Von Antje Urban
Die Berlin Fashion Show in diesem Jahr erregte weniger Medienaufmerksamkeit mit den neuesten Modekreationen als mit den Models, die sie vorführten. Was sonst so perfekt und auswechselbar auf den Laufstegen in Erscheinung tritt, soll jetzt irritieren, provozieren oder vielleicht zu Diskussionen anregen. Oder soll noch mehr Extravaganz einfach für noch mehr Extra-Beachtung sorgen? 2012 ließ der Designer Michael Michalsky erstmalig eine Schwangere auf dem Catwalk laufen. Ein Jahr später sorgte in New York das Albino-Model Shaun Ross für Aufsehen. In New York im letzten Jahr reagierten die Zuschauer begeistert, als eine junge Frau mit Downsyndrom auftrat.
Immer öfter haben Models nicht nur auffallende Eigenheiten oder kleine optische Fehler, wie in den 90er Jahren Cindy Crawford mit ihrem Leberfleck im Gesicht. Heute muss es mehr sein. Etabliert als Model hat sich zum Beispiel Mario Galla. Der junge Mann hat nicht nur ein markantes Gesicht, sondern auch eine Beinprothese. Wie sein Manager Paul James Hay von der Agentur Core Management in Hamburg verrät, lief Galla aber bereits jahrelang auf Schauen, ohne dass jemand von der Prothese wusste. Erst der Designer Michael Michalsky ließ ihn dann ganz bewusst mit kurzem Beinkleid auftreten. "Natürlich erregt das zunächst mal mehr Aufsehen, aber es sorgt auch für eine mediale Plattform. Es ist wichtig, solche Models zu fördern, damit sie andere mit Handicap ermutigen", findet Hay.
Und auch Tan Caglar lobt seinen Modelkollegen: "Er modelt, obwohl er eine Prothese hat und nicht, weil er eine hat." Er selbst sitzt im Rollstuhl und durfte erstmalig in diesem Jahr bei der Berlin Fashion Show für das Herrenlabel Fredini auftreten. Der 35-jährige Caglar ist eigentlich Profi-Basketballer und modelt nur nebenbei.
Kommen jetzt die Älteren?
Für ihn war der Catwalk eine große Bühne. "Die Medienpräsenz war enorm. Das zeigt ja, dass es anscheinend doch nicht so normal ist, was ich da mache." Da er nebenberuflich auch Seminare zum Thema Inklusion gibt, will er mit seinem Auftritt, die Branche dazu anregen, umzudenken. "Die Leute sind aufgestanden und haben applaudiert - das gibt Selbstbewusstsein. Trotzdem habe ich auch viel Neid gespürt aufgrund dieser Aufmerksamkeit. Doch genau das ist Inklusion", sagt er.
Für Carlos Streil von der Eastwest Agentur in Frankfurt, der rund 350 Models unter Vertrag hat, bleibt es dennoch eine Nische. Der erfahrene Agenturchef ist generell auch für "je bunter desto besser". Doch wirklich geändert habe sich seiner Meinung nach nichts in der Branche. "Es wird immer eine Norm geben. Wenn man etwas außerhalb der Norm macht, sorgt es für Aufmerksamkeit."
Bislang waren Modeschauen weniger Orte, die die Realität abbilden: standardisierte Körper in sogenannten Size Zero Größen - von Individualität keine Spur. Warum also plötzlich dieses Interesse an dem Andersartigen? "Publicity" ist genau das eine Wort, das Eveline Hall kurz und knapp auf die Frage antwortet, was ihrer Meinung nach hinter den Auftritten von behinderten Models steckt. Auch sie ist ein Model abseits der Norm. Mit 68 Jahren ist sie das wohl älteste Supermodel der Welt. Die Deutsche, die früher Tänzerin und Showgirl in Las Vegas war, wurde mit 65 Jahren entdeckt. Aber sie glaubt nicht daran, dass zukünftig Ältere die Laufstege erobern werden. In der Werbung sähe das eventuell anders aus. Dort werden tatsächlich immer öfter gezielt "Misfits Models" - also Menschen mit Makeln - genommen. Manch eine Agentur hat sich sogar auf die Vermittlung solcher Models spezialisiert.
