Von Klaus Welzel
Heidelberg. Nach einer längeren Sommerpause geht der Corona-Podcast mit Hans-Georg Kräusslich, Chefvirologe am Heidelberger Universitätsklinikum, weiter. Für Theaterabende gibt er eine relative Entwarnung.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 22: Ist die Corona-Pandemie endgültig zurück in Deutschland?
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Götz Münstermann
Prof. Kräusslich, mehr als 4000 Neuinfektionen an einem Tag: Ist die Corona-Pandemie damit endgültig zurück in Deutschland?
Die Pandemie war nie weg. Wir hatten einen leichten Anstieg zum Ende der Sommerferien, jetzt einen deutlicheren Anstieg zum Oktober und die Wahrscheinlichkeit, dass es weiter nach oben geht, scheint mir relativ hoch zu sein.
Was bedeutet das für unser praktisches Handeln?
Die Regeln für unser Handeln sind nicht verändert: Abstand einhalten, Masken tragen – auch wenn das keiner mehr hören will –, die Hygieneregeln beachten und ganz generell darauf achten, was kann ich tun, damit ich mich und andere nicht gefährde. Es ist ganz offensichtlich, dass ein Großteil der Neuinfektionen in letzter Zeit durch private Feiern und Versammlungen verursacht wurde. Man kann also immer nur erneut appellieren, darauf zu achten, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern eben auch im privaten Umfeld die Regeln einzuhalten, um die Verbreitung zu vermeiden. Es gibt kein Patentrezept und danach ist alles weg, sonst hätte man das ja längst angewendet.
Sind Konzerte und Theaterbesuche jetzt überhaupt noch vertretbar?
Es kommt darauf an, in welcher Region man in Deutschland lebt und wie sich dort die Fallzahlen entwickeln. Im Moment würde ich in der Rhein-Neckar-Region keinen Grund sehen, nicht ins Theater zu gehen, wenn ich die Regeln einhalten kann. Wenn man sich an einem Hotspot aufhält, ist es aber vielleicht anders. Letztlich muss jeder selbst entscheiden, wohin sie oder er geht, welches Risiko sie oder er zu tragen bereit ist. Das Einhalten der Hygiene- und Abstandsregeln in der Pandemie ist dagegen keine persönliche Entscheidung.
Rechnen Sie mit einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen bis Dezember/Januar?
Das hängt davon ab, wie wir aktuell und in den nächsten Wochen mit der Situation umgehen und ob wir sorgfältig in allen Bevölkerungsgruppen darauf achten, dass sich das Virus nicht so stark ausbreiten kann. Die starken Einschränkungen im März haben ja gezeigt, dass man die Verbreitung schnell reduzieren kann. Niemand will das wiederholen und ich bin fest davon überzeugt, dass dies auch nicht wiederholt werden wird. Aber wir haben ja gelernt, dass bestimmte Maßnahmen wirken und daran müssen wir uns jetzt halten, damit es keinen weiteren starken Anstieg im Herbst und Winter gibt. Auszuschließen ist das im Moment jedoch nicht.
Was auffällt, dass trotz steigender Neuinfektionen kaum Todesfälle zu verzeichnen sind. Woran liegt das?
Zunächst einmal sind wir froh, dass die Zahl der Todesfälle niedrig ist ...
... selbstverständlich ....
... das ist eine positive Entwicklung und das sollte man unbedingt betonen. Die aktuelle Situation ist wohl durch mehrere Entwicklungen bedingt: Zum einen haben sich in den letzten Wochen vor allem jüngere Personen infiziert. Im April und im Mai waren viele Personen über 60 Jahre und älter infiziert, im Spätsommer waren es eher Menschen in den 30ern und in den 40ern. In dieser Altersgruppe verläuft die Infektion in der Regel milder. Zum anderen können wir heute Coronapatienten viel besser behandeln und versorgen als im Frühjahr, auch wenn sicher noch viel zu tun ist. Und dann gibt es immer eine Verzögerung: Wenn die Anzahl der Infektionen ansteigt, zeigt sich ein Effekt auf die schweren Verläufe erst eine bis zwei Wochen später. Wenn man also jetzt eine Verdopplung der Infektionszahlen hat, kann man erst nach dieser Verzögerung sehen, ob auch die schweren Verläufe entsprechend zunehmen.
Viele Menschen wollen sich jetzt schützen. Die einen gurgeln Mundspülung, die anderen nutzen Erkältungssprays – sind solche Handlungen sinnvoll?
