Man nannte ihn schon mal den "fleischgewordenen Stöckelschuh". Ja, man kennt Jorge Gonzalez aus dem Fernsehen, als schrillen Laufsteg-Coach in High-Heels, als Strahlemann, als kubanischen Temperamentbolzen mit dem rasselnden spanischen Akzent. Oder meint ihn zu kennen. Denn bei unserem Interview in seiner Wahlheimat Hamburg schlug der 48-Jährige mal ganz andere Töne an - unter anderem hört man ihn (ab 8. September) in der deutschen Version des kultverdächtigen Kinospaßes "Absolutely Fabulous". Kniestrümpfe, Kostümchen, glatte Haare und natüüüürlich High Heels, so begrüßt uns Jorge in einer ehemaligen Hoteldiscothek im 26. Stock - und hat mit geschätzten 1,90 Meter Gesamtgröße natürlich den Überblick. RNZ-Mitarbeiterin Mariam Schaghaghi sprach mit Jorge Gonzalez.
Jorge, man assoziiert Sie automatisch mit Leichtigkeit und Lebensfreude. Haben Sie generell so ein sonniges Gemüt?
Ich glaube, das ist tatsächlich genetisch. Das habe ich von meinem Vater und meiner Mutter geerbt, die mich gelehrt haben, positiv durchs Leben zu gehen. Als Kind war ich auch schon so optimistisch. Sie haben mir beigebracht: "Wenn mal eine Sache nicht klappt, macht das nichts. Am nächsten Tag klappt sie bestimmt. Du musst halt analysieren, woran es gelegen hat, dann wird es das nächste Mal besser laufen." Das macht es dir als Erwachsener später einfacher, durchs Leben zu gehen und deine Ziele zu verfolgen.
Dabei ist Ihre Kindheit und Jugend eher von Tragödien geprägt: Sie haben alles daran gesetzt, Kuba im Alter von 17 Jahren zu verlassen?
Ja, ich wollte dort weg.
Weil dort Homosexualität nicht offen gelebt werden konnte?
Richtig.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass Ihre persönliche Freiheit dort eingeschränkt sein würde?
Das ging schon im Alter von vier Jahren los. Ich wollte damals Balletttänzer werden. Mein Vater war sehr dagegen, denn er wollte keine Ballerina in der Familie haben. Damals waren Männer noch stark auf "Machismo" geeicht, und Balletttänzer waren in aller Augen automatisch schwul. Da hatte ich schon den Eindruck, in der falschen Welt zu leben.
Sie fühlten sich dort fehl am Platz? Unerwünscht?
Ich fühlte mich anders. Es fühlte sich falsch an. Ich habe recht früh Widerstand dagegen aufgebaut und mich gefragt, was ich machen kann, um in so einer Welt zu überleben. Ich wollte nicht ständig mein zweites Ich verstecken. Als ich mich entschloss fortzugehen, habe ich das nicht nur allein für mich getan, sondern auch um meine Familie zu schützen. Denn damals hätte das Schande über sie gebracht, wenn ich offiziell als Homosexueller gegolten hätte.
Was war denn Ihr Plan, um Kuba zu verlassen?
Ich habe mir früh vorgenommen, immer der Beste in der Schule zu sein. So konnte ich einen Studienplatz im Ausland ergattern. Dieses Ziel habe ich mir schon als kleines Kind gesetzt.
Waren Ihre Eltern trotzdem Ihre Komplizen und haben es gut geheißen, dass Sie das Land verlassen, um sich zu entfalten und Ihr Leben in Freiheit zu leben?
Meine Eltern haben nie mit mir über diesen Teil meiner Persönlichkeit gesprochen. Meine Mutter hat mir später mal gesagt, sie hätte es vermutet. Aber ich war ein sehr aktives Kind, ich habe viel Sport getrieben, Theater gespielt, getanzt, gelesen, war gut in Mathe. Die Leute sollte mitbekommen, was ich leisten konnte, da habe ich viel Energie hineingesteckt. Dahinter habe ich bewusst mein anderes Ich versteckt. Meine Eltern sollten zu hören kriegen, was für tolle Leistungen ich erziele. Ich habe mir darüber auch beweisen wollen, dass ich als Homosexueller zu solch guten Leistungen fähig bin. Denn du entwickelst als Schwuler aufgrund der gesellschaftlichen Ablehnung automatisch einen Minderwertigkeitskomplex.
Sie haben mit 17 tatsächlich ein Stipendium bekommen, und zwar für das Fach Nuklearökologie in Bratislava, das Sie mit einem Magister beendeten. Wissen Sie heute noch aus irgendwas aus der Atomforschung?
Viel! Denn ich bin nach wie vor mit vielen Freunden in Kontakt, die in der Welt verstreut im Atomenergiesektor arbeiten. Mich interessiert nicht so sehr der Aspekt der Atomforschung, sondern die Ökologie. Es hat sich über die Jahre alles in eine andere Richtung entwickelt.
Nervt es nicht, dass Sie meist auf den Berufsclown reduziert werden?
Ich sehe mich nicht so sehr als Clown oder Paradiesvogel, aber habe kein Problem damit, wenn andere das tun. Deutschland hat eben ein Problem mit echten Typen, mit Individualisten. Hier ist auch noch nicht so richtig angekommen, was Entertainment ist. Du wirst schnell in eine Schublade gesteckt: Entweder du bist Entertainer oder Intellektueller, beides zusammen geht in den Augen der Deutschen nicht. Dabei hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Solche Schubladen mag ich nicht.
