"Ich bin dankbar": US-Angriff lässt viele Israelis aufatmen
Weltweit hagelt es nach dem von US-Präsident Trump angeordneten Angriff auf Atomanlagen im Iran heftige Kritik. Im Land des engsten Verbündeten in der Region sehen die Reaktionen großteils anders aus.

Tel Aviv (dpa) - Die beispiellosen Angriffe des US-Militärs auf iranische Atomanlagen haben Ängste vor einer unkontrollierbaren Eskalation des Kriegsgeschehens im Nahen Osten und scharfe Kritik ausgelöst. In Israel fallen die Reaktionen auf den risikoreichen Entschluss von US-Präsident Donald Trump hingegen großteils anders aus. Viele Menschen sind erleichtert über die direkte Kriegsbeteiligung des wichtigsten Verbündeten - und begrüßen den Angriff auf den Erzfeind des jüdischen Staates als notwendigen Schritt.
"Existenzielle Bedrohung" durch den Iran
Der israelische Politikwissenschaftler Jonathan Rynhold erklärt diese Stimmung so: "Die Israelis fühlen sich erleichtert, weil sie den Iran als existenzielle Bedrohung für ihren Staat sehen." Teheran habe über etwa ein Vierteljahrhundert hinweg immense Summen investiert, um "die Mittel zur Zerstörung Israels zu schaffen" – sowohl durch seine Verbündeten in der Region als auch durch den Aufbau eines eigenen umfangreichen Raketenarsenals und das umstrittene Atomprogramm.
Tief unter der Erde verborgene und schwerstens gesicherte Nuklearanlagen allein zur zivilen Nutzung von Kernenergie? Die Beteuerungen Teherans, das Atomprogramm diene nur friedlichen Zwecken, stießen in Israel stets auf Unglauben. Dass sich die Führung der Islamischen Republik der Vernichtung Israels verschrieben hat, ließ ihr Handeln umso bedrohlicher erscheinen.
In der Nacht zum Sonntag griffen die USA schließlich ein: Mit 14 der massivsten bunkerbrechenden Bomben in ihrem Arsenal attackierten sie die unterirdischen iranischen Atomanlagen - wobei das Ausmaß der Zerstörung nach außen hin nicht zu erkennen ist. Der Iran reagierte mit neuen Raketenangriffen auf israelische Städte, die teilweise verheerende Schäden anrichteten.
"Jetzt bin ich viel ruhiger"
Trotz der iranischen Gegenangriffe ist das Eingreifen der USA für viele Israelis ein Grund zum Aufatmen. "Jetzt bin ich viel ruhiger", sagt die 72-jährige Nili, die im Zentrum der Küstenmetropole Tel Aviv lebt. Die Vorstellung, dass Israels Erzfeind Atomwaffen besitzen könnte, habe sie lange Zeit beunruhigt. "Ich bin dankbar, dass die USA bunkerbrechende Bomben eingesetzt haben – wir selbst verfügen nicht über so etwas."
Der Angriff sende ein klares Signal, glaubt sie: "Er zeigt dem iranischen Volk, dass wir die USA an unserer Seite haben – und vielleicht gibt er ihnen sogar den Anstoß, sich gegen das eigene Regime zu stellen." Die Aktion der USA wertet sie als klare Abschreckung: "Die Welt sieht, dass man dem Iran nicht einfach erlauben darf, weiterzumachen."
Der "Feuerring" um Israel
Seit langem richten sich die bangen Blicke vieler Israelis auf den sogenannten Feuerring um ihr Land - bestehend aus schwer bewaffneten Islamistengruppen wie den Milizen der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon sowie den weiter entfernt im Jemen aktiven Huthi. Neben ihnen gehörte bis zum Sturz des Assad-Clans auch Syrien zur mächtigen "Achse des Widerstands", mit der die Iraner die Atommacht Israel quasi umzingelten. Das umstrittene Atomprogramm des Irans und seine Fähigkeit, mit einer Vielzahl von Raketen Israels Verteidigungssysteme zu überfordern, waren feste Pfeiler dieser Drohkulisse.
