Eurythmics-Sängerin Annie Lennox ist Musikstar und Stilikone
Die erfolgreichste Sängerin in der Geschichte der britischen Popmusik gab vor 45 Jahren ihr Schallplattendebüt und wurde mit den Eurythmics zum Weltstar.

Von Olaf Neumann
Aberdeen. Für das einflussreiche Musikmagazin Rolling Stone zählt Annie Lennox zu den 100 besten Sängerinnen und Sängern aller Zeiten. Dieses Jahr wurde die Oscar-Preisträgerin sowohl in die Rock’n’Roll Hall of Fame als auch in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen. Mit Hits wie "Sweet Dreams (Are Made Of This)" und "Here Comes The Rain Again" schrieb die Schottin Musikgeschichte. Bis heute hat sie allein mit dem Pop-Duo Eurythmics 80 Millionen Tonträger verkauft. Sie ist aber nicht nur Sängerin, Popstar und Entertainerin, sondern auch soziale und politische Aktivistin. Auch wenn die Eurythmics nur noch bei ganz besonderen Gelegenheiten von sich hören lassen, wird Lennox gerade durch die frühen, schockierend originellen Platten mit diesem Duo unvergesslich bleiben. Der Erfolg ließ lange auf sich warten.
Als Tochter einer Köchin und eines Werftarbeiters aus der Seehafenstadt Aberdeen bekommt Annie nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine musikalische Karriere in die Wiege gelegt. Bereits mit 17 verlässt die am ersten Weihnachtstag 1954 Geborene ihre Heimatstadt, um sich zwei Jahre später an der Royal Academy of Music in London für ein Studium der klassischen Musik mit Schwerpunkt Flöte und Klavier einzuschreiben – in der Hoffnung, eines Tages in einem Orchester spielen zu können.
Annie fühlt sich jedoch von Beginn an am falschen Ort. Statt die Abschlussprüfung zu machen, schlägt sie sich in den 1970ern mit Teilzeitjobs in Buchläden, Supermärkten und Kneipen durch. Die düsteren Warnungen ihrer konservativen Eltern scheinen sich zu bewahrheiten: Wenn du deine Ausbildung nicht abschließt, wirst du in einer Fabrik enden!
Doch eines Tages führt ein Freund sie überraschend in die Welt der Rock- und Popmusik ein – und für Lennox öffnet sich eine neue Tür. Ihr Ziel: eine Band zu gründen und Sängerin zu werden. 1976 schließlich wird sie einem gewissen Dave Stewart vorgestellt. Der Legende nach soll der Multiinstrumentalist und Songschreiber aus Sunderland sie direkt gefragt haben, ob sie ihn heiraten will. Und tatsächlich – die beiden werden ein Liebespaar.
1976 gründet das Paar zusammen mit dem Gitarristen Peet Coombes die Band The Catch. 1977 wird die Single "Borderline/Black Blood" bei Logo Records veröffentlicht. Sie kommt in England, den Niederlanden, Spanien und Portugal auf den Markt – und floppt. Gemeinsam mit anderen Musikern formiert sich das Trio als The Tourists, aus denen dann 1981 das Duo Eurythmics hervorgeht. Der introvertierte Dave Stewart entwickelt fortan einen innovativen und eingängigen Pop-Sound, der von Lennox‘ wohlklingender Stimme getragen wird. In der Öffentlichkeit stilisiert sich die Sängerin als verwirrend androgyn, cool und unnahbar. Ein Popstar, der mit den Gender-Rollen spielt. Auf diese Weise prägen die Eurythmics den Sound und die Ästhetik der 1980er Jahre stark mit.
Ein Jahrzehnt, in dem das Duo etliche Alben und Singles veröffentlicht, inklusive der Welthits "Love Is a Stranger", "Who’s That Girl" und "Would I Lie to You". Lennox‘ private Beziehung mit Dave Stewart dauert zwar nur drei Jahre (verheiratet waren sie nie), in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch hält ihre Liebe weitaus länger. Zu den Männern an ihrer Seite gehören eine Zeit lang auch der deutsche Musiker Robert Görl (DAF), der Hare-Krishna-Anhänger Rahda Raman und der israelische Filmproduzent Uri Fruchtmann, dem sie 1988 das Ja-Wort gibt. Aus dieser Ehe, die zwölf Jahre dauern soll, gehen zwei Töchter hervor.