Haben Sie in einer Ihrer Sendungen je versucht, den Nuklear-Akademiker mit dem Paradiesvogel zusammen zu bringen vereinbaren?
Nein, das gehört da einfach nicht rein. In einigen seriösen Talkshows wie "Zimmer frei!" oder bei Bettina Böttinger kann ich zeigen, dass ich mehr bin als nur dieser Paradiesvogel auf High Heels. Doch in Sendungen wie GNTM oder Let’s Dance geht das nicht! Da wollen die Leute Jorge, den Entertainer sehen, wollen sich amüsieren. Wenn jemand etwas über mich wissen will, soll er mein Buch lesen!
Sie haben anfangs von Ihrem geheimen, zweiten Ich erzählt. Sind die beiden Ichs heute vereint?
Zum Glück ja. Ich habe in Deutschland diese innere Freiheit gefunden. Hier muss ich mich nicht verstecken und kann sagen, was ich denke. Ich tue das, was meinem Herzen und meiner Seele wichtig ist.
Wie kommt es, dass Hamburg zur Wahlheimat, zur richtigen Stadt für Jorge geworden ist?
Hamburg ist mein Zuhause. Hamburg ist der Ort, wo ich angekommen bin und eingeatmet habe und sofort wusste: Das ist es, Das war Liebe auf den ersten Blick. Freunde hatten mir zu dieser Stadt geraten, weil sie wussten, dass es mich ans Wasser zieht und ich gern im Grünen bin. Hier ist es auch schön sauber und so ruhig! Ich bin eher ein lauter Typ, und als ich hier ankam, habe ich sofort meine innere Ruhe gefunden. Ich ging an der Alster spazieren und wusste, dass ich hierher ziehen muss. Ich hatte schon viel gesehen von der Welt, doch so richtig wohl gefühlt habe ich mich erst in Hamburg. Also habe ich meine Sachen gepackt.
Stimmt es, dass Sie für Germanys Next Topmodel beim Casting in High Heels laufen sollten?
Nein - also ja. Aber ich trage High Heels schon, seit ich siebzehn bin.
Aus echter Überzeugung und liebend gern?
Ja! Als Kind habe ich nur damit gespielt. Später in der Slowakei habe ich dann als Model gearbeitet. Bei einer Modenschau sollten die Mädels mal in High Heels tanzen und haben den ganzen Tag probiert, aber es klappte nicht. Da habe ich zum Spaß gesagt: "Gib her, ich zeig dir, wie’s geht!" Ich habe die Schuhe angezogen und auf Anhieb darauf tanzen können. Die Mädels waren hin und weg. Ich habe keine Ahnung, warum es sofort geklappt hat, es kam mir überhaupt nicht schwer vor.
Moment: Welche Schuhgröße haben Sie denn?
41. Die Models haben alle 41 bis 43. In dem Moment wusste ich noch nicht, dass es so etwas wie einen Catwalk-Trainer gibt. Ein Freund aus Paris hat mir ein Video geschickt, wo so ein Catwalk-Trainer zu sehen war. Also dachte ich mir, eine schöne Gelegenheit, noch extra Geld zu verdienen! (lacht) Und so habe ich in der Slowakei angefangen, Models zu trainiere. Das war meine Passion. Dann habe ich auf einer Flower-Power-Party auf Ibiza High Heels getragen. Und per Zufall bin ich ins Casting für GNTM geraten. Als sie mich fragten, ob ich auf Stilettos laufen könnte, habe ich mir welche geschnappt und es ihnen vorgeführt! Sie suchten nach Bruce einen neuen Catwalk-Trainer für ihre Show und waren beeindruckt, wie locker ich darauf gehen konnte.
Sie lieben Entertainment und waren bereits in ein paar Gastauftritten in Filmen zu sehen. "Ansolutely Fabulous" ist eine Kult-TV-Serie, in der Sie nun einer Figur Ihre Stimme leihen. Warum konnten Sie hier nicht ‚nein’ sagen?
Weil ich die Serie immer schon geliebt habe. Ich habe sie auf DVD. Als ich gehört habe, dass es einen Film dazu geben soll, dachte ich nur: "Super!". Ich hätte natürlich viel lieber darin mitgespielt! (lacht) Ich war in London bei der Premiere dabei und fand ihn herrlich - lustig, übertrieben, trockener englischer Humor, das ist Kult! Das hat mir viel Spaß gemacht.
Schaffen es solche News bis nach Kuba? Ihre Mutter ist mittlerweile gestorben, Ihr Vater lebt ist über 90. Erzählen Sie ihm viel von sich?
Er ist 94 und gerade hier zu Besuch. 1997 bin ich das erste Mal wieder Kuba geflogen.
Ist es für Sie wichtig, dass diese beiden Welten ineinander greifen?
Ja, sehr! Jetzt kann ich auch auf Kuba frei atmen. Es ist schön, wieder in mein Land zu kommen und nicht mehr diskriminiert zu werden. Wir kämpfen dort immer noch um unsere Rechte, aber heutzutage ist es keine Schande mehr, dort homosexuell zu sein. Wir sind dort akzeptiert, es gibt auch eine Gay Parade. Es ist schön zu sehen, wie sich Kuba verändert.