Mannheim

Pflegerin soll über 80.000 Euro vom Konto eines Seniors abgezweigt haben (Update)

Sie hob hohe Geldbeträge vom Konto ihres 98-jährigen Schützlings ab - Gericht bemisst Schaden auf 80.000 Euro

21.01.2021 UPDATE: 22.01.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden

Von Olivia Kaiser

Mannheim. Die Pflegerin, die beschuldigt wird, sich am Konto ihres 98-jährigen Schützlings bedient zu haben, und die sich 200.000 Euro per Schenkungsurkunde aneignen wollte, hat am Donnerstag bei ihrem Prozess am Mannheimer Landgericht die Vorwürfe eingeräumt. Seit 2017 pflegte die 63-Jährige einen Bekannten ihres verstorbenen Mannes. Da sie auch alle Einkäufe für ihn erledigte und Rechnungen beglich, hatte der Senior ihr eine Kontovollmacht eingeräumt. Die Frau, die wie ihr Schützling aus Polen stammt, soll zwischen Juni 2019 und Mai 2020 immer wieder Beträge abgehoben haben, am Ende so gut wie täglich. Insgesamt handelt es sich um 45 Fälle mit Abbuchungen von jeweils 2000 Euro.

Als die Angeklagte mit ihrem mutmaßlichen Komplizen, der ebenfalls auf der Anklagebank sitzt, versuchte, mit einer Schenkungsurkunde an weitere 200.000 Euro des Mannheimers zu gelangen, wurde eine Bankangestellte misstrauisch und rief die Polizei. Der Mitangeklagte hatte zuvor ausgesagt, dass er nur Dolmetschertätigkeiten für die Angeklagte – eine Freundin seiner Frau – erledigt und geglaubt habe, dass der 98-Jährige mit der Schenkungsurkunde einverstanden gewesen sei. Jetzt räumte er sein, sich der Beihilfe schuldig gemacht zu haben.

Aufgrund der Eingeständnisse kam eine Prozessvereinbarung zustande. Diese betrifft auch das Strafmaß: Es soll bei der 63-Jährigen nicht weniger als ein Jahr und neun Monate, aber nicht mehr als zwei Jahre und sechs Monate betragen. Sollten es weniger als zwei Jahre sein, kann die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden. Den monetären Schaden bemisst das Gericht auf 80.000 Euro. In der Wohnung der Frau wurden circa 23.000 Euro in bar sichergestellt, ebenso circa 4500 Euro auf ihrem Konto. 30.000 Euro will die Angeklagte zurückzahlen. Empfänger des Betrags ist der Anwalt des Geschädigten, der als Nebenkläger auftritt. Zur fehlenden Summe leistet die Frau eine Anerkenntnis. Der 47-jährige Mitangeklagte muss mit einer Strafe zwischen sechs Monaten und einem Jahr rechnen. Aufgrund der Vereinbarung kann auf zahlreiche Zeugenaussagen verzichtet werden, darunter die des Rechtsanwalts, der die Schenkungsurkunde aufgesetzt hat.

Um weitere Informationen zum Gesundheitszustand des 98-Jährigen zu erhalten, rief das Gericht seine staatliche Betreuerin in den Zeugenstand. Sie war vom Betreuungsgericht bestellt worden, nachdem die Angeklagte im Mai 2020 verhaftet worden war. Der Mann sei damals äußerst schwach gewesen und in ein Krankenhaus eingeliefert worden. "Er war sehr verwirrt", erklärte die Betreuerin. Tatsächlich ist der geistige Zustand des Mannes ein wichtiger Gegenstand des Prozesses, dem deshalb auch eine Sachverständige beiwohnt.

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Im Laufe der Zeit besserte sich die körperliche Konstitution des Mannes, der mittlerweile in einem Pflegeheim lebt. Wirkliche Gespräche seien mit dem Senior allerdings nicht möglich. Die Betreuerin konnte auch nicht mit Sicherheit sagen, ob er versteht, wer sie ist. An ihrer Stimme erkenne er sie wohl als Person. Aber ob er ihre tatsächliche Funktion erfasse, könne sie nicht zweifelsfrei bestätigen.

Die Nichte des Mannes kam im Juli zu Besuch nach Deutschland. Sie erzählte der Betreuerin, dass ihr Onkel sie 2017 gebeten habe, ihn zu sich zu nehmen. Sie hatte schon den Transport organisiert, doch dann habe die Angeklagte ihr gesagt, er habe seine Meinung geändert. Danach habe sie weitere Kontaktversuche abgeblockt. Die Nichte habe sich auch schockiert über den Zustand der Wohnung ihres Onkels gezeigt – vor allem, was Küche und Bad anging.

Dazu äußerte sich die Angeklagte in einer Erklärung, die ihre Verteidigerin verlas. Sie habe dem 98-Jährigen mehrfach vorgeschlagen, die Wohnung zu renovieren, er habe das stets abgelehnt mit der Begründung, er werde sowieso bald sterben. Deshalb habe sie zumindest in seinem Zimmer neue Tapeten angebracht. Auch nähere Lebensumstände der 63-Jährigen wurden erstmals bekannt. Sie wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Polen auf, wo ihre Eltern sie mit 18 Jahren verheirateten. Ihr Mann war Alkoholiker und misshandelte sie. Nach zehn Jahren setzte er sie mit den zwei Söhnen auf die Straße, sodass sie auf den elterlichen Bauernhof zurückkehren musste.

Mit ihrem zweiten Mann, der 2009 verstarb, kam die Frau vor 20 Jahren nach Mannheim. 2013 erkrankte sie an Darmkrebs und wurde operiert. Beschwerden habe sie bis heute. Auch der Mitangeklagte ist gesundheitlich angeschlagen. Nach einem schweren Arbeitsunfall ist er zu 60 Prozent schwerbehindert. Zudem hat er ein Herzleiden und aufgrund der Anklage seinen Job verloren.