Von Carsten Blaue
Stuttgart.Noch vor einem Jahr hat es ganz schön gehakt im sogenannten Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Bombardier und Stadler lieferten die neuen Züge nicht, oder die neuen Bahnen hatten gleich Defekte. Die Pünktlichkeit ließ noch immer zu wünschen übrig, oder manche Verbindungen fuhren gar nicht erst, weil es an Lokführern fehlte. Und oben drauf noch der Sanierungsstau bei Gleisen, Weichen und Bahnhöfen. Das Wort Chaos für den Wechsel von der Deutschen Bahn auf mehr Konkurrenz im Land durch neue Anbieter wie Go Ahead und Abellio, hier passte es. Doch seitdem scheint sich viel getan zu haben. Jedenfalls sieht Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) so deutliche Verbesserungen, dass er am Montag in einer Online-Pressekonferenz die anfänglichen Schwierigkeiten für überwunden erklärte. Auf den meisten Linien jedenfalls.
Symbol der zweiten Ausbaustufe der S-Bahn Rhein-Neckar: ein neuer Siemens-Zug des Typs „Mireo“ im Mannheimer Hauptbahnhof. Seit Dezember 2020 wird der Vertrag für das neue Angebot in der Region umgesetzt. Zu kurz also für eine qualitative Auswertung und Zwischenbilanz durch das Verkehrsministerium. Daher hat die RNZ die Kunden selbst befragt. Foto: GeroldSchon bei den Zügen selbst wird der Wandel deutlich. Baden-Württemberg sei vor der Umstellung die "Altmaterialsenke" der Deutschen Bahn (DB) gewesen, so Hermann. Im Ländle fuhren die ältesten Züge. Inzwischen sind schon 300 der 355 bestellten neuen Triebwagen (barrierefrei, mit Klimaanlage, Fahrradmitnahme und kostenfreiem W-Lan) in Baden-Württemberg auf den Schienen.
Bis kommendes Jahr soll die komplette neue Flotte unterwegs sein, darunter 317 elektrische Züge, die alle ab 2021 mit Ökostrom fahren sollen, und 38 mit Dieselantrieb. Zwei Milliarden Euro hat das Land dafür in die Hand genommen. Die flotten Fahrzeuge im eher farblosen Landesdesign (das Knallrot der alten S-Bahnen weicht viel Weiß und etwas Gelb) machen dabei heute viel mehr Strecke als früher. Waren es im Jahr 2011 noch 65 Millionen Zugkilometer, sollen es dieses Jahr 80 Millionen sein, wovon 46 Prozent von privaten Anbietern gefahren werden. Hermanns Ziel: Ab 2025 sollen sie überall mindestens im Stundentakt verkehren – als "Grundangebot". Und mit dem "BWTarif" soll regionales Bahnfahren auch noch um rund ein Fünftel günstiger werden. So passt sich der SPNV ein in Hermanns ehrgeizige Pläne, die Nachfrage für den gesamten Nahverkehr bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln.
Nach seinen Angaben haben rund 17.500 Kunden bislang eine einmalige Entschädigung für die anfänglichen Rumpeleien bekommen. Vor allem Pendler für Verspätungen, Ausfälle oder anderen Ärger milde zu stimmen, ließ sich das Land rund 17,5 Millionen Euro kosten. Für schlechte Leistungen wurden die Anbieter zur Kasse gebeten. Die 15 Millionen Euro, welche die Unternehmen überweisen mussten, steckte das Land in Verbesserungen auf der Schiene. Beim Personalmangel steuerte das Verkehrsministerium mit einem 50-köpfigen "Triebfahrzeugführer-Pool" entgegen, der noch mindestens bis 2025 einsatzbereit ist.
"Wir sind auf einem guten Weg", sagte Hermann also. Musterbeispiel ist für ihn der "Ulmer Stern". Alles klasse hier. Die Pünktlichkeitsquote liegt bei sagenhaften 94,3 Prozent. Grüner Daumen hoch in der Grafik. Roter Daumen runter für Tübingen-Stuttgart oder das Netz der "Breisgau Bahn" in den Schwarzwald. Probleme gibt es auch noch bei der "Frankenbahn" von Stuttgart über Heilbronn nach Osterburken. Hier wurden die neuen Bombardier-Züge verzögert oder mit technischen Problemen geliefert. "Abellio war gebeutelt", sagte Hermann auf Rückfrage. Der neue Betreiber muss zudem mit Mängeln in der Infrastruktur klarkommen. Hier appellierte Hermann noch mal deutlich an den Bund, Engpässe zu beseitigen und Geld in die Hand zu nehmen: "Das wird uns noch beschäftigen", so der Minister.
Und die S-Bahn Rhein-Neckar? Hier griff der neue Vertrag mit der DB Regio AG erst im vergangenen Dezember. Zu früh für eine qualitative Auswertung, fand das Ministerium. Doch auch hier sind die Ziele ehrgeizig. Der Vertrag umfasst sechs Millionen Zugkilometer. 57 Triebwagen vom Siemens-Typ "Mireo" sollen vom Kraichgau bis Karlsruhe, Mannheim und Mainz brausen – mit verschärften Vorgaben zu Sauberkeit und Pünktlichkeit. "Es gab kleinere Störungen", sagte Hermann lediglich. Es hakt also offenbar auch hier – wenn auch nur ein bisschen.
Von Volker Endres
Mannheim. Pünktlichkeit und Sauberkeit in der S-Bahn Rhein-Neckar oder den Zügen der Bahn insgesamt? Zumindest die sechs zufällig befragten Nahverkehrsnutzer am Mannheimer Hauptbahnhof zeigten sich überwiegend zufrieden mit beidem. Es gab jedoch auch andere Stimmen.
