Ehemalige Leprakolonie in Griechenland
Die kleine Inselvor Kreta könnte bald zum Weltkulturerbe werden, die Bewerbung läuft

Von Karin Kura
Es wäre Kretas erstes Unesco Welterbe-Monument. Schon heute ist Spinalonga vor der Nordostküste Kretas ein beliebtes Touristenziel, es rangiert gleich nach dem minoischen Palast von Knossos auf Platz zwei. Die vielen Besucher kommen nicht allein wegen der venezianischen Festungs-Architektur aus dem 16. Jahrhundert, es gibt da noch das ehemalige Dorf der Aussätzigen. Kreta und später auch die griechische Regierung verbannte Leprakranke ab 1903 auf die Festungsinsel, insgesamt über 2000 Menschen. Familien wurden erbarmungslos auseinandergerissen, es verschwanden die Mutter, die Tochter, der Vater oder der Bruder nach Spinalonga, sobald die Krankheits-Diagnose klar war. Die meisten Infizierten blieben dort für immer. Am kürzesten ist die Überfahrt von Plaka, in wenigen Minuten setzt man mit einem der kleinen Fährboote über. Ein bisschen Grusel schippert mit. Wie es sich wohl anfühlte in der Verbannung zu leben, auf dem kleinen, fast baumlosen Eiland?
Wer damals nach Spinalonga kam, der wurde gleich desinfiziert, davon zeugt ein verrosteter tonnenähnlicher Desinfektionsbehälter an der Festungsmauer. Die Neuankömmlinge bekamen eine Wohnung oder ein Haus im Dorf zugewiesen. Abends konnten sie die Lichter vom gegenüber liegenden Plaka leuchten sehen. So nah, und doch unerreichbar fern war Kreta.

Viele der Häuser sind inzwischen renoviert, noch immer wird gehämmert und verputzt. Man schlendert über die alte Dorfstraße, vorbei an gelb oder blau gestrichenen Türen. Doch schon wenige Meter abseits wirkt das Ganze wie ein Geisterort: Durch die übrig gebliebenen Ruinen fegt der Wind, Türen gibt es schon lange keine mehr. Manch Fenster hält sich gerade noch quietschend in den Angeln, und von den Zimmerdecken sind hier und da nur noch Holzbalken übrig.
Das Leben auf Spinalonga beschreibt die britische Autorin Victoria Hislop in ihrem Buch "Insel der Vergessenen". Im Schicksalsroman, erschienen 2005, erzählt sie die Geschichte einer Familie aus Plaka, die durch Lepra entzweigerissen wird, und wie sich die Menschen auf der Quarantäne-Insel in ihr neues Leben fügen. Angst, Trauer, Liebe und Romantik – alles ist dabei, aber auch von Gemeinschaftsgefühlen und Solidarität schreibt sie. Auf die Buchvorlage folgte 2010 eine griechische Fernsehserie namens "To Nisi" (Die Insel), sie machte Spinalonga noch bekannter.
Über den grau-gelblichen Steinhäusern thront ein großes, lang gestrecktes Gebäude. Es ist das ehemalige Krankenhaus. Ein Arzt kam jede Woche, versorgte offene Wunden, Geschwüre und behandelte Verstümmelungen an den Gliedmaßen. Im kleinen Museum sind Spritzen und Ampullen, verrostete Metall-Schüsseln und schaurige OP-Instrumente ausgestellt.
Doch waren die Zustände auf Spinalonga besser als mancherorts auf dem Festland, wo Leprakranke zusammengepfercht auf Krankenstationen vor sich hin vegetierten. Das Leben in der Leprakolonie war nicht nur schrecklich und geprägt von Krankheit und Tod. Die Dorfgemeinschaft verwaltete sich selbst durch gewählte Vertreter, und man verschaffte sich Gehör im fernen Athen, um die Lebensbedingungen zu verbessern. Es gab einen Alltag mit Schule, Gottesdiensten, Festen, Taverne und Kino.

Fünf Jahrzehnte existierte die Leprakolonie. Viele Menschen starben an der Krankheit, zu viele für den kleinen Inselfriedhof von Spinalonga. Unter Steinplatten liegen die namenlosen Gräber. Mit der Entdeckung des Penicillins wurde Lepra heilbar, man löste die Kolonie auf, und im Jahr 1957 verließen die letzten Bewohner die Insel. Nur der Priester verweilte noch dort bis Anfang der 60er-Jahre. Der Makel des Aussätzigen verfolgte nicht wenige Spinalonga-Bewohner nach ihrer Rückkehr aufs Festland, selbst mit einem Papier, das sie als genesen auswies. Sie konnten in der Gesellschaft nicht mehr Fuß fassen, zu tief saß die Angst der Menschen.
Neben Pest und Tuberkulose ist Lepra eine der großen Seuchen der Menschheitsgeschichte. Und sie existiert auch heute noch in Indien, Südostasien oder auch in Südamerika. Nach Angaben der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe erkranken jedes Jahr weltweit über 2000 Menschen neu. Die Infektionskrankheit ist heilbar, einen Impfstoff gibt es aber bis heute nicht. Experten beklagen momentan, die Corona-Pandemie habe die Lepra-Impfstoffsuche ausgebremst.
Das Boot bringt die Inselbesucher zurück nach Plaka. Der kleine Ort hat sich im Laufe der Jahre vom Fischerdorf in einen Touristenhotspot verwandelt. Mit aneinander gereihten Souvenirläden und Restaurants, überragt von Villen am Hang. Es klingt ein wenig makaber, aber den besten Blick auf Spinalonga bietet das Luxushotel "Blue Palace". Ein Resort mit Privatpools und hoteleigenem Strand zieht sich den Hang hinauf und ist größer als der Ort Plaka.
Informationen:
Öffnungszeiten: Von April bis Oktober, die Überfahrt (7-10 Minuten) von Plaka kostet hin und zurück 10-12 Euro, Boote fahren auch ab Eloúnda (15-20 Minuten) für ca. 12 Euro. Die Fähren fahren jede halbe Stunde bis Stunde, am besten man informiert sich am Hafen über die aktuellen Zeiten und Preise. Im Sommer ist es sehr voll auf Spinalonga, eine bessere Wahl ist die Nebensaison.
Eintrittspreise: 8,00 Euro beträgt die Eintrittsgebühr auf der Insel, 4,00 Euro ermäßigt, für Kinder gratis. Ein Rundgang über die Insel dauert ca. 2 Stunden
Übernachten: Apartments in Plaka, in einer schön bepflanzten Anlage, bietet "Stella Mare", pro Apartment ca. 50 Euro: Familie Katrinaki, E-Mail kkatrinaki@yahoo.gr (Keine Internetadresse,)
Telefon: 0030/2841041814
Weitere Infos: https://www.discovergreece.com/de/experiences/youll-be-hooked-spinalongas-storied-past