Alte Stadt-Apotheke Gochsheim
Inmitten Gochsheims entstand ein weiteres Museum, das die Geschichte der Stadt-Apotheke erzählt und die Besucher mitnimmt auf eine Reise.

Von Heiko P. Wacker
Am 30. Juni 2018 musste die ehrwürdige Apotheke in Gochsheim nach 340 Jahren den Betrieb aufgeben. "Anna-Elisabeth Kessler-Rastätter fand, obwohl sie sich über Jahre hinweg bemüht hatte, einfach keine Nachfolge", blickt Irmgard Tauss, Vorsitzende des Vereins "Alte Stadt-Apotheke Gochsheim – Museum & Kultur", zurück auf das Ende der langen Tradition der Apotheke, die auf den Grundmauern des früheren "Mentzinger Hofs" von 1566 steht. Ein Verkauf stand also an, die historische Innenausstattung drohte zu verschwinden. Dass dem nicht so war, ist dem eigens gegründeten Verein zu verdanken, der sich ausschließlich mit Spendengeldern finanziert, und keine öffentlichen Mittel erhält – und dem neuen Besitzer des Gebäudes, der die Situation erkannte, und das Kleinod in Kooperation mit dem Verein zu bewahren gedachte.
Der heutige Eigentümer, Professor Henning Baurmann, seines Zeichens Diplom-Ingenieur und Architekt aus Heidelberg, hat mit seinem in Zusammenarbeit mit Martin Dürr geleiteten Büro schon zahlreiche historische Gebäude einer neuen Nutzung zugeführt. So das "Gräfliche Forstamt" in Beerfelden, das "Quartier Ludwigshöfe" in Speyer oder die "Alte Bäckerei" in der letzten erhaltenen Gründerzeitzeile der Kurfürstenanlage, unweit des Heidelberger Hauptbahnhofs.
Hintergrund
Infos:
Anreise: Gochsheim liegt rund eine Dreiviertelstunde (ca. 45 Kilometer) von Heidelberg entfernt und ist über die A5 erreichbar. Mit dem ÖPNV: Ab Heidelberg in ca. 45 Minuten über Bruchsal, hier Umstieg in die S 32 in Richtung
Infos:
Anreise: Gochsheim liegt rund eine Dreiviertelstunde (ca. 45 Kilometer) von Heidelberg entfernt und ist über die A5 erreichbar. Mit dem ÖPNV: Ab Heidelberg in ca. 45 Minuten über Bruchsal, hier Umstieg in die S 32 in Richtung Menzingen bis "Gochsheim", von dort ca 15 Minuten zu Fuß.
Museum: Geöffnet jeden Sonntag von Anfang Februar bis 30. November (13 bis 18 Uhr), zusammen mit den weiteren Gochsheimer Museen, private Führungen auf Anfrage.
Besonderer Tipp: Nur wenige Schritte entfernt findet sich das Schloss-Café (Hauptstr. 83), das von Februar bis November sonntags von 13.30 bis 17.30 Uhr geöffnet hat, und bewirtet wird von Kraichtaler Vereinen und Ehrenamtlichen.
Weitere Infos: Alte Stadt-Apotheke Museum & Kultur e.V. (APO), Hauptstr. 99, 76703 Kraichtal-Gochsheim. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen: www.apothekenmuseumgo.de
In Gochsheim nun begann seine Planung am bereits denkmalgeschützten Apothekengebäude im Jahr 2021, wobei es nicht nur eine der besterhaltenen Biedermeier-Einrichtungen zu erhalten galt, sondern auch eine "ganze Reihe schöner und wertvoller Baudetails (…) unter zahllosen Schichten wie Anstrichen, Belägen und Verkleidungen", wie der Architekt erklärt. "Während das Haus im Äußeren kaum angetastet wurde, sind innen drei Wohnungen behutsam eingefügt worden. Dabei wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass weniger oft mehr ist, und es blieben die unterschiedlichen Zeitschichten des Denkmals an vielen Stellen sichtbar." Dass der Eigentümer den Verein finanziell unterstützt, und heute zudem eine Hebamme mit ihrer Familie im oberen Bereich des Anwesens wohnt, stellt eine nette Verbindung zur Vergangenheit des Hauses her, das als Apotheke schon seit Jahrhunderten dem Wohl des Menschen zugeeignet war.
"Im Rahmen der Sanierung wurde der Dielenboden ausgebessert und neu geschliffen, und auch die alte Apothekeneinrichtung konnte aufgehübscht werden", berichtet Irmgard Tauss, die auch an diesem Sonntag wieder Gäste in den Räumen im Erdgeschoss begrüßen wird. Hier treten Besucher zunächst in den alten Apothekenraum, und sofort wird man gefangen genommen von den historischen Gefäßen, den lateinischen Aufschriften, den wunderbar geschwungenen Regalen, die in einer Zeit lange vor flauem "Sauerkrautholz" oder kaltem Edelstahl entstanden. Auch die vielen Schubladen zeugen noch vom Stolz des Handwerkers auf seine Arbeit, eine Apothekeneinrichtung war Maßarbeit. "Um so schöner, dass all das erhalten blieb", befindet die Vorsitzende.
