Auf der Spur der unbesiegbaren Gallier
An diesem Wochenende endet das bekannteste Radrennen der Welt. Eine völlig andere Tour endete schon vor 2070 Jahren, zumindest in der Fantasie.

Von Heiko P. Wacker
Ganz Gallien ist von den Römern besetzt!" Jeder kennt den Vorspann der Asterix-Abenteuer, und so startet auch vor genau 50 Jahren "le tour de Gaule d‘Asterix". Unter Kennern genießt die "Tour de France", so der Titel der deutschen Übersetzung, höchstes Ansehen, René Goscinny und Zeichner Albert Uderzo schufen ein Meisterwerk. Dass der Titel der deutschen Version auf das wichtige Radrennen anspielt, das war kein Zufall. Die "Große Schleife" war Ende der 1960er-Jahre auch bei uns populär, da lag das Wortspiel nahe.

Doch zurück zu René und Albert: Die Fahrt, die unser Held Asterix gemeinsam mit seinem dicksten Kumpel und dem erstmals auftauchenden Maskottchen, später Idefix genannt, unternimmt, basiert auf einer Wette. Denn Lucius Nichtsalsverdrus, Cäsars Sonderbeauftragter, lässt das gallische Dorf hinter eine Palisade sperren, auf dass die unbeugsamen Gallier vergessen würden. Doch die denken gar nicht daran, und schon reisen unsere Protagonisten durch Gallien, um regionale Spezialitäten als Beweis mitzubringen.
Soweit die cartoonhistorische Basis, der wir ganz modern im VW California Ocean folgen: Das perfekte Gefährt für solch eine Tour, wollen wir doch nicht sklavisch an die Originalroute gefesselt sein, sondern Abstecher unternehmen. Denn Frankreich hat viele Facetten, die es zu entdecken lohnt. Dass unser Fernweh-Bulli (noch) nicht schwimmen kann, das macht nichts: Wenn im Comic Etappen über die Wogen von Mittelmeer oder Atlantik bewältigt werden, kreuzen wir über Land.
Und so rollen wir frohen Mutes aus der Bretagne – keine Sorge, wir kommen ja wieder –, um mit Rouen gleich mal ein normannisches Kleinod zu entdecken, obwohl es hier zunächst keine Spezerei zu erwerben gilt. Und doch nimmt einen der Ort unweigerlich gefangen. "Und auch das römische Straßennetz lässt sich noch erkennen", erklärt die junge Lycie, die sich die Zeit für einen Bummel mit uns nimmt. "Den Cardo maximus, die Hauptachse also, finden wir in der Rue Beauvoisine, der Rue des Carmes und der Rue Grand-Pont, und auch die Kreuzung mit dem kleineren Decumanus nahe der Kathedrale ist noch erkennbar." Nicht zum letzten Mal auf dieser Reise wandeln wie auf historischen Pfaden, die längeres Verweilen wert wären.
Doch haben wir noch eine "große Schleife" vor uns, weshalb wir die nächsten Stationen zügig abhaken: Natürlich nehmen wir Schinken in Paris mit, das ist ja klar. Und auch in Cambrai darf es eine Schachtel "Betises" sein. Die leckeren "Dummheiten", wie die kleinen Kalorienbomben genannt werden, bieten im Comic als "Backpfeifen" den Ausgangspunkt für manchen Wortwitz. Obelix ist nicht kleinlich, verteilt sie großzügig – und die Römer beziehen Haue.
In Reims muss es Champagner sein, während wir es in Metz bei einem Bummel belassen, auch unseren Helden war Metz nur eine Durchgangsstation. Stattdessen geht es stracks nach Süden, auch wenn das Gewirr der Straßen in Lyon Ortsfremde schon immer schockierte. Leider kommt uns kein Schönfix zu Hilfe, der am Ende auch noch Würste und Fleischklöße parat hat. Aber wir müssen ja auch keine Wette gewinnen.
Egal, ab nach Nizza! Doch die Straßen sind voll, es ist Ferienzeit, und so können wir verstehen, dass auch unsere Vorbilder nur kurz um einen Salade Niçoise anhielten. Allerdings "leihen" wir uns nicht das Ruderboot eines Touristen, der ungern von Obelix übers offene Meer gerudert wird, sondern bleiben brav auf der Straße, die in der Sommerhitze glüht. Der Kühlbox des California wiederum ist das schnurz, sie hält die wachsende Anzahl an Spezereien frisch, auf dass die Köstlichkeiten nicht dem Not-Verzehr anheimfallen. Denn die Versuchung, wie grauenvoll, wächst stetig!
