Autor Hatto Zeidler mit Hightechstecken und anderen neumodischen Helferlein unterwegs in der Wildnis von Lappland. Das Foto hat seine Frau Uta Süße-Krause gemacht, die mit ihm tourte.
Von Jutta Biener-Drews
Eberbach/Hohenklingen. Wonach diese Geschichte garantiert nicht aussieht, ist eine Hochzeitsreise: dieses wochenlange, schweigsame Hintereinanderherstapfen in unwegsamem Gelände, mit turmhohem 30-Kilo-Rucksack auf dem Buckel, "über Randmoränen, Endmoränen, Gletscherzungen, Felsstürze, Geröllfelder, Schneefelder, ohne feste Unterkunft, Tag und Nacht von Schnaken verfolgt bei höchst notdürftiger Verpflegung wie Knäckebrot". Aber genau das ist es: eine Hochzeitsreise. Beim ersten Mal jedenfalls, denn zwischen 2010 und 2013 sollen noch zwei weitere Touren folgen. Wir befinden uns nördlich des Polarkreises, in Lappland. Und der Hochzeiter heißt Hatto Zeidler, ist zu diesem Zeitpunkt Mitte 70 und leidenschaftlicher Wanderer sowieso.
Von seiner Frau lässt er sich, wie er das nennt, "mitnehmen" ins Land der Samen, denn sie möchte den Ehebund mit ihm unbedingt in einer lappländischen Erdhüttenkirche besiegeln. Sieht aus der Nähe aus "wie ein riesiger alter Maulwurfshaufen, mit Gras und kleinen Bäumchen überwachsen", klärt der Autor auf. Doch gibt es da noch eine weniger zartsinnige Motivation für die Auferlegung von Strapazen: Auch das "Trumm Wampn", also das mächtige Wohlstandsbäuchlein, das ein schonungslos guter Freund an ihm feststellt, treibt Zeidler auf Schusters Rappen in diese Weltgegend fernab von Schwarzwälder Kirsch, Schweinebraten und Gerstensaft. Seine Erlebnisse hat er in dem Buch "Ein Badener in Lappland" niedergeschrieben. Reisegeschichten auf 144 Seiten, in kurzen Episoden, die so leicht im Ton, so amüsant und so witzig rüberkommen, dass man sich reines Lesevergnügen davon erhoffen darf. Vor allem im Warmen, bei heißem Tee und süßen Plätzchen.
Hatto Zeidler und seine schwäbische Frau Uta Süße-Krause, Fotografin von Beruf, leben in Hohenklingen im Enzkreis. Aufgewachsen ist der promovierte Kunsthistoriker, freischaffende Bildhauer und Autor aber in Eberbach, Erinnerungen an diese Zeit - Zeidler ist Jahrgang 1938 - finden sich in seinem Lapplandbuch zuhauf. Seine frühe Kindheit in der Neckarstadt, als die 1945 aus dem Egerland geflüchtete siebenköpfige Zeidler-Familie als Erstes in einem Bootsschuppen unterkam, ist Gegenstand des Buches "Das Kanuhaus", das Zeidler 2017 vorgelegt hat.
Im Lapplandbuch spielt der "Badener" mit den Gegensätzen, lässt sie so lustvoll zusammenrauschen oder sich in befremdlicher Gleichzeitigkeit überlappen, dass man als Leser darin sehr schnell das wirklich Abenteuerliche dieser Reisegeschichte entdeckt.
Ständig kommt es zum Clash zwischen Früher und Heute, Jugend und Alter, Wunschtraum und Wirklichkeit, Zivilisation und Wildnis, Geborgenheit, Fremdheit, Kultur, Natur, Ursprünglichkeit und Hightech, nicht zu vergessen den landsmannschaftlichen Eigenheiten, und jedes Mal wird’s dabei richtig komisch in diesem Buch. Wenn die Wanderer zwischen den Welten, zwischen der "Knopfdruckzivilisation", der sie entfliehen wollen, und der Mystik, die sie in der Einsamkeit dieses "seit der Eiszeit unveränderten" Landstrichs zu finden hoffen, plötzlich vom "Flap-flap-flap" eines Hubschraubers ereilt werden, zum Beispiel. Die Menschen hier oben treiben damit ihre Rentierherden. Sie betreiben damit aber auch eine reguläre Fluglinie: "Touristenflüge, Lufttaxi, Notfallflüge..." Und tragen Zeidler und seine Frau, der diese Dinger eigentlich "aufs Gemüt gehen", schließlich flap-flap-flap binnen zehn Minuten über ein von Sturzbächen umtostes Stück Weg hinweg, für das sie zu Fuß zwei Tage gebraucht hätten. Vorausgesetzt, sie hätten es überhaupt bewältigt. Mystik? Auch einer dieser Begriffe, die Zeidler inhaltlich neu vermessen muss. Uta muss erkennen: "Mal ist sie da, mal ist sie weg".
Überhaupt: Verkehrsmittel. Und Freiheit. Ein starkes Gefühl, überall sein Zelt aufschlagen zu können. Bahnfahren? Keine Chance. Alles ausgebucht, im Voraus von irgendwo auf diesem Globus die Tickets schon "verschachert, Reisefreiheit verschachert, Freiheit verschachert, alles per Computer verschachert", schimpft Zeidler. "Da kommst du nicht mehr mit. Denn sie sind überall schneller, als ich es bin in unserer schnellen neuen Welt". Bei andrer Gelegenheit werden mit Glück die letzten zwei Notsitze ergattert in einem Nachtbus. Aber auch Glück ist hier relativ: Zeidler und Frau Uta sitzen da drin "wie angeschmiedet auf einem Folterstuhl", während um sie herum in babylonischem Sprachgewirr ununterbrochen in Handys gequasselt wird. Was den "Badener in Lappland" schon wieder um eine grundstürzende Erfahrung reicher macht: "Ich denke, so muss es in der Hölle sein. Und wenn ich das überlebe, dann will ich ein anderer Mensch werden".
Info: Hatto Zeidler, "Ein Badener in Lappland", Der kleine Buchverlag Karlsruhe, ISBN 978-3-7650-9114-8