Adrien Kiefer. Foto: Gerold"Ich fahre seit zwei Jahren regelmäßig mit der S-Bahn und dem Regionalexpress zur Berufsfachschule nach Frankfurt", erzählte Adrien Kiefer. Der 28-Jährige aus Kaiserslautern ist dabei insgesamt zufrieden. "Meistens klappt es mit den Anschlüssen." Fehlende Sauberkeit in den Zügen und Waggons ist ihm dabei kein Dorn im Auge. "Es war zumindest noch nie so schlimm, dass es mir tatsächlich aufgefallen wäre."
Michael M. Kress. Foto: GeroldDer Heidelberger Michael Martin Kress ist ein begeisterter Zugfahrer. "Aber ich bin öfter mit dem ICE unterwegs. Mit der S-Bahn fahre ich seltener", erklärte der 70-Jährige. Für ihn zählt bei der Bahnfahrt das Erlebnis. "Und wenn ich in eine S-Bahn einsteige, dann habe ich einfach ein gutes Gefühl", schwärmte er. Ganz besonders in Sachen Sauberkeit steche der lokale Anbieter die überregionalen Züge deutlich aus. "Da kann man die Verantwortlichen nur loben." Aber es sei insgesamt beachtlich, was in den vergangenen 70 Jahren für eine Bahninfrastruktur aufgebaut worden sei. "Da hat sich in den Jahren sehr viel bewegt. Das ist eine tolle Leistung", so sein Fazit.
Helena Wells. Foto: Gerold"Es wurde in den letzten Jahren besser, aber auch teurer", hat hingegen Helena Wells beobachtet. Die 18-Jährige ist "seit der fünften Klasse" ausschließlich mit dem Nahverkehr unterwegs. "Ich besuche regelmäßig meine Mutter in Ladenburg. Da kommt es leider immer wieder zu Verspätungen." Ärgerlicher seien diese Verspätungen allerdings vor allem auf dem Weg zum Unterricht. Immerhin: "Die Sauberkeit ist insgesamt eigentlich okay, auch wenn es mal mehr ist und manchmal weniger." Eine Regelmäßigkeit konnte sie dabei noch nicht entdecken. "Manchmal sind die Züge morgens sauberer, manchmal abends." Das sei aber weniger ein Verschulden oder Verdienst der Bahn. "Sauberkeit liegt an jedem einzelnen Fahrgast.
Marion Schäuble. Foto: Gerold Schließlich können die S-Bahn-Mitarbeiter nicht hinter jedem Passagier putzen", erklärte Marion Schäuble. Die 52-Jährige pendelt unter der Woche täglich vom Wohnort in der Pfalz zum Arbeitsplatz nach Mannheim – und das schon seit über 20 Jahren, also länger, als die S-Bahn Rhein-Neckar, die zum Fahrplanwechsel 2003/04 in Betrieb ging, überhaupt auf der Schiene ist. "Es ist insgesamt ein gutes Angebot", findet sie.
Ein Angebot, das über die Jahre keine großen Entwicklungen mitgemacht habe. "Es war eigentlich immer gleich." Das gelte gerade für die beiden Kritikpunkte Pünktlichkeit und Sauberkeit. "Ich habe bei beidem zumindest keine Veränderungen erlebt." Was ihr aber noch wichtiger ist, das sind die Mitarbeiter. "Die sind bei der S-Bahn wirklich immer sehr freundlich", lobte sie.
Bernhard Ganglmaier. Foto: GeroldBernhard Ganglmaier fährt notgedrungen Zug. "Mein Sohn ist davon begeistert", verwies er am Bahnsteig auf den Zweijährigen im Kinderwagen. "Er hat auch schon seine ganz bestimmten Vorstellungen." So käme es nie in Frage, dass der Sprössling mit dem Papa in einen anderen, als den knallroten S-Bahn-Zug einsteigt. Und auch der Wagen ist vorgegeben. "Wir sind immer im Fahrradbereich. Dort ist es mit dem Kinderwagen am einfachsten", so der 39-jährige Vater lachend. Genauere Aussagen zur Sauberkeit wollte er deshalb nicht machen. "Es ist klar, dass dort bei diesem Wetter nicht alles blitzblank ist." Und auch die Pünktlichkeit spielt für Vater und Sohn nur eine untergeordnete Rolle. "Wir fahren außerhalb der Stoßzeiten und immer nur von Mannheim nach Ludwigshafen – eben, weil es nur darum geht, dass mein Sohn so gerne Zug fährt."
Yasmin Clasen. Foto: GeroldDa ist das Bild von Yasmin Clasen schon differenzierter und auch umfassender. Die 18-Jährige aus Frankfurt ist mehrmals in der Woche zu ihrem Freund in der Pfalz unterwegs. "In Frankfurt fahre ich noch mit der U-Bahn. Da sind die Takte zwar besser, aber dafür erkennt man schon einen deutlichen Unterschied zur Sauberkeit in der S-Bahn", so ihre Beobachtung. In Sachen Pünktlichkeit habe hingegen die Frankfurter U-Bahn ihre Vorzüge. "Mit der S-Bahn habe ich schon öfter meinen Anschluss verpasst."
Anonym klagten weitere Passanten über dreckige Sitze und unpünktliche Bahnen. "Ich fahre in Worms meistens nach Fahrplan los, aber in Ludwigshafen wird der Zug regelmäßig aufgehalten und fährt einfach nicht weiter, so dass ich dann in Mannheim zu spät ankomme", klagte eine Frau, und auch bei einem jungen Mann fanden beide Aspekte wenig Gefallen. Grund zum Klagen hatte er deshalb aber nicht. "Ich fahre sowieso immer ohne Karte." Zumindest hatte er einen guten Grund für seine Anonymität.