryx-Antilope, Strauß und Warzenschwein.
Zwar haben sich Kxao, N!ani und Daqm an diesem Morgen nur für uns in ihre Lederklamotten geworfen, denn die kleine Gemeinde von kaum 50 San im Dorf //Xa/oba hat sich ihr eigenes Einkommen geschaffen, indem sie Touristen auf geführten Wanderungen in ihre Kultur einführt. Doch die althergebrachte Bogenjagd wird im Dorf immer noch praktiziert, mit oder ohne Gäste. Über einsame Wildpfade folgen wir den Dreien. Zu ihrem Waffenarsenal gehört nicht viel: ein kurzer Speer, um Erdferkel in ihren Löchern aufzuspüren, ein Schlagstock sowie ein Bogen und eine Hand voll Pfeile, getränkt mit dem Gift der Larven des gefleckten Pfeilgiftkäfers. Heute scheinen die Drei mit ihrer Jagd indes kein Glück zu haben. Immer wieder bleiben sie stehen und beratschlagen: Ist es sinnvoller, links oder rechts herum zu gehen? Ein paar Mal kreuzen wir die Spur der Kudus, doch immer sind die Tiere schneller als wir.
Die Männer tränken Ihre Pfeile in den Larven des Gefleckten Pfeilgiftkäfers.Es macht demütig diesen Menschen bei der Jagd zuzusehen. Doch es sind harte Zeiten für die San, denn heute ist ihr Lebensraum auf zehn Prozent des einstigen Territoriums zusammengeschrumpft. Durch die Sesshaftmachungspolitik der Regierung, Lebensraumzerstörung, illegale Jagd auf ihr Wild und die Missachtung ihrer Rechte wurden sie ihrer traditionellen Lebensweise beraubt. Entfremdung und Alkoholismus sind die Folge.
Was die San aus //Xa/oba besitzen, das tragen sie am Leib. Von außen betrachtet, ist das nicht viel. Doch dahinter steckt viel mehr, nämlich ein unfassbares Wissen über den Reichtum der Natur, über hunderte nutzbare Pflanzen, über die Tiere und das Wasser. Selten kehren sie aus dem Busch zurück ohne Beutel voller Kräuter, Beeren und Wurzeln nach Hause zu tragen. So karg die Kalahari auch sein mag, sie ist ein Lebensspender, eine nicht enden wollende Fundgrube für Blüten, Früchte, Kräuter, Knollen und Rinde. Kurzum: ein Bioladen der Natur. Die Tsamma-Melone beispielsweise dient so vielen Zwecken, dass man sie kaum aufzählen kann: Das Fleisch ist nicht nur Feldkost, sondern spendet auch Wasser. Die Kerne helfen bei Magenbeschwerden, die Schale fungiert als Kochtopf oder Geschirr. Eine Paste aus dem Fleisch der Melone vermengt mit den zermahlenen Kernen dient als Sonnenschutz, das Öl als Haarwuchsmittel.
Ein Schabrackenschakal auf der Jagd."Wir können von den San viel lernen", sagt Aleksandra Ørbeck-Nilsen. "Sie sind das Bindeglied zwischen Mensch und Natur, sie fühlen Verantwortung gegenüber der Natur als ihrem Lebensspender." Nilsen muss es wissen: Mit 22 Jahren, im Jahr 2011, gründete das ehemalige Top-Model unweit von Tsumkwe den Nanofasa Conservation Trust. Als Nilsen nach Afrika kam, war sie wie viele Reisende, erzählt sie heute.
Nilsen wollte den San helfen. Doch schnell wurde ihr klar: Das Gegenteil war der Fall. "Die San haben mir geholfen. Sie haben mich aus der Armut meiner Wahrnehmung gerettet und mir die Augen geöffnet", sagt die 31-Jährige. "Was ihnen an materiellem Reichtum fehlt, das gleichen sie mit dem Reichtum ihres Geistes aus."
Nilsen lernte auch etwas Grundlegendes von den San: den Respekt vor jedem Lebewesen, egal, ob Baum, Tier oder Mensch. Das alte Wissen der San holt den modernen Mensch auch an anderen Stellen ein, denn es gibt in allen Gesellschaften einen Trend zu einer einfacheren Lebensweise, zur Rückkehr zur Natur. "Die San sind seit Jahrtausenden Experten auf diesem Gebiet", sagt Nilsen.
Männer der San sitzen im KreisAls es Mittag wird, stehen Kxao, N!ani und Daqm im Schatten eines Kameldornbaums. Die Drei weisen mit den Händen mal in diese, mal in jene Richtung. Ständig springt Kxao nach links und nach rechts, um nach Hinweisen für Tierbewegungen zu suchen: ein geknickter Grashalm vielleicht, ein Hufabdruck, Antilopenkot oder Termiten, die sich in der Spur finden, um ihr zerstörtes Zuhause wieder aufzubauen?
Dann sehen wir plötzlich die Schatten der fünf Kudu-Kühe in der Ferne. Im Zickzack-Marsch heften wir uns an ihre Fersen. Einen Moment lang halten Kxao, N!ani und Daqm inne. N!ani kniet nieder, spannt einen Pfeil in den Bogen und legt an. Doch die Tiere sind zu weit entfernt, als dass der Pfeil mit dem Käfergift in einen ihrer Hälse dringen könnte.
Drei Stunden folgen wir den Kudus. Noch einmal haben wir die Tiere im Visier. Doch plötzlich geben Kxao, N!ani und Daqm ohne ersichtlichen Grund das Zeichen zum Abbruch. Vielleicht ist die Jagd auch deshalb heute erfolglos, weil ein Jäger aus dem Dorf am Vortag eine Oryx-Antilope erlegt hat. Teile des Fleisches dorren noch in der Sonne über einer der Hütten. Denn niemand im Dorf würde auf die Idee kommen, Tiere auf Vorrat zu jagen. Diese Menschen nehmen sich nur aus der Natur, was sie zum Leben brauchen. Nachhaltiger und vorausschauender geht es nicht.