ARD-Krimi

Warum Sie den neuen Stuttgart-Tatort auf alle Fälle sehen müssen

In die Ecke gedrängt: Könnte jeder zum "Mörder" werden? Der Stuttgarter Tatort bietet Diskussionsstoff. Das "Opfer" kam aus Heidelberg.

18.09.2022 UPDATE: 18.09.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 7 Sekunden
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion versucht Ben Dellien (Nicolas Reinke) die Spuren des Unfalls zu verwischen – und bringt sich dadurch nur noch mehr in die Bredouille. Foto: ARD/SWR

Von Alex Wenisch

Stuttgart. Jeder, der Auto fährt, war wahrscheinlich schon mal nahe dran an einer solchen Situation: Einen Moment nicht aufgepasst – und beinahe wäre es passiert gewesen. Aber meistens geht es in letzter Sekunde noch mal gut und am nächsten Tag setzt man sich wieder in den Wagen. Der neue Stuttgarter Tatort "Der Mörder in mir" spielt die Frage durch: Wie verhältst du dich, wenn es mal nicht glücklich gut ausgeht?

Was ist passiert? Strömender Regen, es ist Nacht, eine dunkle Straße im Wald. Ben Dellien ist am Steuer kurz abgelenkt, weil er am Handy fummelt. Ein Schlag. Erst denkt er noch, er habe ein Wildtier überfahren. Aber als er aussteigt, sieht er: Da liegt ein Mann im Graben. Dellien hat einen Radler überfahren. Doch statt zu schauen, ob das Unfallopfer noch lebt, ob er helfen, ihm noch das Leben retten kann, steigt er ein und fährt weiter.

Worum geht es wirklich? Um Moral und Gewissen. Die feige Fahrerflucht verursacht bei Dellien schnell Schuldgefühle, gesteigert noch, als er erfährt, dass der Mann gestorben ist. Er will sich stellen, hofft dadurch auf Absolution. Doch seine Frau hindert ihn. Sie sieht die Lage kühl, rational. Die Familie – Dellien ist erfolgreicher Anwalt mit schickem Haus – hat viel zu verlieren. Und das Opfer, das war "nur ein Obdachloser". Als schließlich eine Zeugin auftritt, kann Dellien weder vor noch zurück. Er ist in die Ecke gedrängt. Mit einigen hanebüchenen Aktionen versucht er, Spuren zu verwischen. Man wartet jeden Moment, dass er völlig ausflippt. Nicolas Reinke spielt diese dramatische Zerrissenheit herausragend.

Wie schlagen sich die Kommissare? Sebastian Bootz (Felix Klare) steckt – mal wieder – in einer Sinnkrise. Er hadert mit seinem Job. Die Kommissare sammeln Indizien und es wird schnell klar, dass diese womöglich nicht ausreichend Beweiskraft haben werden. Aber Kollege Thorsten Lannert (Richy Müller) hält die Moral entgegen: "Willst du in einer Welt leben, wo einer mit so was durchkommt?"

Was ist die Stärke dieses Tatort? Drehbuchautor Niki Stein hat schon einige tolle Tatorte geschrieben, die weit über den reinen Kriminalfall wirken. In "Der Mörder in mir" richtet er einen moralischen Kompass aus, der nach Sendeschluss für Diskussionen auf dem heimischen Sofa sorgen wird. "Wie würdest du dich verhalten?" Im Umgang mit Schuld und schlechtem Gewissen (am Beispiel Dallien) aber auch beim Thema Zivilcourage (Zeugin Laura): Wo endet Bürgerpflicht und wo fängt Denunziation an?

Was sind die Schwächen? Die Ansprache, mit der Lannert am Ende seinen demotivierten Kollegen Bootz aufrichten will, gerät sehr moralinsauer. Schade. Die beiden Kommissare haben schon so viele Höhen und Tiefen miteinander erlebt, dass ein emotional offenes Ende besser gepasst hätte. Sportlich ist auch die Einschätzung des Gerichtsmediziners am Unfallort. Dass es sich hier um einen Mord handelt, sieht er quasi sofort. Dallien hat vielleicht fahrlässig gehandelt, das Unfallopfer in einer hilflosen Lage zurückgelassen. Aber mit Vorsatz getötet? Da vereinfachen die Tatort-Macher zu sehr.

Und sonst noch? Etwas Lokalkolorit: Das obdachlose Unfallopfer heißt Foxy und ist ein Heidelberger Unikat. Als "der gute Geist vom Marstall" hielt er in der Mensa der Uni die Tische sauber.

Was kann man von diesem Tatort fürs Leben lernen? Vorsicht Blitzer! Immer schön an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten!

Sonntag, 20.15 Uhr, lohnt es sich einzuschalten? Auf alle Fälle. Trotz der kleinen Ungereimtheiten ein starker Tatort.

Info: Hier gibt es den Tatort in der ARD-Mediathek.