Die Wahrscheinlichkeit, dass ich damit eine Infektion verhindere, ist recht gering. Wenn ich genau zu dem Zeitpunkt, zu dem ich mich infiziere, mit einer antiviralen Substanz gurgeln würde, könnte ich die Infektion vielleicht verhindern. Aber wie soll man den Moment erwischen? Wenn sich die Viren bereits im Rachenraum vermehrt haben, wird man die infizierten Zellen durch das oberflächliche Gurgeln nicht zerstören. Es ist also viel effektiver, durch Maske und Abstand die Infektion zu verhindern.
Sie haben schon im Sommer geraten, sich unbedingt gegen Grippe impfen zu lassen, jetzt gibt es zu wenige Impfdosen. Wie erklären Sie sich das?
Ich weiß nicht genau, wie die Versorgung mit Impfstoff momentan ist, kann mir aber nicht vorstellen, dass es jetzt zu wenig gibt. Es gibt manchmal Verteilungsprobleme, so dass kurzfristig zu wenig am Ort vorhanden ist. Aber der Impfstoff wird immer für die ganze Saison produziert und ist sicher nicht Anfang Oktober schon verbraucht. Die Grippewelle selbst beginnt übrigens in der Regel im Dezember/Januar. Es bleibt also noch Zeit für die Impfung.
Rechnen Sie mit der Zulassung eines wirksamen Corona-Impfstoffes noch in diesem Jahr?
Das erscheint mir nicht wahrscheinlich, aber möglich. Wichtiger als der genaue Zeitpunkt ist, dass überhaupt ein zuverlässiger Impfstoff zugelassen werden kann, auch wenn das erst im Frühjahr der Fall sein sollte. Ich denke, dass möglicherweise im ersten Quartal 2021 die ersten Impfungen mit zugelassenen Impfstoffen durchgeführt werden und hoffe, dass wir bis Mitte des Jahres einen wirksamen Impfstoff in ausreichender Menge für die breitere Bevölkerung zur Verfügung haben werden. Das wäre dann immer noch ausreichend, um vor der nächsten Herbst- und Wintersaison möglichst viele Menschen insbesondere in den Risikogruppen zu impfen. Aber aktuell kennen wir die Ergebnisse der Phase 3 Studien noch gar nicht. Erst wenn diese Daten vorliegen, können wir sagen, ob und wie gut die aktuellen Impfstoffkandidaten vor dem Coronavirus schützen.
Ein Wechsel zur internationalen Politik: US-Präsident Donald Trump macht nach wenigen Tagen Corona-Infektion einen erstaunlich stabilen Eindruck. Müsste er als übergewichtiger Mittsiebziger nicht sichtbar angeschlagen sein?
Es ist schwer zu sagen, wie krank er tatsächlich war, weil die Öffentlichkeit den genauen Krankheitsverlauf nicht kennt – und das muss ja auch nicht sein. Man hat sicherlich alle aktuell zur Verfügung stehenden Mittel in ihn hineingejagt. Man hat ihm Antikörper gegeben, man hat ihm Remdesivir gegeben, man hat ihm Dexamethason gegeben – in dieser Phase und in dieser Kombination würde man das sonst nicht machen. Ob und wenn ja welches dieser Medikamente wirksam war, wissen wir nicht. Ich gehe aber davon aus, dass ein Teil dieser Therapie Grund dafür ist, dass er so schnell aus der Klinik wieder rausgekommen ist – wobei wir ja nicht wissen, wie krank er jetzt ist. Aber, dass er nicht schwer krank ist, das ist offensichtlich.
Ab wann ist ein Patient – rein statistisch betrachtet – über dem Berg?
In der Regel zeichnen sich die schweren Verläufe zum Ende der ersten und Beginn der zweiten Krankheitswoche ab. Das heißt, nach fünf bis acht Tagen zeigt sich, wie der weitere Verlauf der Krankheit sein wird.
Auf Trump bezogen, müsste er also durch das Gröbste durch sein?
Ich gehe nicht davon, dass die Krankheit bei ihm noch einen schweren Verlauf nehmen wird – ausschließen kann man natürlich nichts. Man weiß auch nicht genau, wann die ersten Symptome aufgetreten sind. Es gibt Spekulationen, dass er Symptome deutlich vor dem Zeitpunkt hatte, zu dem er die Infektion über Twitter bekannt gab. Insgesamt habe ich aber den Eindruck, er nutzt das alles für die große Trump-Show – und vielleicht sollten wir uns mehr mit den anderen Kranken beschäftigen, als mit diesem einen.