Der Verein wollte jedoch von Anfang an mehr als nur Substanz bewahren, "uns war der kulturelle Aspekt wichtig", betont Gatte Jörg, eines der 13 Gründungsmitglieder und heute Schatzmeister. "Eine zentrale Idee war, einen Raum für kleinere kulturelle Veranstaltungen und Begegnungen zu schaffen", ergänzt er. Und tatsächlich geht man in Gochsheim sehr proaktiv auf Besucher zu, und auch Irmgard betont immer wieder: "Präsentieren Sie doch einmal ein Instrument, erzählen Sie uns eine interessante Geschichte von Reisen oder Ausflügen, berichten Sie aus Ihrer eigenen Vergangenheit – wir sind für fast alles offen!" Zur Saisoneröffnung an diesem Sonntag wird denn eine Expertin für pharmazeutische und medizinische Geräte im Haus sein. "Simone Schmitt aus Bretten wird einige unserer Exponate erläutern, deren Verwendungszweck wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können", meint Irmgard, und zeigt auf einen metallenen Inhalator.
Normalerweise jedoch finden die Veranstaltungen an einem Mittwochabend in der Monatsmitte statt, die Räume bieten rund 30 Gästen eine wunderbar familiäre Atmosphäre, im Ort werden die Termine gerne wahrgenommen und auch rege besucht. "Wir hatten schon ein Theaterstück aus Japan zu Gast, oder einen zugezogenen Gochsheimer, der erzählte, wie es so ist, als gebürtiger Ostfriese in den Kraichgau zu kommen", blickt Vereinsmitgründerin Steffi Schell zurück. "Aber auch Referenten zum historischen Tabakanbau oder Buchautoren waren bei uns – und am 19. Februar haben wir hier zünftige ‚Stubenmusik‘ mit steirischer Harmonika und Gitarre." Das erfüllt die historischen Räume, die obendrein Heimat einiger Kunstwerke von Hajo Rheinstädter wurden, mit Leben.
Der Diplom-Architekt Rheinstädter war über 20 Jahre hinweg für den Wiederaufbau des Bruchsaler Schlosses sowie des Schlossgartens zuständig, wobei er schon 1978 ein Fachwerkgebäude in Gochsheim erwarb, das er denkmalgerecht umbaute und sanierte. Später leitete er den Arbeitskreis Denkmalpflege des Heimat- und Museumsvereins Kraichtal – Gochsheim ist ein Ortsteil der Stadt – und kümmerte sich auch um Projekte wie den Erhalt der Gochsheimer Stadtmauer, die Sanierung der Trockenmauern oder die Rettung des Wasserschlosses Menzingen, das in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs zerstört wurde. Dass hierbei eine der Auslagerungen der Heidelberger Universitätsbibliothek verloren ging, ist eine bittere Tatsache.
"Hajo war ein sehr eigenwilliger Mensch und Künstler", erklärt Steffi Schell, und führt in den Seitenraum der historischen Apotheke, hier sind einige der Werke ausgestellt. Diese "skurril" zu nennen, das ist noch eine Untertreibung. Rheinstädter schuf Figuren, oft mit satirischen und politischen Anspielungen, aber stets aus Alltagsgegenständen. "Und immer lohnt es sich, auf Details zu achten", betont Steffi. "Es harren noch viele weitere Werke der Präsentation, und wir planen bereits, ob und wie wir einmal mit wechselnden Exponaten arbeiten", überlegt sie laut, während sie vor der "Abschaffung des Bösen" stehen bleibt. Der Teufel wird hier gerade durch den Fleischwolf gedreht, satirische Titel oder Anspielungen waren stets integraler Bestandteil "hajo’scher Werke". Dass auch diese eine Heimat in der Apotheke haben finden können, hat seine Frau massiv unterstützt. "Damit sollte an diesem historischen Ort ein Andenken in ‚seinem Gochsheim‘, für das er viel getan hat, geschaffen werden", erklärt die Vereinsmitgründerin.
Auch dies spricht für die gelebte Tradition des Gebäudes. Beim Betreten sollte man jedoch kurz innehalten und nach oben schauen. Am Türsturz steigt ein Phönix aus der Asche, Hinweis auf den Wiederaufbau des Gebäudes nach dem verheerenden Großbrand des Dorfs im Jahr 1739. Ein Phönix an einer Apotheke? Ja, genau! Etwas skurril vielleicht, aber gerade deshalb überaus passend an diesem lebendigen Kleinod mitten im Kraichgau.