Der Lebensraum der letzten Berggorillas in Ruandas Vulkan-Nationalpark ist heute durch Felder und Viehweiden begrenzt. Foto: Win Schumacher
Von Win Schumacher
In den Virunga-Bergen ist an diesem morgen fröhliche Feierlaune angesagt. Übermütig wälzen sich zwei halbstarke Gorillajungs durchs Dickicht, stürzen sich immer wieder kreischend und knurrend aufeinander, ein Knäuel aus schwarzem Pelz und ineinander verrenkten Affengliedern. "Sie sind betrunken", flüstert Augustin Munyaneza in seine Schutzmaske, "zu viele Bambussprossen." Langsam drängt der Guide seine Touristengruppe zur Seite. Doch die spielenden Gorillajungen sind schon bis auf wenige Meter heran getollt. Wenn den Menschenaffen in der Regenzeit der junge Bambussaft zu Kopf steigt, sinkt bei jungen Berggorillas die Hemmschwelle. Beim Gorillabesuch gelten für Touristen derzeit eigentlich zehn Meter Mindestabstand statt ursprünglich sieben in Vorpandemiezeiten. Theoretisch. Am Ende entscheiden aber die Affen, wie nahe sie dem Menschen, dem notorischen Herrentier in ihrem Dschungel, kommen wollen.
Der Amahoro-Clan, eine von zehn Gorilla-Gruppen in Ruanda, die von Touristen besucht werden, kümmert sich kaum um seine menschlichen Besucher – selbst nach Monaten, in denen der Nationalpark geschlossen war. Auch während des landesweiten Lockdowns verfolgten Tracker und Ranger die Wanderungen der an Menschen gewöhnten Gruppen.
"Die Gorillas bedeuten uns alles", sagt Munyaneza, nachdem für seine Touristen eine Stunde mit den Primaten um ist. Auf schlammigen Trampelpfaden führt er sie zurück durch das üppige Grün des Bergwalds. Längst nicht nur die Gorilla-Guides wissen um den Wert der Tiere. Die Menschenaffen sind in den letzten Jahren zum Motor des Ruanda-Tourismus geworden. 1500 US-Dollar zahlen ausländische Gäste heute wie schon vor der Pandemie für eine Begegnung mit ihnen.
Ruanda hatte in den letzten Jahren einen regelrechten Gorilla-Boom erlebt. Das kleine ostafrikanische Land setzte die Menschenaffen erfolgreich als weltweite Botschafter ein und zielte dabei vor allem auf vermögende Touristen. Berggorillas kommen neben Ruanda nur in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo und in Uganda vor. Die meisten leben an den Virunga-Vulkanen im Grenzgebiet, die mehr als 4500 Meter aufragen. Durch ihre wirtschaftliche Bedeutung und strenge Schutzmaßnahmen stieg die Zahl der Tiere zuletzt auf mehr als 1000. Damit sind die Berggorillas die einzigen Menschenaffen der Erde, deren Zahl zuletzt zugenommen hat. "Die Gorillas, die Dorfgemeinschaften um den Nationalpark und die Touristen sind wie ein Dreieck", sagt Munyaneza. "Sie tragen sich gegenseitig". Eben ist er mit seiner Gruppe über die Vulkansteinmauer gestiegen, die den Urwald von blühenden Kartoffelfeldern trennt.
Zehn Prozent aller Gorilla-Einnahmen durch Touristen gehen direkt an die umliegenden Dörfer. Machen sich Affen oder Büffel über die Felder der Bauern her, werden diese entschädigt. Der Rückhalt für den Naturschutz ist groß. Arbeitsstellen im Tourismus sind angesehen und ernähren nicht selten ganze Großfamilien.
Die Zahl der Berggorillas stieg zuletzt wieder auf mehr als 1000. Foto: Win SchumacherDie Pandemie hat die über Jahre gewachsene Gorilla-Euphorie jäh beendet. Waren 2017 bis 2019 jedes Jahr zwischen 30.000 und 36.000 Touristen in den Vulkan-Nationalpark gekommen, so werden es in diesem Jahr nach bisherigen Zahlen wohl nicht viel mehr als 10.000 werden. Ruanda hatte am 21. März als erstes Land in Subsahara-Afrika einen strikten nationalen Lockdown verhängt. Seither hat das Land, das kleiner als Brandenburg, jedoch mit mehr als 12 Millionen Menschen der am dichtesten bevölkerte Staat Afrikas ist, die Pandemie mit rigoroser staatlicher Härte und augenscheinlichem Erfolg bekämpft. Strikte Hygienevorschriften und eine allgemeine Maskenpflicht sind bis heute in Kraft und werden weitgehend eingehalten.
