Von Steffen Rüth
Das legendäre Motown-Label war und ist die Heimat von stilprägenden Soul-Größen wie Marvin Gaye, Stevie Wonder, Aretha Franklin oder den Jackson Five. Und neuerdings darf sich auch Joy Denalane zu den Motown-Künstlerinnen zählen, denn ihr neues Album "Let Yourself Be Loved" ist das erste einer deutschen Musikerin, das bei Motown erscheinen wird. Es ist geprägt vom goldenen Soul der Sixties und Seventies. Steffen Rüth sprach mit Joy Denalane nicht nur über Soul, sondern auch über Rassismus.
Joy, wirst Du jetzt zum Weltstar?
Joy Denalane (lacht): Ich bleibe da sehr entspannt und gucke jetzt einfach mal, was passiert. Mein Album wird jetzt in der Tat auch in den USA veröffentlicht, und was das für Folgen hat, das werden wir sehen. Das Ziel war nicht, ein Album für den amerikanischen Markt zu machen. Sondern Musik zu machen, die wir lieben.
Du hast früher auch schon mal einige Konzerte in den USA gespielt. Sind Auftritte dort geplant?
Ohne Corona wäre ich sehr wahrscheinlich nach Amerika geflogen, um dort zu arbeiten und das Album persönlich vorzustellen. Die Reisebeschränkungen machen das aktuell nicht möglich. In jedem Fall freue ich mich über diesen Zuspruch und darüber, dass ein Label, das mich als Musikerin so geprägt hat und deren Künstlerinnen und Künstler ich unheimlich mag, sagt: "Das ist ein spannendes Album. Wir wollen mit Joy arbeiten."
Wie kam der Kontakt mit Motown zustande?
Jemand aus dem Team meiner Berliner Plattenfirma ist in die USA geflogen und hat das Album bei Motown vorgestellt. Als er mit einem "Ja" zurückkehrte, war ich natürlich sehr glücklich und stolz.
Du hast schon vor fünf Jahren in New York an englischsprachigen Soulsongs gearbeitet, das Projekt dann aber zugunsten Deines Albums "Gleisdreieck" erst einmal zurückgestellt. Was war jetzt anders?
Es musste dann doch noch reifen (lacht). Wir haben das damals eigentlich ganz gut gemacht, aber den Sound doch nicht so ganz richtig getroffen. Ich konnte es nicht genau erklären, aber irgendetwas fehlte mir. Also habe ich es beiseitegelegt, bis mir die zündende Idee kam, mit wem ich diese Songs weiterentwickeln und produzieren kann.
Nämlich mit Roberto Di Gioia, einem langjährigen Freund und musikalischem Weggefährten.
Genau. Roberto war die ganze Zeit da, aber immer als Teil unseres Produktionsteams. Eigentlich verrückt, dass ich nicht früher auf ihn gekommen bin. Roberto kennt sich in dieser Zeit zwischen Ende der 60er und Anfang der 70er aus wie niemand anderes, den ich kenne. Roberto ist ein Nerd, sehr akribisch und detailverliebt. Die Zusammenarbeit war wahnsinnig toll und hat sehr viel Spaß gemacht.
Habt Ihr wieder in New York gearbeitet?
Nee. In München-Unterföhring (lacht).
Aus den Songs spricht eine Menge Zuversicht und insgesamt ein positiver Blick aufs Leben.
Dieser Optimismus ist einer meiner großen Lebensantriebe. Der Wunsch, nach vorne zu gehen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, anstatt mich vom Leben verunsichern zu lassen und proaktiv Dinge zu entscheiden, das macht mich schon auch aus.
Was ist für Dich das Einzigartige am Soul der späten 60er und frühen 70er Jahre?
Erst mal ist das Songwriting großartig. Viele dieser Lieder sind Evergreens. Und ich liebe die Dringlichkeit in der Botschaft vieler Soulsongs. Man kann an diesen präzisen Songs nicht einfach dran vorbeihören. Ich habe angefangen, die Platten meines Vaters zu hören, bevor ich lesen konnte. Meine musikalische Prägung fand in dieser Soul-Ära statt, mit drei, vier, fünf Jahren habe ich die DNA dieser Musik verinnerlicht. Ich glaube, dass ich immer wieder bewusst und unbewusst beim Komponieren von Melodien auf diese frühkindliche Erfahrung zurückgreife. Rückblickend kann ich sagen: was für ein Segen!
Stichwort "Dringlichkeit". Deine Soulsongs wie "I Believe", "Stand" oder "Put In Work" gehen nach vorne, haben Tempo und Energie. Wie leicht ist es Dir gefallen, einerseits neue Songs zu schreiben und zugleich diesen klassischen Soul-Ton zu treffen?
Das Genre stand beim Schreiben in New York schon fest, ich wusste: Ich will ein Soul-Album machen. Dementsprechend habe ich darauf geachtet, wie die Lieder aufgebaut sind. Für mich hätte es nicht gepasst, eine Nummer wie "I Gotta Know" zurückgenommen zu singen. Da geht es um eine Botschaft, die man gerne auch laut und mit fester Stimme singt.
Die Motown-Ära war geprägt von gesellschaftlichen Umbrüchen, von Bürgerrechtsbewegungen und dem Kampf gegen Rassismus. Ist Dein Album auch deshalb so zeitgemäß, weil wir diese Auseinandersetzungen gerade in ähnlicher Form wieder erleben?
Für mich als schwarze deutsche Frau ist diese Zeit ja sozusagen immer. Natürlich hat die Debatte jetzt durch traurige Anlässe und furchtbare Ereignisse wie den Mord an George Floyd eine neue Sichtbarkeit erreicht, und die "Black Lives Matter"-Bewegung erlebt noch sehr viel mehr Zuspruch. Nach Außen hat sich also verstärkt, was für mich innerlich immer ein großes Thema gewesen ist. Ein Thema, das sich auch durch mein Schaffen zieht, und mit dem ich mich immer wieder befasst habe. Rassismus ist für mich stets brandaktuell. Dass die Platte nun so gut in die Zeit passt, hatte ich nicht geplant, denn ich hatte die Songs ja schon vor "Black Lives Matter" geschrieben.
Auch in Deutschland wird gerade viel über Rassismus gesprochen. Denkst Du: Endlich merken auch die anderen, womit ich mich schon mein ganzes Leben auseinandersetze?
Ich finde es toll, dass wir diese Debatten führen. Die Solidarität gegen ein hochgradig und strukturell rassistisches System hat sich wie eine Riesenenergiewelle über die ganze Welt ausgebreitet. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der eine ganz andere Welle, nämlich Corona, die Menschen aufreibt und verunsichert.
Was für Erkenntnisse wünschst Du Dir speziell für Deutschland aus dieser Bewegung?
Eine offene Diskussion darüber, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist und wie unsere Privilegien verteilt sind. Ich finde es toll, wenn wir jetzt den Blick nach innen, auf die eigene Fehlbarkeit, richten würden. Auch in Deutschland gibt es institutionellen Rassismus. In manchen Bereichen sind Leute wegen ihrer Hautfarbe einer Willkür ausgesetzt.
Info: "Let Yourself Be Loved" erscheint am 4. September. Das Cover zeigt die beiden Nichten von Joy Denalane.