Die Werbewirkung kann tatsächlich extrem ausfallen - so wie im Falle von Chantelle Brown Young, die für die Marke Desigual das neue "Gesicht" ist. Ein sehr Auffälliges, denn mit ihrer sogenannten Weißflecken-Krankheit ist sie alles andere als gewöhnlich. Seit sie für diese Werbekampagne gebucht wurde, ist sie in allen Medien präsent. Doch Streil, der mit seiner Agentur zum Beispiel für Bogner und Porsche Design Models aussucht, sieht diesen Trend der "ungewöhnlichen" Models weniger für Deutschland. Zu wenige deutsche Designer und Marken seien für so etwas mutig genug. "Bei mir haben sich schon einige Transgender-Models beworben, aber ich weise sie nicht ab, weil ich dagegen bin, sondern, weil ich keine Kunden dafür in Deutschland habe." Im Gegensatz zu den Niederlanden: Hier gab es im letzten Jahr eine weitere Überraschung, als in der niederländischen Castingshow "Holland’s Next Top Model" das Transgender-Model Loiza Lamers gewann.
Doch sollte diese, sonst so von Schönheitsidealen geprägte Modewelt, ernsthaft die volle Bandbreite der Menschen widerspiegeln wollen, warum sind dann schon normal gewichtige Models nicht auf den Laufstegen dieser Welt zu sehen? Muten die meisten der einheitlich schönen Damen und Herren doch noch immer eher Kleiderständern an. So müsse das auch sein, erklärt Streil: "Die Fashion Weeks sind dazu da, zu zeigen, was möglich ist und nicht was man tragen muss! Das muss endlich mal in die Köpfe. Wichtig für die Designer ist, dass der Stoff am Model wehen und leben kann." Das sei eben mit schlanken Models am besten zu präsentieren.
Anders sähe nach seiner Erfahrung die Entwicklung der "Bigsize Models" aus - auch "Curvy Models" genannt. Ab Kleidergröße 40/42 gehört ein Mädchen in seiner Kartei zu dieser Gruppe. Bei anderen Agenturen schon ab Kleidergröße 38/40. Hier sei die Nachfrage groß - aber eben auch nur für die Werbung oder für spezielle Modenschauen. Auf den großen Haute Couture Shows bleiben diese Models aber Exoten oder werden besonders bejubelt, wenn sie denn mal erscheinen dürfen.
Die Regel: 90 - 60 - 90
Entsprechend medienwirksam war dann auch auf der Berlin Fashion Week der Aufruf der Mainzer Designerin Anja Gockel, für hagere Models eine Gesundheitsbescheinigung einzuführen, so wie es bereits in Frankreich gehandhabt wird. Für Streil ist das alles Quatsch. Er muss sogar lachen bei dieser Aussage. "Ich suche keine Models mit Größe 42, die sich dann auf Größe 36 runterhungern müssen", sagt er. Wer in der Champions League arbeiten wolle, müsse Regeln einhalten und eine davon sei nun mal, die Maße 90 - 60 - 90 zu haben. "Professionelle Models bereiten sich für die wenigen internationalen Fashionshows jedes Jahr vor und trainieren ihre Körper entsprechend. Da wird nicht gehungert."
Die großen Modenschauen dieser Welt sollen also angeblich weniger ein Schönheitsideal zur Schau tragen, als Mode, die eben nur an dünnen Menschen wirkt. Doch die Kunden und potenziellen Träger dieser Modelabels sind selten magere Damen und in vielen Fällen eben auch Menschen mit Behinderungen. Oder ganz einfach nur keine Weißen. Und auch hier ist die Branche seit Jahren eher zurückhaltend: Obwohl die Absatzmärkte für europäische Mode in Asien seit Jahren steigen und in diesem Luxussegment auch Zuwächse im Mittleren Osten und Afrika zu verzeichnen sind, überwiegt auf den Laufstegen noch immer der "nordische Modeltyp" - also mit weißer Hautfarbe.
Die amerikanische Organisation Diversion Coalition, die sich für die Vielfalt in der Branche einsetzt, hat die wichtigsten Schauen der letzten Modeveranstaltungen ausgewertet: Auf 174 Schauen liefen 3874 Models, davon waren 79,4 Prozent weiß, 10,2 Prozent schwarz und 6,5 Prozent asiatisch.
Tan Caglar, der in Berlin zum ersten Mal modelte, bekommt zwar jetzt viele Anfragen, aber er ist sich nicht sicher, ob das für lange bleibt. Paul James Hay sieht den Einsatz von Models, speziell im Rollstuhl, als schwierig an, da hier weniger der Fokus auf der Kleidung liegen könne, dennoch sei es dann eine politische Aussage, und die wäre von noch größerer Bedeutung. "Mehr Toleranz würde unserer Branche guttun", sagt er.