Von Anton Ottmann
Rhein-Neckar. Es ist gerade einmal fünf Jahre her, dass in Baden-Württemberg 42 Gemeinschaftsschulen ins Leben gerufen wurden. Mittlerweile gibt es 307 solcher Einrichtungen mit mehr als 64.000 Schülern. Pädagogisches Ziel dieser Schulart ist, den Schulerfolg vom sozialen Status des Elternhauses abzukoppeln und mit neuen Unterrichtsformen selbstständiges und soziales Lernen zu fördern.
Dazu hat man gegenüber dem traditionellen dreigliedrigen Schulsystem eine ganze Reihe an Veränderungen eingeführt: Schüler mit ganz unterschiedlichen Begabungen lernen gemeinsam, der Unterricht findet an drei oder vier Tagen ganztags statt, Hausaufgaben und Sitzenbleiben gibt es nicht mehr, und im "rhythmisierten Unterricht" wechseln Lern-, Übungs- und Erholungsphasen einander ab. Besonderer Wert wird auf das Coaching gelegt. Hier erarbeitet der Lehrer mit dem Schüler dessen persönliche Lernziele, versorgt ihn mit dem entsprechenden Arbeitsmaterial, unterstützt und ermuntert ihn bei der Arbeit und kontrolliert, ob er die gesteckten Ziele auch erreicht hat. Außerdem gilt, wie für alle anderen Schularten auch, die neu eingeführte Inklusion.
Nach der ersten Euphorie äußerten Parteien und Verbände sowie Eltern und Lehrer Kritik: Die Anmeldezahlen gingen zurück, ernsthaftes und systematisches Lernen wäre nicht möglich, die Lehrer seien überfordert und nicht ausreichend geschult. Es wird angezweifelt, dass man - neben dem Haupt- und Realschulabschluss - auch zum Abitur kommen könne, da es zu wenig Schüler mit mittlerem und hohem Leistungsniveau gebe, außerdem fehlten die notwendigen Gymnasiallehrer.
Die RNZ hat die Schulleiter von drei sehr unterschiedlichen Gemeinschaftsschulen in der Metropolregion zu diesen Vorwürfen befragt.
> Die Leimbachtalschule in Dielheim, einem Ort mit 9000 Einwohnern in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wiesloch, wo alle gängigen Schularten vorhanden sind. Sie wird von Patrick Merz geleitet. Seine Schule schaffte es erst im Schuljahr 2015/16 im zweiten Anlauf, die notwendige Schülerzahl für die vorgeschriebenen zwei Züge zusammen zu bekommen. Seither sind laut Merz die Anmeldezahlen leicht gestiegen. Er stellt in Bezug auf die Lernkompetenz eine gute Durchmischung fest, allerdings gebe es nur wenige Schüler auf Gymnasialniveau.
> Die Gemeinschaftsschule Adelsheim wird dreizügig geführt und ist nach Aussage der Schulleiterin Veronika Köpfle seit der Einführung im Schuljahr 2012/13 dabei. Die Gemeinde habe zwar nur 5000 Einwohner, aber ein großes ländliches Einzugsgebiet. 50 Prozent der Schüler hätten Hauptschul-, 40 Prozent Realschul- und zehn Prozent Gymnasialniveau. Besonders stolz ist sie darauf, dass ihre achten Klassen über alle Schularten hinweg beim deutschlandweiten Leistungstest "Vera 8" im Schulamtsbezirk Mannheim am besten abgeschnitten haben.
> Die Karl-Schimper-Schule in Schwetzingen (23.000 Einwohner) ist eine der wenigen Realschulen im Land, die auf das Projekt Gemeinschaftsschule umgestiegen ist. Sie wird seit dem Schuljahr 2014/15 durchgängig fünfzügig geführt. Laut Schulleiter Florian Nohl melden sich 45 Prozent der neuen Schüler mit Empfehlungen für die Hauptschule, 40 Prozent für die Realschule und 15 Prozent für das Gymnasium an. Diese Empfehlungen seien aber nicht sehr aussagekräftig, da sich viele Schüler ganz anders entwickelten.
Alle drei Schulleiter konnten nachweisen, dass die Schülerzahlen stetig wachsen, auch von einer "Restschule", wie manchmal behauptet werde, könne man nicht sprechen. Man habe es im Gegenteil mit einem guten Durchschnitt an Begabungen zu tun. Allerdings reiche das nicht für die Einrichtung eines gymnasialen Oberstufen-Zuges, obwohl es eine ganze Reihe motivierter Gymnasiallehrer gebe, die sich ganz bewusst für die Gemeinschaftschule entschieden hätten.
Der Vorteil der Gemeinschaftsschule gegenüber anderen Schularten liegt nach Merz in der anderen Art des Lernens. Im Vordergrund stehe die Persönlichkeit des Schülers, der dort abgeholt werde, wo er mit seinen Fähigkeiten stehe. Die Noten seien zwar abgeschafft, aber es gebe regelmäßige Bewertungen, die in Prozenten angeben, inwieweit die mit dem Schüler vereinbarten Unterrichtsziele erreicht wurden. Auch die Lehrer veränderten sich mit der neuen Schulart, es würde fächerübergreifend, kooperativ, sehr offen und experimentierfreudig gearbeitet. Nohl argumentiert ähnlich: "Die Kollegen nehmen schnell wahr, wo die Stärken und Schwächen der Kinder sind, um sie dann spezifisch zu fördern."
Köpfle gefällt vor allem das sehr enge Verhältnis der Lehrer zu Schülern und Eltern. Probleme sieht Nohl vor allem bei Kindern mit "schwach ausgeprägtem Bedürfnisaufschub, Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten". Sie seien beim individuellen Lernen oft überfordert, für sie müsse man noch mehr spezielle Unterrichtsangebote entwickeln. Die Schulleiter klagen indes über die hohe Arbeitsbelastung der Lehrer, für die neben dem Unterricht noch viel Zeit für die Unterrichtsvorbereitung, Gespräche mit Schülern und Eltern und die Koordination mit den Kollegen anfalle. "Die Arbeitsanforderungen sind an der Grenze des Leistbaren", sagt Merz, "es fehlt die Zeit, um Schule zu entwickeln."