Immerhin haben wir schon den nächsten Kulinarikgipfel vor der Nase – und nicht nur das. Denn das kommende Etappenziel ist auch ein Paradebeispiel für die Kreativität, mit der sich Goscinny und Uderzo so gerne vor anderen Kunstschaffenden verbeugten. In Marseille ist dies Marcel Pagnol, der wiederum die "Bar de la Marine" verewigt hat, und auch heute noch sollte man mit einem "Pastix" des großen Regisseurs gedenken.
Danach sind es nur ein paar Schritte rund ums Hafenbecken zum Miramar, hier ist die Bouillabaisse zu Hause. Natürlich kann man die überall "zum Mitnehmen" erwerben. Das Fischgericht indes vor Ort zu genießen, das hat noch eine ganze andere Qualität. Vor allem, wenn Küchenchef Christian Buffa für die herausragende Qualität des Gerichts bürgt, für das sein Haus berühmt ist. Wer nach dieser aus zumindest sechs verschiedenen Fischsorten zubereiteten Köstlichkeit, zu zweit muss man indes 138 Euro plus Getränke einkalkulieren, Bewegung braucht, der kann in Aubagne dem Gewimmel der Großstadt entfliehen.
Auch hier wird Pagnol gehuldigt, hier steht sein Geburtshaus, hier findet man auch die "Kleine Welt des Marcel Pagnol" mit diversen Dioramen und Figuren seiner Filme – und der Comicfan wird erfreut feststellen, wie eng sich das gallische Abenteuer an das cineastische Original hält. Ob nun die Schiffstaverne die Bar de la Marine mimt, oder die Römer von einer Partie Pétanque aufgehalten werden – "werfen oder rollen" –, im Comic wie in Aubagne kommen Fans französischer Kinoklassiker auf ihre Kosten. Hier findet sich zudem der ideale Campingplatz, um die Region zu entdecken. Der "Camping du Garlaban" liegt idyllisch im Pinienwald, wo die Zikaden um die Wette zirpen.
Hintergrund
Die kulinarische "Tour de France"
Gefahrene Kilometer: Etwa 4000 durch Frankreich von und nach Erquy, plus An- und Abreise z.B. aus Heidelberg ca. 2100 km. Deutsche Urlauber können die Tour wesentlich verkürzen und in
Die kulinarische "Tour de France"
Gefahrene Kilometer: Etwa 4000 durch Frankreich von und nach Erquy, plus An- und Abreise z.B. aus Heidelberg ca. 2100 km. Deutsche Urlauber können die Tour wesentlich verkürzen und in Cambrai oder Lyon in die Route einsteigen.
Reisezeit:Im Sommer wird es vor allem im Süden voll und heiß, also besser in die Nebensaison ausweichen, dann sind Campingplätze auch günstiger. Und in Aremorica muss man ohnedies immer mit wechselhaftem Meeresklima rechnen.
Ungefähre Kosten: Mautstraßen sind bequem, kosten aber im Falle eines VW California rund 250 Euro, größere Reisemobile liegen höher. Verbraucht haben wir insgesamt rund 260 Liter (VW T6 California Ocean Blue, 150 PS, DSG, Schnitt: 6,48 l/100 km). Allerdings liegen die Dieselpreise in Frankreich ein wenig höher als in Deutschland. Im im Moment sind es etwa 1,40 Euro.
Generell: Wer meint, Frankreich zu kennen, der wird auf dieser Tour eines Besseren belehrt, und erfährt die Vielfalt dieses schönen Landes, das so viele grandiose Regionen vorzuweisen hat.
Aber der Wette wollen wir ja auf den Fersen bleiben! Also ab nach Toulouse, wo auch wir Wurst kaufen, und dann zu den Pflaumen von Agen, die schon satt und reif an den Bäumen hängen. "Meist beginnen wir um den 20. August mit der Ernte", erklärt Pascal Roques, der im Jahr rund 70 Tonnen der seit dem 12. Jahrhundert bekannten Versuchungen verarbeitet. "Für ein Kilo Trockenpflaumen braucht man die dreifache Menge an frischen Früchten", erklärt er, während er hingerissen in unserem deutschsprachigen Comic blättert, und etwas abwesend "Le Prince Noir" in Sérignac-sur-Garonne für die Mittagsrast empfiehlt. Dort gebe es ein Gericht aus Fleisch mit Trockenpflaumen: Ein wunderbares Beispiel kreativer französischer Küche, wie sich kurz darauf bestätigt.
