Kanareninsel La Palma

Wanderparadies und Eldorado für Sternengucker

Im Herzen der Kanareninsel La Palma liegt ein einzigartiges Stück Land: Die Caldera de Taburiente - einer der weltweit größten Erosionskrater.

04.09.2023 UPDATE: 04.09.2023 06:00 Uhr 3 Minuten, 33 Sekunden
Wanderpfad in der Caldera mit Blick auf die Gipfelkette Cumbre de los Andenes. Foto: Cornelia Lohs.

Von Cornelia Lohs

Der schmale, gewundene Pfad entlang des Kraterrands verläuft in ständigem Auf und Ab. Über Stein und Geröll, vorbei an steil abfallenden Felswänden, tiefen Schluchten und bizarren, von Lavaströmen und Erosion geschaffenen Gesteinsformationen. Mit jedem Höhenmeter wird das Panorama überwältigender und der Schritt langsamer, denn man kann sich kaum sattsehen an der atemberaubenden Naturkulisse ringsum: Felsen in allen Formen und Schattierungen, mit Kanarischen Kiefern bewachsene Hänge und die alpine Blüte, die in voller Pracht steht – Zwergginster, Palma-Veilchen und der bis zu zweieinhalb Meter hohe Rosa Natternkopf mit seinen unzähligen Blüten. Der Himmel leuchtet in tiefem Dunkelblau, die Luft ist kristallklar, im Westen glitzert der Atlantik. Eine Graja, die auf La Palma beheimatete rotschnabelige Alpenkrähe, kreist lautlos über der Caldera, zwei Eidechsen sonnen sich auf einem Felsen. Abgesehen vom Geräusch der eigenen Schritte ist es so ruhig, dass man die Stille regelrecht hören kann.

Hintergrund

Anreise: Direktflug mit Condor ab Frankfurt nach Santa Cruz de la Palma.
Unterkunft: Hacienda de Abajo in Tazacorte. Das außergewöhnliche Hotel inmitten üppiger Vegetation und duftender Gärten, einst eine Zuckerrohr-Hacienda, ist voller

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Anreise: Direktflug mit Condor ab Frankfurt nach Santa Cruz de la Palma.
Unterkunft: Hacienda de Abajo in Tazacorte. Das außergewöhnliche Hotel inmitten üppiger Vegetation und duftender Gärten, einst eine Zuckerrohr-Hacienda, ist voller Kunstgegenstände und Möbel aus Europa und Asien aus vergangenen Epochen. Eigenes Restaurant mit hervorragender Küche. Außenpool vorhanden, zum Strand sind es wenige Minuten zu Fuß. DZ ab 135 Euro; www.hotelhaciendadeabajo.com/de.
Essen: Restaurante Chipi-Chipi: Das urigste Grill- und Gartenlokal der Insel liegt oberhalb der Inselhauptstadt und bietet die köstlichsten kanarischen Klassiker an; www.chipichipi.es
Ausflugstipps: Isla Bonita Tours bietet geführte Wanderungen in der Caldera de Taburiente auf Deutsch an; www.islabonitatours.com
Sternegucken: www.starsislandlapalma.es/de
Weitere Infos: www.visitlapalma.es/de

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Immer wieder gibt es entlang des Wanderpfades Gelegenheit, einen Blick in den Talkessel in schwindelerregenden 2000 Metern Tiefe zu werfen – ein aufgerissener Schlund gigantischen Ausmaßes. Jetzt bloß keinen Schritt zu nah an die Abbruchkante, ein Ausrutscher wäre fatal. Eine weitaus ungefährlichere Sicht in den Abgrund und auf die steilen Wände des Barranco de las Angustias, der Schlucht der Ängste, bietet auf halber Strecke der mit einem Geländer gesicherte Aussichtspunkt Mirador de los Andenes. Der Überlieferung nach war die Schlucht während der spanischen Eroberung letzter Zufluchtsort der Guanchen, der Ureinwohner La Palmas. Hierher flohen sie im Winter 1493 in Todesangst vor den Spaniern – viele starben an Hunger und Kälte, andere ergaben sich, wurden gefangen genommen und fielen in die Sklaverei.

Nach dem kurzen Stopp am Mirador de los Andenes geht es weiter bergauf. Die Sonne steht prall am Himmel, die Hitze drückt erbarmungslos, kein Schatten weit und breit. Die Caldera de Taburiente, seit 1954 Nationalpark, misst neun Kilometer im Durchmesser und hat einen Umfang von rund 28 Kilometern. Nördliche Grenze bildet die Gipfelkette Cumbre de los Andenes, die im Süden zunächst in die Cumbre Nueva, dann in die Cumbre Vieja übergeht. Mächtigster Gipfel und Ziel ist der alles überragende Roque de los Muchachos, eine Ansammlung alter Vulkanschlote und mit 2426 Metern der höchste Berg der Insel.

