Pontevedra in Nordspanien

Eine Stadt für Fußgänger

Die Innenstadt von Pontevedra in Nordspanien ist seit 1999 autofrei. Leicht war der Weg nicht, doch heute weiß man die Vorzüge zu schätzen.

26.03.2024 UPDATE: 26.03.2024 04:00 Uhr 2 Minuten, 35 Sekunden
Kloster und Kirche von San Francisco in Pontevedra. Foto: Getty

Von Dirk Engelhardt

Im Nordwesten Spaniens, südlich von Santiago de Compostela, liegt am Meer Pontevedra. Eigentlich ist der Ort mit seiner hübschen Altstadt, prachtvollen Kirchen und Klöstern sowie gut besuchten Bars recht unspektakulär – und doch seit 1999 eine Weltsensation: In Pontevedra dürfen nämlich keine Autos mehr fahren. Wer Fotos der Altstadt im Internet sucht, findet einige Vorher-Nachher-Bilder, auf denen Straßenzüge voller Autos zu sehen sind. Daneben die gleiche Straße mit riesigen Palmen in der Mitte, kein einziges Auto ist mehr zu sehen.

Hintergrund

Infos: 

Anreise: Mit dem Zug dauert eine Anreise von Heidelberg nach Pontevedra 29 Stunden. Umsteigen muss man in Karlsruhe, Paris, Barcelona, Madrid, Ourense und Santiago de Compostela.

Übernachten: Das Parador

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Infos: 

Anreise: Mit dem Zug dauert eine Anreise von Heidelberg nach Pontevedra 29 Stunden. Umsteigen muss man in Karlsruhe, Paris, Barcelona, Madrid, Ourense und Santiago de Compostela.

Übernachten: Das Parador de Pontevedra gehört zu einer Hotelkette, die überwiegend in alten Schlössern, Klöstern oder Herrenhäusern sind. Preis pro Nacht: 77 Euro: www.paradores.es

Essen: Im Gumer gibt’s galizische Fusionsküche wie spanischen Kartoffelsalat mit rotem Thunfisch und Rührei oder vegane Hühnchen-Tacos: www.gumer.es

Weitere Infos: www.turismo.gal/inicio

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In den 90er-Jahren, als der Wohlstand in viele spanische Städte einzog, stieg die Zahl der Autos unaufhörlich. In Pontevedra mit seinen rund 80.000 Einwohnern kam fast die gleiche Zahl an Fahrzeugen hinzu. Die relativ engen Straßen der Altstadt waren Tag für Tag mit ihnen verstopft, die Abgase waberten durch die Gassen, vom Hupen einmal ganz abgesehen. Als es darum ging, den Wagen den Zugang zur Stadt zu verwehren, gab es – wie meist bei einschneidenden Veränderungen – viele, die argwöhnisch vorhersagten, dass niemand mehr zum Einkaufen in die Stadt kommen würde. Auch den Läden in der Innenstadt wurden düstere Prognosen vorhergesagt – es sollte ganz anders kommen.

Wer mit dem Auto nach Pontevedra fährt, muss dieses auf einem der rund 15.000 meist kostenfreien Parkplätze abstellen, die rund um die Altstadt gebaut wurden. Von dort kann man dann in die Stadtmitte laufen, Pläne weisen den Weg in die Innenstadt in Minuten aus. Mehr als zehn sind es in aller Regel nicht. "Bei uns ist der Fußgänger König", erklärt der Bürgermeister der Stadt, Miguel Anxo Fernández Lores. Er nennt sich leicht ironisch "Fußgänger Nummer 1". Der spanischen Zeitung El Diario gab er zu Protokoll, dass er nunmehr von seinem Büro bei geöffnetem Fenster die Konversation der Fußgänger auf der Straße hören kann. Vor 1999 undenkbar.

Die Intention dieser urbanen Neuausrichtung war von Anfang an, Menschen zum Laufen zu animieren. Und sie ging auf: Fußgänger bevölkern jeden Tag die Innenstadt. Das befürchtete Ladensterben setzte nicht ein – im Gegenteil: Weil es sich in Pontevedra so herrlich entspannt bummeln lässt, kommen Einkäufer aus kleineren Nachbarstädtchen extra hierher.

Ganz ohne Autos ist die Innenstadt aber dennoch nicht: Anwohner dürfen beispielsweise bis vor ihr Haus fahren, und auch Lieferwagen ist die Zufahrt nicht verwehrt. Sie müssen sich jedoch alle an das Tempolimit von 30 Stundenkilometern halten. Für Kinder ist Pontevedra inzwischen ein Paradies: Wurden sie früher von den Eltern bis vor die Schule gefahren, spazieren sie heute unbeschwert selber zu Fuß durch die Stadt dorthin. Auch Fahrradfahrer schätzen die neue Gemächlichkeit. Radwege gibt es in der Innenstadt nicht, sie wären auch gar nicht nötig. Radler können überall problemlos fahren. Die Sicherheit ist enorm gestiegen. In Pontevedra gab es seit 2007 keinen tödlichen Verkehrsunfall mehr.

Auszeichnungen ließen nicht auf sich warten: So wurde die Stadt 2014 von der Uno zur lebenswertesten Stadt Europas gekürt. Schließlich macht die Altstadt auch optisch einen wesentlich besseren Eindruck als vorher. Ampeln, Fußgängerüberwege, Verkehrsschilder und Parkplätze wurden ersatzlos entfernt, sodass die Schönheit der jahrhundertealten Gebäude nun besser zum Tragen kommt. Und auch die Luft ist merklich besser geworden. Durch das Fehlen der Abgase gingen die CO2-Emissionen seit 1999 um rund 67 Prozent zurück.

Leicht war der Weg für Pontevedra allerdings nicht. Die konservative Volkspartei Partido Popular zog gegen die Pläne der autofreien Stadt sogar vor Gericht, viele Einzelhändler protestierten. Doch nach und nach realisierten die Menschen, um wie viel attraktiver die Innenstadt dadurch wurde – und so stieg die Einwohnerzahl seit 2009 um 12.000 Köpfe. Es zog bislang zwar viele Neugierige aus europäischen Stadtverwaltungen nach Pontevedra, um sich das Modell persönlich anzusehen – doch blieben Nachahmer bis jetzt rar. Auch wenn die Bürgermeisterin von Paris behauptet, dass sie ihre Stadt bis 2030 frei von Verbrennungsmotoren machen will. In Deutschland werden kleinere Brötchen gebacken: Hamburg feiert es beispielsweise als Sieg, dass zwei Straßen die Hälfte des Jahres von Autos befreit werden. In ähnlich großen Städten wie Pontevedra spielen Überlegungen, Fahrzeuge aus der Stadt zu verbannen, bislang keine Rolle.