Doch was wäre diese ohne Wein? Also ab nach Bordeaux, dieser Fluss- und Seehafenstadt, die sich in den letzten 20 Jahren gemausert, ja regelrecht verjüngt hat. Noch zur Jahrtausendwende gab es statt einer Flusspromenade nur Docks, heute tummeln sich hier die Menschen, die den Wasserspiegel, den "Miroir d’eau" am Place de la Bourse ebenso genießen wie die oberleitungsfrei durch das fast vollständig erhaltene Innenstadtensemble verkehrende Straßenbahn. Mit dieser kamen auch wir für schmales Salär vom Campingplatz in 30 Minuten bis direkt an den auch im Cartoon thematisierten Place des Quinconces: Wir lassen uns treiben, während wir den Charme der Garonnestadt genießen, die ihren Status als Weltkulturerbe wahrlich verdient hat.
Während unsere gallischen Helden sich von einem Hinkelsteinfrachter nach Le Conquet mitnehmen lassen, fahren wir nach Osten ins romantische Esse im Département Charente, um die Rekonstruktion eines gallischen Dorfes zu besuchen. Indes sind unsere Comic-Helden für den "Chef" des Dorfes Coriobona, Patrick Boos, kein Thema Für ihn zählen nur historische Fakten, die er mit 50 Helfern zum Leben erweckt. "So hatten gallische Hütten keine Kamine", betont er, während er in das reetgedeckte Haus des Häuptlings bittet, das vor handgefertigten Waffen nur so strotzt. "Alles, was an Alltags- und Kriegsgerät in Coriobona zu finden ist, wurde auch hier gefertigt", versichert "Eporenos", so sein gallischer Name. Rund 8000 Besucher kommen jährlich in die kleine gallische Welt des 1. Jahrhunderts, die (noch) ein Geheimtipp ist.
Der Stellplatz mitten in Le Conquet ist es nicht, auch mit einem kompakten Bulli sollte man zeitig anlanden. Denn die Region ist beliebt! Zu wild sind die Küsten, zu markant ist die Kultur, als dass man nicht berührt würde von jener Gegend, in der die Heimat unserer gallischen Helden verankert ist. Auch hat die Bretagne von Frühling bis Spätherbst Saison, sichere Wetterprognosen kann hier ohnehin keiner machen.
Man muss eben die Orte nehmen, wie sie sind. Ob man nun die alte Festungsstadt Fougères, das Tor zur Bretagne, besucht, bei St. Malo am weltersten Gezeitenkraftwerk den gewaltigen Tidenhub bewundert, oder in Morlaix der berühmten Anne de Bretagne gedenkt, die als letzte unabhängige Herrscherin nacheinander zwei französische Könige heiratete, spielt keine Rolle. Übrigens waren Annes Hochzeiten Grundstein für die "Angliederung" der Bretagne ans französische Königreich 1532, was viele Bretonen bis heute nicht verknusen. Und auch Bretonisch wird noch gesprochen, viele sind der alten Sprache mächtig in dieser Gegend, die die Gallier einst Aremorica nannten: das ‚Land am Meer’.
Ans Meer wurde auch das Dorf der Comic-Gallier gelegt, alleine schon wegen des leichteren Reisens in den Abenteuern. Erquy soll als Vorlage gedient haben – und wenn man hier am Strand steht, und sich das Wasser halbrund vor einem ausbreitet, dann kann man mehr als nur ein paar Ähnlichkeiten entdecken.
Den erfolgreichen Abschluss der Reise begehen wir allerdings nicht mit einem großen Fest in trauter Dorfrunde am Lagerfeuer, sondern still und würdig vor unserem VW California, der sich angesichts all der Spezereien zum rollenden Picknick-Wunder gemausert hat, aus dem nun Champagner und Toulouser Wurst, Dummheiten und eine Bouillabaisse, Pflaumen und Salat aus Nizza gekramt werden. Und dann stoßen wir an: Auf dieses wunderschöne Land, das seine vielen Sterne wahrlich verdient hat – und auf die tapferen Gallier, deren Spuren wir folgen durften. Was für eine Reise, beim Teutates!
Die Tour feiert Geburtstag
Ein "Knirps, nicht mehr als ein Komma in der Landschaft." So schlicht stellte sich René Goscinny 1959 seinen Asterix vor, und so setzte ihn Albert Uderzo meisterhaft um, der dicke Kumpel Obelix entstand gleich mit. Die "Tour de France" erschien 1970, seit 24. Oktober 2019 ist Band 38 im Handel, das Abenteuer um die kecke Adrenaline bringt das gallische Dorf ganz schön in Wallung.
Info: Die Comic-Abenteuer von Asterix und Obelix erscheinen bei Egmont Ehapa Media als Softcover, und in der Egmont Comic Collection als Hardcover für Sammler. Didier Conrad, Jean-Yves Ferri: Die Tochter der Vercingetorix, 48 Seiten, ISBN 978-3-7704-3638-5, 12 Euro (als Softcover im Zeitschriftenhandel 6,90 Euro).