Von Alexander Rechner
Neckar-Odenwald-Kreis. 2005 wählte ihn der Kreistag mit nur vier Gegenstimmen erstmals zum Landrat und bestätigte ihn im Juli 2013 für weitere acht Jahre. Landrat Dr. Achim Brötel nahm beim "Gespräch im Rathausturm" Stellung zu aktuellen Kreis-Themen wie dem Defizit der Neckar-Odenwald-Kliniken, zum S-Bahn-Sprinter oder zum Bauschutt aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Obrigheim.
Herr Dr. Brötel, wir kommen heute im Türmerstübchen im Rathausturm zusammen. Als bekennender "Buchener Huddelbätz" haben Sie nun die Mosbacher Rathausspitze erobert. Wie fühlen Sie sich da oben?
Hier bin ich weiß Gott nicht zum ersten Mal. Ein toller Blick über die ganze Stadt. Und: Ich komme jedes Jahr extra als Huddelbätz zum Rathaussturm der Mosbacher Fastnachter. Das ist dann allerdings wirklich auch der einzige Moment, wo man sich als Huddelbätz in Mosbach ziemlich einsam fühlen kann (lacht). Aber im Ernst: Mein oberstes Ziel ist es, den Landkreis im Inneren noch weiter zusammenzuführen. Die Zusammenarbeit mit dem Mosbacher Oberbürgermeister Michael Jann und der Stadtverwaltung funktioniert dabei ganz ausgezeichnet.
Landrat Dr. Achim Brötel sieht beim "Gespräch im Rathausturm" die Neckar-Odenwald-Kliniken auf einem guten Weg. Fotos: Alexander Rechner
Sie kommen gerade aus dem Urlaub. Was machen Sie eigentlich, um mal vom Alltag abzuschalten?
Meine Frau und ich waren ein paar Tage Wandern in Südtirol. Das ist toll, um mal den Kopf frei zu bekommen - natürlich mit dem entsprechenden Einkehrschwung bei den auf dem Weg liegenden Hütten. Das gehört auch dazu. (lacht) Ansonsten höre ich viel Musik und mache auch selbst Musik, wenn es zeitlich reicht, gerne noch in der Stadtkapelle Buchen.
Apropos Wandern: An welchen touristischen Attraktionen arbeitet der Landkreis gerade noch, um weitere Touristen anzulocken?
Wir planen einen zweiten zertifizierten Wandersteig, der den Limes als Thema hat. Er soll den Odenwald-Limes und den Obergermanisch-Raetischen Limes verbinden und vereinfacht gesagt von Mosbach nach Osterburken mit dem Zielpunkt Römermuseum führen. Das wird ein tolles Projekt, das wir 2019 auf den Weg bringen wollen. Dann haben wir eine weitere große Möglichkeit, um Touristen und insbesondere Wanderer in unseren schönen Landkreis zu locken.
Stichwort Öffentlicher Personennahverkehr: Die Zeichen stehen wohl auf Rot beim S-Bahn-Sprinter von Osterburken nach Heidelberg/Mannheim. Wird der Landkreis abgehängt?
Abgehängt sind wir sicher nicht, es gibt aber nach wie vor großes Verbesserungspotenzial. Deshalb haben wir gerade beim wichtigen Zukunftsfeld Öffentlicher Personennahverkehr eine breit angelegte Offensive gestartet. Die Buslinienbündel Mosbach und Buchen, die vor Kurzem neu vergeben wurden, bringen allein 762.000 Kilometer an Mehrleistung pro Jahr. Das ist wirklich ein Wort. Parallel dazu richten wir zwei Regiobuslinien von Mosbach nach Sinsheim sowie von Buchen nach Tauberbischofsheim ein. Auch das ist eine deutliche Verbesserung, die allerdings auch Einiges an Geld kostet. Was den S-Bahn-Sprinter anbelangt, bleibt es dabei: Der Landkreis möchte ihn. Es muss aber auch die Infrastruktur passen, insbesondere zwischen Heidelberg und Mannheim.
Geburtswehen gab es bei der Stadtbahn Nord ...
Die Stadtbahn Nord von Mosbach nach Heilbronn ist in der Tat für uns schon immer ein sehr ambivalentes Thema. Im Nahverkehr gibt es dadurch durchaus Verbesserungen, aber eben auch eine deutliche Verlängerung der Fahrzeit und einen Wegfall der umstiegsfreien Durchbindungen über Heilbronn hinaus Richtung Stuttgart. Das ist vor allem für Berufspendler ein echtes Ärgernis. Ab Dezember 2019 kommen aber wieder zweistündlich durchgehende Verbindungen nach Stuttgart sowie morgens und abends weitere Verdichtungen. Wir hoffen, dass die Geburtswehen dann beseitigt sind.
