Jamie mit seinen Eltern Peggy und Klaus Neiß beim RNZ-Redaktionsbesuch Anfang November 2017. Foto: Gerold
Von Alexander Albrecht
Jena/Worms. Normalerweise sind Journalisten zu Distanz und Sachlichkeit verpflichtet. Eine der ganz wenigen Ausnahmen war der 3. November 2017, als der kleine Jamie mit seinen Eltern und Bruder Nico die RNZ in Heidelberg besuchte. Ansteckend fröhlich faltete der damals Siebenjährige am Redaktionstisch Papierflieger und zeigte Fotos auf dem Handy der Mama. Ein unbeschwerter Nachmittag voller Hoffnung und Zuversicht.
Diese Bilder vor Augen machen es umso schwerer, die furchtbare Nachricht vom Wochenende zu akzeptieren. Auf ihrer Facebook-Seite gab die Familie bekannt: "Jamie hat seine Flügel bekommen und hinterlässt ein Loch und einen nie da gewesenen Schmerz. Er ist jetzt über den Regenbogen und wir werden uns wiedersehen, kleines Wunderkind." Jamie ist am frühen Sonntagmorgen gestorben. Der tapfere Kampf des Jungen aus Worms mit zahlreichen Rückschlägen und Hoffnungsschimmern hatte kein Happy End. Er wurde nur acht Jahr alt.
Am Fastnachtswochenende 2016 diagnostizierten Ärzte bei Jamie Blutkrebs. "Myeloische Leukämie", wie die heimtückische Krankheit im Fachjargon heißt. "Für uns ist eine Welt zusammengebrochen", sagte Mutter Peggy Neiß beim RNZ-Besuch, "aber Aufgeben ist einfach nicht unser Ding". Und Jamie kämpfte mit bewundernswerter Tapferkeit.
Schon bald machte sich Optimismus breit. Die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) fand drei passende Stammzellenspender und schrieb sie an. Doch die meldeten sich nicht zurück. Möglicherweise hätte ein genetischer Zwilling das Leben des Kleinen retten können. Daraufhin spendete Peggy Neiß ihre Stammzellen, wohl wissend, dass diese nur zu maximal 50 Prozent mit den Zellen ihres Sohnes übereinstimmen. Bereits im Sommer 2017 schien die emotionale Achterbahnfahrt traurig zu Ende zu gehen. Kinderonkologen des Heidelberger Universitätsklinikums teilten den Eltern mit, dass bei Jamie aktuell keine Aussicht auf Heilung mehr bestehe. Was dann passierte, grenzte an ein Wunder und stellte selbst die erfahrenen Mediziner vor ein Rätsel.
Jamies Zustand verschlechterte sich zunächst weiter, die Ärzte bereiteten die Eltern auf das Schlimmste vor. An seinem siebten Geburtstag würde das Kind sterben. Doch Jamie überlebte. Mehr noch: Kurze Zeit später wurden seine Blutzellen komplett von den transplantierten Stammzellen gebildet. Jamies eigene defekte und potenziell krebserregende Zellen waren nicht mehr in seinem Blut zu finden.
Doch der Krebs kam mit voller Wucht zurück. Und wieder ließ sich die Familie von diesem Tiefschlag nicht unterkriegen, sondern schaffte es mit positiver Energie und großem öffentlichen Zuspruch, den Kopf oben zu behalten. Ende 2018 lasen Peggy und Klaus Neiß einen Bericht über einen Arzt am Universitätsklinikum in Jena. Dieser hatte in einem Fall durch eine individuelle Antikörpertherapie ein Baby von einer sehr ähnlichen Krebsart geheilt.
Der Professor aus Thüringen nahm Jamie in dem Krankenhaus auf und befreite den Jungen von seinem Palliativstatus. Damit war der Weg frei für eine weitere Stammzellentransplantation. Und tatsächlich wurde ein geeigneter Spender, ein 23-jähriger Engländer, gefunden. Zur Transplantation sollte es aber nicht mehr kommen. Ein entzündeter Katheter verschob den Eingriff. Als dieses Problem bewältigt war und die Transplantation endlich in Angriff genommen werden sollte, hatte Jamie keine Kraft mehr. Das "Wunderkind" schlief friedlich und ohne Schmerzen in den Armen seines Vaters ein.