1992 beginnt für Annie Lennox eine neue Ära: Sie startet eine Solokarriere. Am 20. April tritt sie mit David Bowie beim Tribute Concert für den verstorbenen Queen-Frontmann Freddie Mercury auf und übernimmt dabei dessen Gesangteil in dem Hit "Under Pressure". Bereits ihr Solodebüt "Diva" wird ein großer kommerzieller Erfolg; auch das Nachfolgealbum "Medusa" von 1995 erobert die Spitze der britischen Charts. 1999 beschließen Lennox und Stewart, die Eurythmics für einen einzigen Longplayer zu reaktivieren: "Peace" spiegelt die Sorge des Künstlerduos um den Weltfrieden wider und wirkt heute wieder erschreckend aktuell.
Seither verbringt die Sängerin immer mehr Zeit mit sozialem Engagement. Sie reist nach Südafrika, Malawi und Uganda, um sich dort persönlich ein Bild von der HIV/Aids-Pandemie zu machen und wird Botschafterin der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam sowie der Hear the World Foundation. 2007 ruft Annie Lennox die Kampagne "Sing" ins Leben, mit der sie viel Aufmerksamkeit und eine Menge Spenden sammeln kann. Für ihr soziales Engagement wird sie später vom britischen Roten Kreuz ausgezeichnet und von Queen Elizabeth II. zum Officer des Order Of The British Empire ernannt. Auf dem Weltgipfel der Friedensnobelpreisträger erhält sie zudem den Friedensgipfel-Preis 2009.
Auch als Künstlerin bleibt Annie Lennox der Erfolg treu. Für den letzten Teil der "Herr der Ringe"-Trilogie singt sie 2003 den Titelsong "Into The West" ein. Dafür heimst die Sängerin nicht nur einen Golden Globe ein, sondern sogar einen Oscar für den besten Filmsong. Anfang 2014 tut sich Lennox anlässlich eines TV-Specials zu Ehren der Beatles im Los Angeles Convention Center noch einmal mit Dave Stewart zusammen. In Anwesenheit von Paul McCartney und Ringo Starr spielen die beiden den Fab-Four-Klassiker "A Fool On The Hill". Im Rahmen ihrer Solokarriere verkauft Annie Lennox letztlich rund 20 Millionen Tronträger. 2014 erscheint ihr sechstes und bisher letztes eigenes Album "Nostalgia".
Nach der gescheiterten Beziehung mit Dave Stewart und zwei geschiedenen Ehen scheint Lennox 2012 endlich ihr privates Glück gefunden zu haben. Sie heiratet den südafrikanischen Gynäkologen Mitch Besser, mit dem sie abwechselnd in London und Los Angeles lebt. "Ja, ich bin glücklich und er hat viel damit zu tun", sagt sie. "Ich fühle mich in meiner Haut wohler als jemals zuvor."
Im Mai 2022 schließlich werden die Eurythmics in die altehrwürdige Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen, und man durfte Annie Lennox und Dave Stewart einmal mehr live erleben. "Wir waren der Zeit in vielerlei Hinsicht einfach voraus", erinnert sich die Sängerin. "Wir waren visionär. Das soll nicht so klingen: ‚Wir waren Visionäre.’ Aber wenn ich zurückblicke, war das, was wir taten, manchmal nicht mehr synchron mit dem, was gerade passierte. Es dauert eine Weile, bis die Leute etwas mitbekamen. Wir waren normalerweise voraus. Und als dann plötzlich Synthesizer auftauchten, dachte Dave: ‚Wow, Synthesizer!’ Und er musste lernen, wie man die Dinger programmiert und wie man sie aus technischer Sicht einsetzt. Wir haben experimentiert. Wir haben versucht, etwas in der Populärkultur zu machen, das eine Mischung aus Avantgardekunst und Populärkultur ist."
Ob die Eurythmics eine weitere Tour oder ein weiteres Album machen werden? "Kann ich wieder 25 sein? Ich bin 67. Ich habe gewisse körperliche Probleme. Glücklicherweise haben Sie keine Ahnung, wie die Strapazen der Tournee aussehen. Es ist sehr, sehr schwierig, sehr herausfordernd, dieses Berufsleben zu leben und gleichzeitig für seine Kinder da zu sein, die für mich das Wertvollste sind."