An den Hängen des Roque tauchen seltsame schneeweiße und metallisch glänzende Kuppeln auf. Bergauf erscheinen sie näher, bergab weiter weg, mitunter verschwinden sie völlig aus dem Blickfeld. Eine Sinnestäuschung? Mehr als zwei Marschstunden später kommen die Gebilde in voller Größe in Sicht. Es sind Sternwarten des "Observatorio del Roque de los Muchachos" (ORM), einem der umfangreichsten astrophysikalischen Observatorien der Welt. Prunkstück ist die 45 Meter hohe Kuppel, die das 400 Tonnen schwere Gran Telescopio Canarias (Grantecan) beherbergt, das die Sehstärke von vier Millionen menschlichen Pupillen hat. Seit seiner Inbetriebnahme 2009 ist das größte Spiegelteleskop der Nordhalbkugel und das zweitgrößte der Welt in bis dahin unerreichte Tiefen des Weltraums vorgedrungen, so 2016 in eine 500 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie. Entdeckt wurden in den letzten Jahren mehr als 80 supermassive schwarze Löcher im frühen Universum, dunkle Materien, Geistergalaxien und Exoplaneten. Das 130 Millionen Euro schwere Riesenauge ist so präzise, dass es sogar einen Teller Tapas auf dem Mond erkennen könnte, würde dort einer stehen. In den Anlagen des 1985 eingeweihten Observatoriums auf dem Roque erforschen Wissenschaftler aus 19 Ländern das Universum.

Sternwarten auf dem Gipfel des Roque de los Muchachos. Foto: C. Lohs

Einer, der hier auch mal astronomische Beobachtungen anstellte, ist Queen-Gitarrist und Astrophysiker Brian May, der im Observatorium 2007 seine 1971 auf Eis gelegte Doktorarbeit zum Thema Radialgeschwindigkeit interplanetarer Staubwolken abschloss. Hingucker neben dem Grantecan ist das Magic-Teleskop, eine Konstruktion aus tausend 50 Zentimeter großen Aluminiumspiegeln, die im Freien steht und die Gamma-Strahlung aus dem All erforscht. Magic steht für "Major Atmospheric Gamma Ray Imaging Cherenkov".

Wenige Gehminuten von den Sternwarten entfernt liegt der höchste Punkt des Roque de los Muchachos. Der 360-Grad-Panoramablick auf die felsige, von sattem Grün überzogene Insel ist spektakulär. Zu Füßen liegen die Weiten der Caldera de Taburiente entlang der Gipfelkette. Über dem Talkessel hängen Wolkenfetzen, in der Ferne sieht man die Nachbarinseln Teneriffa, La Gomera und El Hierro. Dass man auf dem Roque über den Wolken steht, ist den aus Nord-Ost wehenden Passatwinden zu verdanken, die dafür sorgen, dass die Wolkenschicht über der Insel in 700 bis 1500 Metern Höhe geformt wird. Die Passatwolken tragen dazu bei, dass auf dem Eiland keine störenden Strahlen in höhere Schichten gelangen. Dank des Flugverbots über La Palma, der Abwesenheit lichterfunkelnder Städte, Leuchtreklamen und nennenswerter Industrie, sind die Luft so rein und die Nächte so klar und dunkel wie nirgendwo sonst in Europa. Damit das auch so bleibt, wurde 1988 zum Schutz vor Lichtverschmutzung auf der kleinen Atlantikinsel das weltweit erste Lichtschutzgesetz erlassen und La Palma 2012 von der Unesco zum ersten "Starlight Reserve" der Erde zertifiziert.

Den dunklen und klaren Nächten sei Dank, funkeln die Sterne über der Kanareninsel besonders hell und sorgen nach Einbruch der Dunkelheit für ein atemberaubendes kosmisches Spektakel. Ganz besonders auf dem Roque de los Muchachos, wo man dem Firmament mit seinen zahlreichen unterschiedlichen Sternenkonstellationen gleich über 2400 Meter näher ist. Jährliches Highlight ist die Zeit zwischen dem 17. Juli und 24. August, wenn Sternschnuppen über den Nachthimmel ziehen, und ein Leuchtregen mit bis zu 100 Lichtfunken pro Stunde niedergeht. Gelegenheit, zahllose Wünsche gen Himmel zu schicken. Die Ernennung La Palmas zum Starlight Reserve war der Auftakt zum Astrotourismus. Auf der gesamten Insel entstanden astronomische Aussichtspunkte und Hotspots zur Sternenbeobachtung sowie Starlight-Unterkünfte, die ihren Gästen Teleskope und Nachtgläser zur Verfügung stellen. Einblicke in die Welt der Astronomie und die Arbeit der Astrophysiker bietet das Ende 2021 am Roque des los Muchachos eröffnete Besucherzentrum, das sich dank seiner Basalt-Verkleidung wie ein Felsen in die einzigartige Vulkanlandschaft der Caldera de Taburiente einfügt.