Nach offiziellen Zahlen verzeichnet das Land derzeit insgesamt weniger als 7000 Fälle, von denen mehr als 6000 als genesen gelten. Nur 56 Menschen starben bisher durch das Virus (Stand 15.12.). Ruanda war das einzige Land in Subsahara-Afrika, aus dem bereits seit Juli wieder eine Einreise in die EU möglich war. Es stand nie auf der Liste der Risikogebiete des Robert Koch-Instituts.
Seit Juni hat sich Ruanda wieder schrittweise für Touristen geöffnet. Ein negativer Covid-19-Test ist derzeit Voraussetzung bei der Einreise. Nach der Ankunft wird in ausgewählten Hotels erneut ein Test vorgenommen. Planen Touristen einen Nationalparkbesuch, darf ihr negatives Ergebnis nicht älter als 72 Stunden sein. Vor einer Begegnung mit den Gorillas muss ein strenges Protokoll befolgt werden. Bei allen Besuchern wird Fieber gemessen, Hände und Schuhe werden desinfiziert, sowie OP-Gesichtsmasken verteilt, die nicht abgenommen werden dürfen. "Die Regierung ist äußerst vorsichtig", sagt Julius Nziza. "Die Gorillas sind das wirtschaftliche Rückgrat des Landes." Wie Touristen würden auch Tracker und Nationalpark-Mitarbeiter regelmäßig getestet. Nziza ist Ruandas vorsitzender Veterinär der Tierschutzorganisation "Gorilla Doctors", die die Gesundheit der Menschenaffen überwacht. Er habe Angst, dass Covid-19 auf die Population übertragen werden könne, sagt er. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass das Virus für Gorillas ansteckend sein kann. "Eines der Dilemmata mit Infektionskrankheiten ist, dass wir die einzelnen Gruppen hier nicht einfach wie auf einer Insel isolieren können", sagt Nziza. Die Gorilla Doctors haben insgesamt etwa 250 Gorillas auch auf Coronaviren getestet, meist auf Basis von Kotproben, die in einem spezialisierten Labor ausgewertet werden. Positiv auf Covid-19 war bisher keiner.

Weniger als einen Kilometer von der Nationalparkgrenze gräbt Jimmy Nsengimana knietiefe Löcher in die dunkle Vulkanerde. Der 30-Jährige verpflanzt mit einem Team aus dem Dorf Bisate Setzlinge, die sie in einer nahen Baumschule großgezogen haben. Irgendwann sollen hier oben auf einstigem Ackerland wieder riesige Urwaldbäume wachsen. Mittlerweile wurden mehr als 30.000 Bäume auf 43 Hektar verpflanzt. Von ihrem Arbeitsplatz haben die Mitarbeiter der Baumschule freie Sicht auf die mächtigen Vulkane Karisimbi und Bisoke. Zwischen dem Vier- und dem Dreitausender hatte Dian Fossey einst ihr Lager unter den Berggorillas aufgeschlagen. Bereits zu Lebzeiten der berühmten Primatologin, die 1985 ermordet wurde, war der Dschungel am Fuß der-Vulkane abgeholzt. Das Wiederaufforstungsprojekt wurde in den letzten Jahren rund um die luxuriöse Bisate-Lodge von Wilderness Safaris realisiert. Wie gigantische Webervogelnester kleben ihre Rundvillen an einem inzwischen wieder bewaldeten Hang mit einzigartiger Fernsicht. Für ihre extravagante Architektur und ihr Innendesign setzte der Südafrikaner Nicholas Plewman ganz auf Naturmaterialien. Vorbild war der einstige ruandische Königspalast in Nyanza.
Die royalen Übernachtungspreise für Gäste in Bisate fließen teils nicht nur in die Wiederaufforstung, sondern auch in die Förderung von Schulkindern und eine nachhaltige Dorfentwicklung. Die Betreiber der Lodge hoffen, dass Bisate irgendwann über einen Wildtierkorridor mit dem Nationalpark verbunden werden kann. "Wir sehen schon jetzt wieder Servale und Goldmeerkatzen hier", sagt Nsengimana. "Wenn meine kleine zweijährige Tochter einmal groß ist, wird hier ein richtiger Wald stehen. Ein Urwald, in dem dann hoffentlich auch Gorillas zu Hause sind."