Von Klaus Welzel
Über Goethe schreiben, das machen viele. Über Hände? Schon weniger. Der Mannheimer Germanist und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch verbindet in seinem Buch "Hände" beide Motive. Was er sich dabei dachte, verrät er hier.
Professor Hörisch, Ihre eigenen Hände tragen Sie jetzt schon fast 70 Jahre. Wie kamen Ihnen die Idee, über Hände ein Buch zu schreiben?
Da kam eine bleibende Kindheitserinnerung mit reifer Lektüre zusammen: Ich bekam handfeste Probleme mit Spielkameraden, als mir in jungen Jahren nicht einleuchten wollte, dass man nur mit dem Fuß und nicht mit den viel besser geeigneten Händen das Runde ins Eckige bewegen darf. Viel später dann die Entdeckung: Es gibt unendlich viel Literatur zu Goethe, doch kein Buch über DAS Leitmotiv seines gesamten Werkes: Hände.
Welchen Bezug haben sie zu Ihren eigenen Händen?
Einen positiven: In pubertären Jahren stellte ich befriedigt fest, dass mein Ringfinger länger ist als mein Zeigefinger .... In der Bravo stand, dass das ein Zeichen von Männlichkeit ist; in seriöseren Organen ist tatsächlich Ähnliches zu lesen. Und einen negativen: Ich bin handwerklich sensationell unbegabt.
Gibt es ein besonderes Ereignis, das Sie mit Ihren Händen verbinden?
Das erste Mal im Kino die Hand auf die Hand, dann gar auf das Knie einer jungen Frau legen und selig bang warten, wie sie darauf reagiert.... Aber ob das ein besonderes Ereignis ist – haben das nicht fast alle erfahren?
Achten Sie selbst auf die Hände der anderen? Etwa, wenn Sie jemanden kennenlernen?
Ja, die Welt der Menschen, die mit Händen und Füßen reden, ist eine andere als die der Unbewegten. Hände signalisieren unfassbar vieles: gepflegte, abgearbeitete, mit Altersflecken versehene Hände, dezente oder auftrumpfende Ringe am Finger, lackierte oder bloße Fingernägel, Raucherhände, zitternde Hände, Künstlerhände, knochige oder fleischige Hände etc. – das sagt nicht alles, aber doch sehr vieles über die Person, der wir begegnen.
Was sagen Hände Ihrer Erfahrung nach über jemand anderen aus?
Hände geben recht klar zu verstehen, ob jemand zupackend, besitzergreifend, sensibel, handgreiflich, ängstlich etc. ist. Schon das erste Signal ist deutlich: Weiß jemand nicht, wohin er mit seinen Händen soll, steckt er sie in die Hosentasche, wendet er, beziehungsweise sie mir die Hände zu? Wir sind wohl alle Chiromantiker; wir glauben an die Aussagekraft nicht nur der Handlinien. Wir wissen eben, dass ein Fingerabdruck ein unverwechselbares Identitätszeichen ist. Die Bundeskanzlerin signalisiert uns mit ihren Hände-Rauten, dass sie den Rahmen vorgibt.
Ihr Buch wimmelt nur so vor sprachlichen Hand-Bildern. Hat das Schreiben ihren alltäglichen Gebrauch von Sprache nachhaltig verändert?
Nicht nur mein Buch, sondern die deutsche – wie viele andere – Sprachen wimmelt von Hand-Wendungen, die fast zu verbreitet sind, um eigens aufzufallen. Beim Schreiben erst ist mir aufgegangen, wie sehr politisch-ökonomische Leitprobleme, die uns seit Jahrzehnten umtreiben, mit Händen zu tun haben: das lateinische Wort "manus", also Hand, steckt in Begriffen wie Manipulation, Emanzipation – ja selbst in der Frage, ob Manager zu viel Bonizahlungen in die Hand gedrückt bekommen, wenn sie bei der Führung von Unternehmen eine geschickte Hand haben.
Hand aufs Herz: Haben Sie es beim Schreiben nicht bedauert, kein Anatom, kein Arzt zu sein, um die Materie noch besser zu verstehen?
Ein klares Ja – bis auf den Anatomen! Aber man kann sich da auch als Laie einarbeiten; ich halte mich an die Devise "nicht einschüchtern lassen", Interdisziplinarität nicht nur behaupten, sondern, soweit verantwort- und handhabbar, handfest praktizieren. Aber ich will und kann den Handchirurgen und der Manikürebranche keine Konkurrenz machen.
Hängt eigentlich eines der vielen Hand-Bilder, die im Buch zu sehen sind, auch bei Ihnen zu Hause?
Um Dürer-, da Vinci- oder Dix-Gemälde zu sehen, muss ich leider in ein Museum gehen. Aber ich sammle tatsächlich die eine oder andere kleine Handskulptur.
Sind Sie eigentlich Rechts- oder Linkshänder – und hat das eine Bedeutung für Sie?
Meine Frau ist ausgeprägte Linkshänderin, ich bin ordinärer Rechtshänder. Dennoch sind wir seit 45 Jahren verheiratet und gehen (zumeist) Hand in Hand durchs Leben. Eine Bedeutung hat die Links- beziehungsweise Rechtshändigkeit gewiss: das Linke ist sprachlich abgewertet: man ist linkisch, will jemanden linken, hat zwei linke Hände. Das Rechte gilt hingegen als das Richtige: auch im juristischen Sinne, auch in anderen Sprachen; im Englischen "right", im Französischen "droit". Ein großes Psychoproblem für die politische Linke. Die Faustregel gilt wohl: Linkshänder, wie Goethe und Einstein, sind wie viele Minderheiten interessanter und produktiver als die Mehrheit.