In den Rauhnächten sind im Bayerischen Wald furchterregende Gesellen unterwegs und verbreiten Angst und Schrecken. Foto: Armin Weigel
Von Joachim Hauck
Es herrscht im wahrsten Wortsinn ein Höllenlärm. Die Hexen und "Rauhwuggerln", der "bluadige Damerl" und die "Haberngoaßen" machen sich auf den Weg. Jedes Jahr in den zwölf Rauhnächten treiben sie – in dicke Pelze und grausige Masken gehüllt – ihr Unwesen in vielen Ortschaften des Bayerischen Waldes.
Sie schnalzen mit Peitschen, scheppern mit kiloschweren Kuhglocken, trommeln und plärren, um noch bösere Geister zu vertreiben und den Menschen auf der Straße und in den Häusern und Wirtsstuben einen ordentlichen Schrecken einzujagen.
Der Brauch ist uralt. Von jeher gelten die Rauhnächte als die geheimnisvollste Zeit des Jahres. Dunkel, kalt und windig ist es zwischen der Wintersonnenwende am 21. Dezember und dem 6. Januar. Die Tage und Nächte sind wie geschaffen für Geisterglauben und das Erzählen von gruseligen Geschichten. Es ist die Zeit der Hexen und Druden, die nachts auf die Brust der Schlafenden drücken, die Zeit der Perchten und der "Wilden Jagd" – die Zeit, in der nach alten Bayerwald-Legenden die Tore zum Jenseits geöffnet und die Wesen aus der Anderwelt frei sind.
Das wilde Treiben zieht jedes Jahr Tausende Gäste aus Nah und Fern nach Lam, Bodenmais, Neuschönau oder Frauenau. Doch weil es selbst den furchtbarsten Schreckgestalten nicht gelingt, das Coronavirus aus dem Bayerischen Wald zu vertreiben, fallen 2020 die großen Rauhnachtsfeiern auf den Markt- und Kirchplätzen aus.
die Masken sind handgeschnitzt. Foto: Armin WeigelEigentlich ziehen zum Beispiel am 28. Dezember in St. Englmar die Rauhwuggerln durch die Straßen. Mit dabei sind oft auch die Wolfauslasser, die ihre großen Auftritte eigentlich schon im November haben. Sie pflegen einen selten gewordenen Brauch, der nur noch in wenigen Orten des Bayerischen Waldes gepflegt wird. Er stammt aus dem 18. Jahrhundert, als Wölfe und Bären die Region durchstreiften und Rindern und Schafen zu schaffen machten.
Um die abzuschrecken, bekamen die Kühe große Glocken umgehängt, die Hirten schnalzten beim Viehabtrieb laut mit ihren Peitschen durch die Luft. Den Viehabtrieb von den Schachten, wie die Almen im Bayerwald genannt werden, gibt es kaum noch. Das "Goaßlschnalzen" aber ist bis heute ein beliebter Teil des alten niederbayerischen Brauchs.
Das Vieh bleibt heutzutage natürlich im Stall, die Glocken nehmen sich die Wolfauslasser selbst zur Brust. Das ist ein durchaus hartes und schweißtreibendes Unterfangen, denn manche Riesenschellen sind bis zu 20 Kilo schwer. Um sich für die Mühsal belohnen zu lassen, klopfen die als Hirten verkleideten Männer bei den Bauern im Ort an, sagen ein längeres Sprüchlein auf und freuen sich auf die dann fällige Brotzeit mit Schnapserl.
Während das Wolfauslassen einen durchaus realen und praktischen Hintergrund hat, ist das Rauhnacht-Treiben im Bayerischen Wald zutiefst mystisch und von uraltem Aberglauben beherrscht. Gern wird Touristen vor Ort der Hintergrund des Brauchs erklärt, der wahrscheinlich schon aus vorchristlicher Zeit stammt. Entstanden ist er wohl daraus, dass das Mondjahr nur 354 Tage hat, das Kalenderjahr aber 365. Die übrigen elf Tage und zwölf Nächte fallen "aus der Zeit", sodass Dämonen und Geister die Rauhnächte für sich nutzen können. Das Wort meint dabei nicht primär die kalten, dunklen und tatsächlich recht rauen Nächte, sondern leitet sich von "rauch" ab, was früher für behaart und pelzig stand.
Das „Goaßlschnalzen“ ist bis heute Teil des niederbayerischen Brauchtums. Foto: Peter Von FelbertFolglich sind die Perchten mit dicken, zerzausten Pelzen bedeckt. Zu Recht stolz sind die Männer auf ihre mächtigen hölzernen Masken, die in höchst aufwendiger und auch teurer Arbeit zu wahrhaft furchterregenden Fratzen mit langen Hörnern, feurigen Augen und riesigen Zähnen verwandelt werden. Wenn draußen vor dem Haus der Wind pfeift und dunkle Schatten den Bewohnern Angst machen, wurden und werden an den Kachelöfen drinnen Geschichten erzählt – schaurige zumeist. In den Rauhnächten drehen sie sich um die Wiederkehr der armen Seelen, die zu Lebzeiten schwer gesündigt haben, sich als Räubersleut verdingt oder es mit dem Teufel und bösen Hexen gehalten haben. Sie müssen in den harten Winternächten übers kalte, schneebedeckte Land brausen, vergeblich um Erlösung bittend - als sogenannte Wilde Jagd genau in der Mitte der Rauhnächte, wenn an Silvester das Geisterreich offen steht.
Dann haben die Seelen der Verstorbenen für kurze Zeit Ausgang, die Dämonen sind frei und es geschieht allerlei Merkwürdiges: Stalltiere, so erzählen es die Bauern ihren Kindern, sprechen manchmal um Mitternacht die menschliche Sprache und deuten die Zukunft.
Bis heute hält sich im Bayerischen Wald die Mär, dass man um Silvester herum besser keine Wäscheleinen aufspannt, weil sich darin die Wilde Jagd verfangen könnte. Schon gar nicht sollte man Wäsche aufhängen, weil diese zum Leichentuch für ein liebes Familienmitglied werden könnte. Gern schützen sich vorsichtige Bayerwaldler vor derlei Unbill, indem sie Haus und Hof mit Weihrauch überziehen. Und wer sich zuverlässig vor den Dämonen schützen möchte, räumt daheim rechtzeitig vor Silvester gründlich auf. Die bösen Geister, weiß der Volksmund, lieben die Unordnung – um saubere Häuser machen sie einen weiten Bogen.
Infos unter www.ostbayern-tourismus.de