Doch die sei nun am Bröckeln, sagt Rynhold. "In Israel gibt es einen breiten Konsens, über das gesamte politische Spektrum hinweg, dass die Zerstörung dieser militärischen Fähigkeiten, der Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad und die Schwächung von Hamas und Hisbollah das Land deutlich sicherer machen", erklärt er. Das sei nicht nur die Sichtweise der umstrittenen rechtsreligiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, sondern ein weit verbreitetes Gefühl in der Bevölkerung.
Stille Zustimmung aus der arabischen Welt?
Während viele Staaten in der arabischen Welt den US-Angriff mit Sorge und Kritik kommentierten, glaubt Rynhold, dass "die mit dem Westen verbündeten arabischen Länder im Stillen zustimmen". Auch sie sähen sich durch den expansiven Kurs Teherans bedroht. Die Konfliktlinien und Bündnisse in der Region sind komplex, es gibt Spannungen zwischen schiitisch und sunnitisch geprägten Staaten, vor allem die Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran ringen um Einfluss.
Der Zeitpunkt des Bombardements war aus Rynholds Sicht eine "einmalige Gelegenheit" zum Angreifen, "ohne einen Flächenbrand auszulösen" – gerade wegen der aktuellen Schwäche von Hamas, Hisbollah und syrischem Staatsapparat. Manche Experten sehen den Überfall der Hamas und verbündeter Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023 als Beginn einer Kettenreaktion, die letztlich Irans "Achse des Widerstands" zu Fall bringen könnte.
Hoffnung auf einen stabileren Nahen Osten
Trotz aller Risiken sieht der Politikwissenschaftler Anlass zur Hoffnung für die Region: "Der Schlüssel zu mehr Frieden im Nahen Osten liegt darin, die radikalsten Akteure – allen voran den Iran – entscheidend zu schwächen." Nur so könne ein stabileres Umfeld entstehen, in dem gemäßigte und konstruktive politische Kräfte wachsen können. Dass Netanjahus Regierung aus Sicht ihrer Kritiker dabei selbst keine gemäßigte und konstruktive Rolle einnimmt, steht auf einem anderen Blatt.
Eine Umfrage des Instituts für Nationale Sicherheit in Tel Aviv ergab, dass eine Mehrheit der Bevölkerung den israelischen Angriff auf den Iran gutheißt und davon ausgeht, dass die Entscheidung in erster Linie aus sicherheitspolitischen Erwägungen getroffen wurde.
Dennoch äußerten rund 70 Prozent der Befragten Besorgnis über den möglichen Verlauf der israelischen Militäroperation - und fast die Hälfte glaubt, dass die Regierung keinen Plan für deren Abschluss hat. Eine große Mehrheit rechnet demnach mit einer Kriegsdauer von bis zu einem Monat.
Die israelische Iran-Expertin Sima Shine geht davon aus, dass sich die iranische Führung nach dem US-Angriff in einem Schockzustand befindet. Eine gezielte Tötung des iranischen Religionsführers Ajatollah Ali Chamenei, mit der führende israelische Politiker zuletzt mehrfach gedroht hatten, lehnte Shine bei einem Fernsehauftritt klar ab. Der mächtigste Mann im Iran sei "eine zu symbolische spirituelle Figur in der schiitischen Welt", sagte sie dem israelischen Sender N12. Es gebe keinen Grund, "ihn zum Märtyrer zu machen".
Schwanken zwischen Sorge und Erleichterung
Wird sich der Angriff auf den Iran am Ende also als richtig erweisen? Nili aus Tel Aviv ist sich jedenfalls der Gefahren bewusst, denen sie und ihre Landsleute ausgesetzt sind. "Natürlich habe ich Angst vor einer massiven Reaktion aus Teheran. Die USA sind ein Risiko eingegangen", gibt auch sie zu. "Aber das liegt nicht in meiner Hand. Es ist ein bisschen wie russisches Roulette."
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