Antisemitischer Übergriff bei Normannia

Demütigende Männlichkeitsrituale "haben im 21. Jahrhundert nichts zu suchen"

Antisemitismus-Beauftragter der Regierung kritisiert Presseerklärung der Polizei - Innenministerium wird aktiv

09.09.2020 UPDATE: 10.09.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden
Antisemitismus-Beauftragter Michael Blume. Foto: dpa

Von Sarah Hinney

Heidelberg. Der antisemitische Übergriff im Haus der Burschenschaft Normannia in Heidelberg zieht Kreise. Am Dienstag hat sich der Antisemitismus-Beauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg, Michael Blume, zu den Vorfällen geäußert. Er habe Erkenntnisse, dass zu den Alten Herren der Normannia "Vertreter von Justiz und Polizei gehörten", so Blume. Namen nannte er am Mittwoch auf Nachfrage der RNZ nicht.

Antisemitismus-Beauftragter Michael Blume. Foto: dpa

Gleichwohl betonte Blume, dass er persönlich mit dem Landeskriminaldirektor gesprochen habe und in alle Richtungen ermittelt werde. Verärgert zeigte sich Blume über die Veröffentlichung der Presseerklärung von Polizei und Staatsanwaltschaft, in der die sogenannte "Gürtelung" als gängiges Ritual bezeichnet wurde. Zum Hintergrund: Der Geschädigte soll in der Nacht vom 29. August im Haus der Normannia in der Straße "Kurzer Buckel" am Schloss von mehreren Personen mit Gürteln geschlagen, Münzen beworfen und antisemitisch beschimpft worden sein, nachdem er angegeben hatte, dass er jüdische Vorfahren hatte. "Ich wünsche mir, dass Männlichkeitsrituale, die Demütigungen und Gewalt beinhalten, endlich aufhören", sagte Blume, der betonte, dass er selbst bei der Bundeswehr war.

Blume sagte weiter: "Ich bin der Meinung, so etwas hat im 21. Jahrhundert nichts zu suchen. Weder bei einer Burschenschaft noch in einer Pressemitteilung der Polizei." Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein neuer Beitrag auf Wikipedia. Dort wird behauptet, dass es sich bei der "Gürtelung" um ein "humoristisches Ehrenritual" handle. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hatte erstmals am Montag gegenüber der RNZ geäußert, "dass das Gürteln von Gästen der Burschenschaft nach bisherigem Erkenntnisstand nicht unüblich ist und wohl von den Beteiligten in der Regel akzeptiert wird". Noch am Montag war zu diesem "Ritual" im Internet – auch bei Wikipedia – allerdings nichts zu finden. Auch Kennern der Burschenschaftszene war das "Gürteln" bis dato unbekannt.

Idyllisch liegt das Haus der Normannia in direkter Nachbarschaft zum Schloss. Laut einem Ex-Mitglied geht es hinter den Mauern alles andere als idyllisch zu. Foto: Rothe

Blume überrascht das nicht. Es komme immer wieder vor, dass versucht werde, Dinge im Nachhinein sprachlich zu glätten. Blume ist dennoch optimistisch, dass die Vorkommnisse bei der Normannia jetzt mit Nachdruck und lückenlos aufgeklärt werden. Er sagt aber auch: "Ich hätte mir gewünscht, dass die Öffentlichkeit früher informiert worden wäre." Immerhin habe es aber eine Hausdurchsuchung gegeben. Der Antisemitismus-Beauftrage zeigte sich außerdem sicher: "Da wird noch einiges zutage kommen."

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Inzwischen berichten mehrere überregionale Medien über den Übergriff. Auch das Innenministerium Baden-Württemberg ist jetzt in der Sache aktiv geworden. Zu den Äußerungen Blumes, dass zur Normannia auch "Vertreter von Justiz und Polizei gehörten", äußerte sich das Ministerium gestern aber nicht. Ein Sprecher teilte gegenüber der RNZ jedoch auf Nachfrage mit, man habe die Polizei Mannheim um Informationen und um eine Stellungnahme gebeten. Beides liege aber noch nicht vor. "Der Fall und bestimmte Aussagen lassen uns nicht kalt. Wir möchten mehr über den Sachverhalt erfahren, das Thema interessiert uns natürlich brennend", sagte der Sprecher weiter. Er betonte aber gleichzeitig, dass Polizei und Staatsanwaltschaft akribisch ermitteln und die Sache "in guten Händen" sei.

Die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg hat die Burschenschaften derweil aufgefordert, sich klar zu dem antisemitischen Vorfall in einer Verbindung zu positionieren. "Kommt da jetzt eine Reaktion - wenn nicht, würde Schweigen auch etwas aussagen", meinte Vize-Rektor Frederek Musall. Er sei schockiert von den Ermittlungen zu einem wohl judenfeindlichen Übergriff in der Heidelberger Burschenschaft Normannia.

Die "Menschen herabsetzenden Rituale", bei denen ein Gast mit jüdischen Vorfahren bei einer Feier der Normannia mit Gürteln geschlagen, mit Münzen beworfen und antisemitisch beleidigt worden sein soll, gehörten nicht in das 21. Jahrhundert. Zugleich sei er aber von dem Übergriff nicht überrascht, sei er doch einer auf einer langen Liste antisemitischer Attacken aus jüngster Zeit.

Update: Donnerstag, 10. September 2020, 10.07 Uhr