Der Landkreis will den Halbstundentakt auf der S-Bahn zwischen Mosbach und Osterburken. Wie ist der Stand?
Ja, dafür setzen wir uns vehement ein. Ein solcher Halbstundentakt würde vor allem auf einen Schlag auch viele Probleme bei der Madonnenlandbahn zwischen Seckach und Miltenberg lösen. Momentan ist diese Strecke nämlich unter anderem deshalb so unattraktiv, weil es in Seckach nur in eine Fahrtrichtung sinnvolle Anbindungen gibt. Wenn das Land etwas für die Madonnenlandbahn tun und dort endlich auch den Landesstandard erfüllen will, dann hätte es mit dem Halbstundentakt auf der S-Bahn eine relativ einfache und schnell wirkende Möglichkeit dazu.
Die "Transversale" (die direkte Anbindung des Raums Buchen an die A81) begleitet Sie schon während Ihrer gesamten Amtszeit. Wie geht es hier weiter?
Das kann man tatsächlich so sagen. Ich hatte schon 2005 an meinem exakt zweiten Arbeitstag als Landrat die erste Besprechung dazu. Das Verfahren gestaltet sich aber ausgesprochen zäh, was nicht zuletzt auch an schlicht fehlenden personellen Kapazitäten in der Landesverwaltung liegt. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat uns jetzt allerdings in Aussicht gestellt, dass das Planfeststellungsverfahren bis Ende 2018 abgeschlossen sein soll. Wir müssen bei diesem Thema auch endlich weiter vorankommen. Seit der Eröffnung des Eckenberg-Tunnels in Adelsheim hat nämlich insbesondere der Schwerlastverkehr in Zimmern, Seckach und Bödigheim enorm zugenommen. Ich kann die Bürger, die sich daran stören, absolut verstehen. Wir haben schon drei neue Blitzersäulen aufstellen müssen. Das kann aber doch keine Lösung des Problems sein. Ich bin davon überzeugt, die Transversale würde eine deutliche Verbesserung - und zwar für den gesamten Landkreis - darstellen.
Der Kreis könnte aus Sicht von Dr. Brötel einen Klinik-Verlust von 3 bis 3,5 Mio. Euro auf Dauer tragen. Foto: B. Respondek
Das Defizit der Neckar-Odenwald-Kliniken bewegt die Bürger. Welche Therapie werden Sie dem Patienten verschreiben, um die Zahlen zu senken?
Die Neckar-Odenwald-Kliniken sind auf einem wirklich guten Weg. Unsere Häuser verzeichnen steigende Patientenzahlen und eine stabile, nach oben zeigende Leistungsentwicklung. Vor allem aber haben wir das wirtschaftliche Ergebnis deutlich verbessert, allein von 2016 auf 2017 um 1,3 Millionen Euro. Dieses Jahr peilen wir eine weitere Verbesserung um 700.000 Euro an. Und: Wir liegen nach den ersten sieben Monaten im Plan.
Aber es ist immer noch ein deutlicher Verlust ...
Wenn wir das Jahr 2018 so abschließen wie vorgesehen, wäre das ein Defizit von nur noch 4,5 Millionen Euro. Sicher: viel Geld, sicher auch noch zu viel Geld. Aber: Die Krankenhausfinanzierung insgesamt krankt halt auch. Da ist der Bundesgesetzgeber endlich gefordert. Das System ist chronisch und strukturell unterfinanziert. Jeder weiß es, aber kaum einer macht etwas dagegen. Bei unseren Häusern muss ich sagen, ist die Zitrone jedenfalls mehr als ausgepresst.
Das heißt?
Wir haben viele Dinge vorangetrieben, Doppelvorhaltungen beseitigt, Strukturen verändert und unsere Hausaufgaben konsequent erledigt. Genau das hat uns Sozialminister Lucha vor Kurzem ja explizit auch so bescheinigt. Doch das System der Krankenhausfinanzierung ist und bleibt trotzdem extrem fragil. Eine kleine Änderung, und die Planung ist dahin. Mein klares Ziel heißt aber: Beide Krankenhäuser müssen erhalten bleiben, und zwar in Kreisträgerschaft. So sieht es auch unisono der Kreistag. Und: viele Zuschriften aus der Bevölkerung bestärken uns in unserer Haltung.
Welchen Verlust kann der Landkreis denn tragen?
