Liebe auf den zweiten Blick

Schönheit und Armut konkurrieren in Seattle

Seattle war einst die "Number one to live" und  wird heute von Drogen und Kriminalität heimgesucht ist.

04.11.2023 UPDATE: 04.11.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 45 Sekunden
Blick von der Space Needle auf die Innenstadt. Foto: Inge Höltzcke

Von Inge Höltzcke

Seattle. Es ist nicht die Liebe auf den ersten Blick, die einen beim Anblick der Millionenstadt in den Bann zieht. Wer die Metropole an der nordamerikanischen Westküste besucht, entdeckt die Schönheiten oft erst auf den zweiten oder dritten Blick.

Zweifelsohne ist die Skyline fantastisch. Besonders beim Einfahren über die Stadtautobahn (Route 5), wenn sich die Abendsonne in den Fenstern der unzähligen Wolkenkratzer spiegelt. Atemberaubend der Blick von der Space Needle, die den Stuttgarter Fernsehturm als Vorbild hat.

Hintergrund

Informationen:

Anreise: Flüge von Frankfurt nach Seattle kosten zwischen 450 und 750 Euro. Lufthansa und United Airlines bieten auch Direktverbindungen an.

Unterkunft: Die Übernachtung in Hotels kostet zwischen 120 und 300 Euro für ein DZ pro Nacht. Günstigere

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Informationen:

Anreise: Flüge von Frankfurt nach Seattle kosten zwischen 450 und 750 Euro. Lufthansa und United Airlines bieten auch Direktverbindungen an.

Unterkunft: Die Übernachtung in Hotels kostet zwischen 120 und 300 Euro für ein DZ pro Nacht. Günstigere Angebote findet man auch über Airbnb.

Ausflugstipps: Das Wahrzeichen der Stadt Seattle ist die Space Needle, der Eintritt kostet um die 30 US-Dollar.

Die Olympic Mountains im Nordwesten Seattles sind ein Besuch wert. Circa vier Stunden Autofahrt und mit der Fähre von Edmonds nach Kingston. Lohnenswert ist hier der Besuch des Regenwalds in dem gleichnamigen Nationalpark. Ein tolles Wanderziel ist der Nationalpark rund um den Mount Rainier (4392 m), höchster Berg der Kaskadenkette mit Gletscher. Radfahren in Vancouver: Für 25 Dollar pro Tag Mountainbike mieten und die Stadt am Pazifik erkunden.

Weitere Infos: www.visitseattle.org

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Unvergesslich das Treiben downtown rund um den Pike Place Market, wo sich Touristen aus aller Herren Länder zwischen Donuts, frischem Fisch, Obst und Blumen drängeln.

Ein absolutes Muss der Besuch des ersten Starbucks-Cafés, in dem die Erfolgsgeschichte der gleichnamigen Kaffeekette ihren Anfang nahm und den bekannten Pappbecher Coffee to go "über den Teich" in alle Welt hinaustrug. Wen stört es da, dass man in einer endlosen Schlange auf dem Gehweg warten muss, da der Andrang riesengroß ist. Das nimmt man gerne in Kauf, um eine Tasse mit dem ältesten Motiv zu erstehen. Als Souvenir für die Daheimgebliebenen.

Ein Kaffee Latte zum Probieren muss sein (super lecker und super teuer), um dann zwischen den "Skyscrapern" durch das Zentrum zu schlendern. Über die unzähligen Treppen ans Ufer. Seattle, die Stadt, die extrem steil am Ufer abfällt. Man muss gut zu Fuß sein, die Handbremse in den Autos unverzichtbar.

Ansonsten ist es schwierig, sich in der Innenstadt fortzubewegen. Parkplätze sind rar und kosten ein Vermögen. Eine Stunde für 40 Euro sind keine Seltenheit. Citybikes und E-Roller sind eine gute Alternative, doch ebenfalls nicht gerade günstig und oft in schlechtem Zustand. Bliebe noch die Alternative, ein Rad zu leihen. Es gibt fantastische Radwege in der überschaubaren Innenstadt. Doch es gibt so gut wie keinen Radverleih. Warum auch? Wenn, so die Auskunft der Einheimischen, ein abgeschlossenes Rad in der Innenstadt mit einem normalen Schloss innerhalb von zwei Minuten gestohlen ist, mit einem Stahlschloss nach zehn Minuten.

Und schon sind wir beim größten Problem der Metropole, die einst die "Number one to live" war und heute von Drogen und Kriminalität heimgesucht ist.

Fentanyl ist das Teufelszeug, das hier auf den Straßen in aller Öffentlichkeit genommen wird. Es ist das weiße Pulver, das in kleinen Alupäckchen verpackt wird und 50 Mal abhängiger als Heroin macht.

