Kläger Herbert Gilbert kann sich freuen: Er bekommt als Entschädigung für seinen Sharan rund 25 600 Euro. Foto: dpa
Von Nico Esch und Anja Semmelroch
Karlsruhe.Die finanziellen Folgen sind schmerzhaft, der Imageschaden erst recht: Im Dieselskandal kassiert VW vor dem Bundesgerichtshof (BGH) eine heftige Niederlage. Mit dem Karlsruher Urteil vom Montag ist erstmals höchstrichterlich festgestellt, dass der Autobauer seine Kunden vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat. Für viele Diesel-Kläger ist das der Durchbruch – auch wenn Fragen offen bleiben. (Az. VI ZR 252/19)
Was haben die Richter entschieden? Unstrittig war, dass VW Millionen Fahrzeuge mit einer illegalen Abgastechnik ausgestattet hat. Mit dem BGH-Urteil steht nun fest: Der Konzern ist klagenden Käufern zu Schadenersatz verpflichtet. VW habe nicht nur die Behörden systematisch getäuscht, sondern sich auch gegenüber den Kunden "besonders verwerflich" verhalten. Diese hätten sich in vollstem Vertrauen für einen VW-Diesel entschieden – und tatsächlich ein Auto bekommen, das "nicht voll brauchbar war". Es habe immer die Gefahr bestanden, dass der Schwindel auffliegt und das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Autos aus dem Verkehr zieht.
Schadenersatz – was bedeutet das? Im Grunde muss VW den Kauf ungeschehen machen, also das Auto zurücknehmen und dem Kunden das gezahlte Geld erstatten. Das gilt sogar für Gebrauchtwagen aus zweiter Hand. Allerdings berücksichtigt das BGH-Urteil, dass die Käufer das Auto einige Zeit gefahren und damit auch davon profitiert haben. Diese Nutzung müssen sie sich anrechnen lassen. Es gibt also nicht den vollen Preis zurück. Schadenersatz können auch nur noch die Kunden bekommen, die VW bereits verklagt haben und deren Verfahren noch läuft.
Wer profitiert von dem Urteil? Kläger wie Herbert Gilbert aus Rheinland-Pfalz, dessen Fall nun als erster vor den BGH-Richtern gelandet ist. Seinen VW Sharan kauft er 2014 von einem freien Händler, gebraucht, für knapp 31.500 Euro. Als im Herbst 2015 der Dieselskandal auffliegt, fühlt er sich getäuscht. Auch in seinem Auto steckt ein Motor vom Typ EA189, dessen illegale Technik dafür sorgt, dass der Wagen die Abgas-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand einhält. Hätte er das gewusst, hätte er den Sharan nie gekauft, sagt Gilbert. Also verklagt er VW.
Welche Abzüge muss er in Kauf nehmen? Gilberts Auto ist nicht viel gefahren. Beim Kauf hat es 20.000 Kilometer auf dem Tacho. Als das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz seinen Fall 2019 verhandelt, sind es gut 72.000 Kilometer. Die OLG-Richter nehmen an, dass der Sharan es auf eine Laufleistung von 300.000 Kilometern bringen würde. Aus diesen Werten errechnen sie die Nutzungsentschädigung, in diesem Fall 5900 Euro. Diese Summe wird vom Kaufpreis abgezogen. Unterm Strich bekommt Gilbert also rund 25.600 Euro Schadenersatz zugesprochen.
Können andere Kläger auf ähnliche Summen hoffen? Die Richter haben das Koblenzer Urteil weitgehend bestätigt. Insbesondere haben sie kein Problem mit den 300.000 Kilometern Laufleistung. Die Gerichte hätten hier einen weiten Spielraum, sagt der Senatsvorsitzende Stephan Seiters bei der Verkündung. Das OLG hätte "auch mehr oder weniger schätzen können". Trotzdem dürfte Gilbert gut weggekommen sein, denn viele Kläger haben viel mehr Kilometer zurückgelegt. Das bedeutet höhere Abzüge für die Kunden – und weniger Kosten für VW.
Wem hilft das Urteil und wem nicht? Laut VW sind aktuell noch 60.000 Verfahren anhängig. Wer sich an der Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentralen gegen VW beteiligt und den bereits ausgehandelten Vergleich angenommen hat, verzichtet damit auf weitere Ansprüche. Und dafür haben sich viele entschieden: Nach Konzern-Angaben wurden inzwischen 240.000 Vergleiche abgeschlossen, nur 1000 wurden widerrufen. Ganz neue Klagen sind nicht mehr möglich. "Wer jetzt erstmals wegen seines EA-189-Diesels Ansprüche geltend macht, ist wegen Verjährung zu spät", sagt ADAC-Rechtsexperte Markus Schäpe.