Uni Tübingen

Wie ein junger Informatiker Fehlverhalten aufdeckte und gehen musste

Der Fall an der Universität Tübingen weist Parallelen zur Heidelberger "Weltsensation" auf

19.04.2019 UPDATE: 20.04.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 26 Sekunden

Mit einer solche Messhaube will Niels Birbaumer erkennen können, was Locked-In-Patienten antworten wollen. Archiv-Foto: Nadio Verlyck/Wyss Center/dpa

Von Ingrid Thoms-Hoffmann

Heidelberg/Tübingen. Natürlich sind die Fälle ganz unterschiedlich. Und die Heidelberger Hochschule hätte allen Grund, sich massiv zu beschweren, würde man sie mit der Tübinger Eberhard Karls Universität in einen Topf werfen. Denn während die Heidelberger darlegen, dass sie nichts, aber auch gar nichts mit den Vorfällen um den Bluttest für Brustkrebs des Uniklinikums zu tun haben, sieht die Universität in Tübingen einen der ihren dem Vorwurf von "Fehlverhalten in der Wissenschaft" ausgesetzt, also dem größtmöglichen Katastrophenfall. Was die Universitäten eint: Beide fürchten um den Ruf ihrer Exzellenz. Außerdem gewähren die Vorfälle einen tiefen Blick in einen Wissenschaftsbetrieb, der die Frage aufwirft: Krankt hier das ganze System?

Dass die "Weltsensation" vom Neckar mittlerweile die Staatsanwaltschaft und auch das Landeskriminalamt beschäftigt, wurde genüsslich von allen Medien aufgegriffen, seit die RNZ den Stein ins Rollen brachte. Dass aber ein mit Auszeichnungen überhäufter Hirnforscher der Universität Tübingen, Prof. Niels Birbaumer, in den Fokus einer internen Kommission geriet, ging weitgehend unter.

Birbaumer veröffentlichte 2017 im Fachmagazin "Plos Biology" seine Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass eine Kommunikation mit vollständig gelähmten Patienten über eine Schnittstelle zwischen ihrem Gehirn und einem Computer möglich sei. Forscher um den emeritierten Wissenschaftler testeten dafür eine spezielle Kopfhaube. Patienten beantworteten bei der Untersuchung Fragen in Gedanken, während Wissenschaftler über die Haube ihre Hirnaktivität maßen. Birbaumer will aufgrund der Datenlage erkannt haben, ob die Patienten mit Ja oder Nein antworteten. Die "Weltsensation" war perfekt, und Angehörige von Menschen, die unter LIS, bzw. CLIS (Locked-in-Syndrom bzw. Completely-Locked-in-State) leiden, schöpften Hoffnung auf Kommunikation mit den Kranken. Denn in diesem Zustand können sich die Betroffenen, die bei vollem Bewusstsein sind, nur minimal, wie etwa Liderzucken, oder gar nicht mehr mitteilen.

Dass der Leibniz-Preisträger mit einem Lehrstuhl für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie, vier Ehrendoktorwürden und Hunderten von wissenschaftlichen Publikationen durch seine Studie auch starke Zweifel produzierte, focht ihn nicht an.

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Es war erst ein junger Informatiker der Universität, der mit Birbaumer zeitweise zusammenarbeitete, der genau vor einem Jahr bei zufälliger Überprüfung der Daten feststellte, dass das alles so nicht stimmen konnte.

Die "Süddeutsche Zeitung" publizierte am 12. April die ganze Geschichte. Bei ihren Recherchen kam auch heraus, wie verzweifelt der junge Forscher seine Sicht der Dinge mitteilen wollte - vergebens. Weder die Uni-Spitze, noch Fachzeitschriften, noch andere Wissenschaftler wollten mit ihren Zweifeln in Verbindung gebracht werden. Erst als er sich an eine Vertrauensperson der medizinischen Fakultät wandte, kam Bewegung in die Sache. Allerdings auch: Der Zeitvertrag des Informatikers wurde nicht verlängert. Er ist jetzt arbeitslos.

In einer Mitteilung bestätigt die Universität nun immerhin, dass ein Verfahren läuft. "Die Vertrauensperson hat die Vorwürfe über mehrere Monate eingehend untersucht und einen Prüfbericht gefertigt", heißt es darin. "Dieser Prüfbericht wurde am 22. November 2018 der universitären Kommission zur Untersuchung von Fehlverhalten in der Wissenschaft übergeben." Die eröffnete im Januar ein förmliches Verfahren, das noch läuft. Die Kommission kann am Ende das Verfahren entweder einstellen oder Empfehlungen für das weitere Vorgehen geben. Entscheiden wird das Rektorat.

Wie es in Heidelberg weitergeht, wird nicht die eingesetzte Kommission, sondern die Staatsanwaltschaft entscheiden. Allerdings: So gar nichts mit dem Uni-Klinikum hat die Universität auch wieder nicht zu tun. Denn der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Andreas Draguhn, sitzt im Vorstand der Uni-Klinik und Uni-Rektor Prof. Bernhard Eitel gehört dem zehnköpfigen Aufsichtsrat des Universitätsklinikums an.

"Der Fall Birbaumer, dieser Verdacht drängt sich auf, ist mehr als ein merkwürdiger Einzelfall", schreibt die "Süddeutsche Zeitung" und weiter: "Er ist Ausdruck eines Systemfehlers im Wissenschaftsbetrieb, wo möglichst viele und aufsehenerregende Publikationen die härteste Währung sind - nicht zuletzt, um an Fördermittel zu gelangen". Oder aber um Geld in die leeren Kassen eines Uni-Klinikums zu spülen? Noch eine Parallele.

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