Einen fixen Betrag haben wir im Kreistag nicht definiert. Welchen Sinn sollte ein solches Vorgehen auch haben? Aber ich denke, 3 bis 3,5 Millionen Euro wäre eine Summe, die der Landkreis auf Dauer sicher tragen könnte.
Wird der Landarzt künftig von einem Teledoktor ersetzt?
Das sehe ich noch nicht einmal ansatzweise so. Die Digitalisierung kann sicher vieles unterstützen, aber die persönliche Behandlung nie ersetzen. Klar ist jedoch: Auch auf uns kommt eine Ruhestandswelle bei den niedergelassenen Haus- und Fachärzten zu. Es ist schon heute eine große Herausforderung, frei werdende Arztsitze neu zu besetzen.
Was kann der Kreis dabei leisten?
Es ist eigentlich nicht unsere Aufgabe, aber wir werben trotzdem ganz offensiv bei jungen Ärztinnen und Ärzten für unsere Heimat. In Form von Vorträgen, Infoveranstaltungen, im Internet, mit Broschüren und vielem anderem mehr. Momentan sammeln wir gerade Kontaktadressen von jungen Menschen, die aus unserem Landkreis stammen und Medizin studieren. Mit ihnen wollen wir permanent in Kontakt bleiben. Denn wir benötigen dringend auch morgen und übermorgen eine wohnortnahe medizinische Versorgung.
Themenwechsel: Im Kreis klaffen noch immer Lücken im Handynetz. Wie können diese denn geschlossen werden?
Wir haben hier einen riesigen Handlungsbedarf. Vor allem müssen die Karten aber endlich einmal offengelegt werden. Die drei Netzbetreiber, die es in Baden-Württemberg gibt, erzählen uns meiner Wahrnehmung nach reine Märchen.
Warum denn Märchen?
Die angebliche Netzabdeckung, die dort behauptet wird, finde ich in der Realität jedenfalls nicht wieder. Deshalb ist es auch vonseiten des Landes schlicht ein billiger Taschenspielertrick, wenn man die ohnehin fragwürdigen Werte der Netzbetreiber einfach addiert und uns dann auch noch vorrechnet, dass wir angeblich eine Netzabdeckung von 85,8 Prozent hätten und deshalb sogar leicht überdurchschnittlich versorgt seien. Für wie doof will man uns denn da eigentlich verkaufen? Das erste, was wir dringend brauchen, ist das nationale Roaming. Was in Europa funktioniert, muss doch innerhalb Deutschlands auch gehen. Dann kann man in der Tat Netzabdeckungen sogar addieren, allerdings nur, wenn ich mich mit meinem Mobiltelefon dabei nicht bewege. Gerade das, nämlich die Mobilität, ist dem Mobiltelefon aber begriffsimmanent. Deshalb muss auch der Netzausbau als solcher dringend und schnell weiter vorangetrieben werden. Dazu braucht es Regelungen, die auch vor dem EU-Beihilferecht bestehen können. Und: Wir müssen dann auch bereit sein, deutlich mehr Funkmasten zu akzeptieren. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, das funktioniert nirgends auf der Welt, auch beim Mobilfunk nicht.
Damit erheben Sie aber auch Vorwürfe gegen die Bundesregierung ...
Absolut. Die Ideen und Vorschläge liegen in Berlin alle auf dem Tisch. Der Bund muss dafür sorgen, dass die Mobilfunkunternehmen jetzt endlich auch ihren Ausbauverpflichtungen nachkommen. Irgendwelche Mobilfunkgipfel, bei denen man sich gegenseitig in die blauen Augen verspricht, dass die Welt morgen besser wird, helfen nicht wirklich weiter. Deshalb muss der Bund vor allem den politischen Druck deutlich erhöhen.
Wann rollen die erster Laster mit Bauschutt aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Obrigheim in Buchen an?
Derzeit liegt uns vonseiten des Betreibers EnBW noch immer keine konkrete Anfrage für eine Anlieferung von freigemessenem Bauschutt vor. Ich selbst bin deshalb tiefenentspannt. Meiner festen Überzeugung nach ist das Material nach der Handlungsanleitung, die landesweit dazu erarbeitet worden ist, ohne Bedenken gefahrlos abzulagern. Die Einwände, die dazu seitens der Landesärztekammer und des Deutschen Ärztetags geäußert wurden, sind bei einem vom Umweltministerium veranstalteten Symposium fachlich entkräftet worden. Für uns gibt es deshalb kein Annahmehindernis mehr. Wir werden allerdings genau darauf achten, dass die Handlungsanleitung dann auch strikt eingehalten wird.