Obdachlose prägen das Stadtbild Seattles. Viele sterben an einer Überdosis der Droge Fentanyl. Foto: Inge Höltzcke

Ein Bild des Jammers, wie viele, insbesondere junge Menschen, sich in diese zerstörerische Welt geflüchtet haben. Übrigens nicht nur in Seattle. Weil sie keine Zukunft haben. Keinen Job, keine Wohnung. Ein soziales Auffangsystem gibt es nicht, zumindest nicht vom Staat. Wer kein privates Netzwerk hat, dem bleibt nur noch die Straße. Und so hängen sie rum, unzählige "homeless people" (Wohnsitzlose), in den Avenues, unter der Stadtautobahn, in Hauseingängen und Parks. Verloren unter freiem Himmel. Manche tragen den Schlafsack oder ein Handtuch über den Schultern, mit leerem Blick und schleppendem Gang, auf der Suche nach dem nächsten Trip. Daneben die Touristen. Ein paar Polizisten, die auf verlorenem Posten sind. Die liberale und freiheitlich geprägte Stadt mit vielen Intellektuellen (hier gibt es große Arbeitgeber, wie Microsoft und Boeing) steht nicht auf Polizei. Die Black Lives Matter Bewegung tat ihr Übriges. Entsprechend reduziert wurde die Anzahl der Beamten und somit der Drogen-Kriminalität weiter Tor und Tür geöffnet.

Corona und Amazonising (online-Bestellungen) haben das Problem weiter verschärft. Auffangstationen für Obdachlose konnten während des Lockdowns zu wenig Leute aufnehmen. Hinzu kommt: Das Bestellen über Amazon hat die Innenstadt sterben lassen. Viele Geschäfte stehen leer, sogar die große Kaufhauskette Macy’s ist Geschichte.

Amazon, das ebenfalls in Seattle gegründet wurde, hatte einst im Zentrum drei Hochhäuser gekauft, Büros für die Angestellten. Doch nun sollen die Mitarbeiter von zu Hause arbeiten. Es sei zu gefährlich in der Seattle, heißt es seitens der Geschäftsführung. Auch Starbucks soll schon aus diesem Grund Filialen in der Innenstadt geschlossen haben.

Dennoch: Seattle – das ist nicht nur eine Stadt, die abzurutschen droht. Es gibt noch die anderen, die zumindest für den Moment noch im Reichtum schwelgen und in wunderschönen Häusern mit prächtigen Gärten und Blick auf Lake Washington wohnen.

Dort sind die Strandbäder, die Segelclubs, dort zeigen sich die Schönen und Reichen gerne im Tesla, Mercedes und BMW.

Als bauliches Wahrzeichen von Seattle gilt der für die Weltausstellung 1962 errichtete Turm Space Needle. Foto: Inge Höltzcke

Auch Bill Gates soll hier seine Villa haben. Der vielfache Milliardär wird beneidet, bewundert, aber auch verachtet. Er lebt in der Stadt, in der sich die Armut von der krassen Seite zeigt und immer mehr die bürgerlichen Wohnviertel erreicht. Immerhin tut der Microsoft-Begründer viel für soziale Projekte. Einen Eindruck kann man sich verschaffen in der Melinda und Bill Gates Foundation (Stiftungszentrum) direkt neben der Space Needle.

Seattle, das ist auch die Smaragdstadt, wie sie im Reiseführer liebevoll genannt wird wegen ihrer üppigen Pflanzen und vielen grünen Flächen. Doch auch diese ist in Gefahr. Der Klimawandel bringt an die Küste eine nie gekannte Hitze und Trockenheit. Waldbrände aus dem 200 Kilometer entfernten Spokane und Kanada überziehen die Stadt im Sommer 2023 mit einem riesigen Dunstschleier. Der höchste Berg der Kaskaden, Mount Rainier, verbirgt im Rauch seine imposante weiße Bergkuppe.

Doch Seattle lässt sich nicht unterkriegen. Was für tolle Menschen leben hier, die sich offensiv gegen Rassismus wehren. Fast in jedem Haus steht im Vorgarten ein Schild mit der Aufschrift "Black Lives Matter. Viele haben ein Herz für die "homeless people", bringen ihnen Essen und Trinken vorbei, Schuhe und Jacken. Und denken an die, die bedroht sind, den Kampf gegen die Drogen zu verlieren. Übrigens auch das wunderschöne Vancouver - etwa 200 Kilometer entfernt und eine lohnende Tagestour – geht es ähnlich. Dort hat man Heroin bereits legalisiert, um die Kriminalität zu entschärfen. Doch laut Reiseführerin Kathy ohne Erfolg.

Die Großstädte an der Westküste trotzen den großen Problemen und geben nicht auf. Im "Bottlehouse", einer Weinkneipe in Seattle-Madronapark, sitzen die jungen Amerikaner der immer stärker schwindenden Mittelschicht und leben auch heute ihren Traum vom American Way of Life.