"Natürlich sind Frauen genial!"
Auf ihrem Doppelalbum "Fortissima!" huldigt Raphaela Gromes den vergessenen Heldinnen der Musikhistorie.

Raphaela Gromes zählt zu den gefragtesten Cellistinnen ihrer Generation: Unlängst trat sie im Mannheimer Rosengarten aus, nun musiziert sie mit dem Goldmund Quartett in Frankfurt. Mit ihrem langjährigen Pianopartner Julian Riem und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin hat die 34-Jährige das Doppelalbum "Fortissima!" eingespielt. Zudem erzählt sie in einem gleichnamigen Buch die Geschichten dahinter. Im Interview mit Olaf Neumann spricht sie über Hildegard von Bingen, welche Stücke besonders anspruchsvoll sind und wie männliches Genie noch heute verklärt wird.
Frau Gromes, gemeinsam mit der Musikwissenschaftlerin Susanne Wosnitzka haben Sie das Buch "Fortissima!" über die "vergessenen Heldinnen der Musikgeschichte" geschrieben. Welches war die erste Frau in der Musikwelt, die noch zu Lebenszeiten ernst genommen wurde?
Raphaela Gomes: Es gab immer wieder Frauen, die gespielt wurden. Vor allem Äbtissinnen wie Kassia oder Hildegard von Bingen nahmen sich in ihren eigenen Klöstern die Freiheit, Musik zu schreiben. Sie ließen ihre Nonnen ihre Werke spielen. Die wurden natürlich nicht von der allgemeinen Musikwelt ernst genommen. In der italienischen Renaissance gab es Opern-Komponistinnen wie Barbara Strozzi oder Francesca Caccini. Sie wurden zu Lebzeiten auch gespielt, sind aber nach ihrem Tod sehr schnell in Vergessenheit geraten.
Und wie war es in Deutschland?
Gerade in Deutschland hatten es Komponistinnen sehr schwer, ernst genommen zu werden. Verrückter Weise war es am schlimmsten im 19. Jahrhundert nach der Säkularisierung, als unter Philosophen die Meinung vorherrschte, dass Frauen das Zweite, dem Mann untergeordnete Geschlecht seien. Dass sie kein Genie haben können. Dieses Vorurteil griffen sehr viele Musikwissenschaftler und Musikkritiker auf. Und auch Frauen nahmen es sich zu Herzen: Clara Schumann zum Beispiel konnte ihr eigenes Komponieren lediglich als Vergnügen ansehen. Es gab zu der Zeit aber auch Frauen, die an sich geglaubt haben.
Welche waren das?
Zum Beispiel Emilie Mayer und Luise Adolpha Le Beau. Diese beiden deutschen Komponistinnen aus der Romantik kämpften sehr für ihre Werke. Sie wurden auch immer wieder gefeiert, zum Beispiel für ihre Symphonien. Das Problem war allerdings, dass sie als absolute Ausnahme ihres Geschlechts galten und auch sie schnell wieder vergessen wurden. Es gab seit dem 11. Jahrhundert Frauen, die fantastisch komponiert haben, von der Mozart-Zeitgenossin Marianna von Martines bis zur modernen russischen Komponistin Sofia Gubaidulina. In Amerika gab es Amy Beach und Florence Price. Die beiden hatten ein ähnliches Schicksal wie hier Luise Adolpha Le Beau und Emilie Mayer.
Welche Aussage über Musik von Frauen möchten Sie nie wieder hören?
Dass Frauen nicht komponieren können, dass Frauen nicht genial sein können. Natürlich sind Frauen genial! Aber Musikkritiker, Musikwissenschaftler und Philosophen waren lange, lange Zeit fest davon überzeugt, dass Frauen eben keine kreative und schöpferische Kraft in sich hätten.
Auf Ihrem Doppelalbum "Fortissima!" konzentrieren Sie sich auf Sonaten und Konzerte von Komponistinnen, die Sie besonders schätzen. Viele der Aufnahmen sind Ersteinspielungen. Welches Stück hat Ihnen den Schweiß auf die Stirn getrieben?
Eindeutig das Cello-Konzert von der deutsch–jüdischen Komponistin Maria Herz. Das Werk konnte nicht mehr in Köln uraufgeführt werden, als 1933 die Aufführung von Werken jüdischer Komponisten verboten wurde. Maria Herz floh nach England und schließlich in die USA. Ihr Enkel hat mir das Stück zugespielt, und wir haben bei der Aufnahme mit dem Deutschen Symphonie–Orchester Berlin viel Zeit für dieses Konzert gebraucht, weil es sehr virtuos, sehr komplex und rhythmisch vielschichtig ist. Zudem konnten wir uns wegen der Akustik in der Jesus–Christus Kirche Berlin schlecht gegenseitig hören. Wir waren alle ziemlich am Leistungsmaximum und abends wirklich mit den Nerven am Ende.
Sie haben auch zwei Pop-Stücke – von Adele und P!nk – aufgenommen. P!nks "Wild Hearts Can’t Be Broken" ist zur Zeit des Harvey-Weinstein-Skandals entstanden. Was bedeutet Ihnen diese Nummer?
Erstens ist P!nk sehr feministisch und authentisch. Sie hat immer dafür gekämpft, ihren eigenen Weg zu gehen. Genau darum geht es auch in dem Stück. Um Weiblichkeit, um den Kampf von Frauen um Anerkennung, um den Kampf, dass ein Nein anerkannt wird und gleichzeitig um die Stärke von Frauen. Dass sie eben keine Opfer sind, sondern Überlebende. Das ist ein wichtiges Thema all dieser Komponistinnen. Es sind für mich Heldinnen. Was sie für ihre Kunst geleistet und geopfert haben, ist zutiefst bewundernswert und sehr inspirierend. Auch heute gibt es viele Themen, über die wir sprechen und Dinge, für die wir kämpfen müssen.
Der Weinstein-Skandal hat die Filmwelt sehr stark verändert. Hatte er auch Auswirkungen auf die Welt der klassischen Musik?
Zum Glück habe ich persönlich keine sexuellen Übergriffe erlebt, aber im Zuge der Arbeit am Buch haben mir Frauen sehr schockierende Geschichten erzählt. Ich glaube grundsätzlich, dass die klassische Musik ein bisschen hinten dran ist mit all diesen Entwicklungen. Weltweit sind wir bei sieben Prozent Komponistinnen auf den Spielplänen. Beim Cello stehen 22 Prozent Frauen auf der Bühne, und beim Dirigat sogar nur 13 Prozent. Der Geniekult ist in der klassischen Musik noch wichtiger als in der Popmusik, wo es selbstverständlich ist, eine Taylor Swift zu feiern, die Milliarden mit ihrer Musik eingespielt hat. Aber bei uns in der Klassik gibt es leider immer noch diese Verklärung von männlichen Genies, denen man vieles verzeiht, weil sie ja so genial sind. Aber ich denke, langsam wandelt sich auch diese Idee. Ich habe Freundinnen in Orchestern. Die sagen, die tyrannischen Dirigenten, die das Orchester fertig machen und Musiker ruinieren, die werden tatsächlich weniger.
Info: Das Buch "Fortissima!" ist bei Goldmann/Random House erschienen, die gleichnamige Doppel-CD bei Sony Classical. Am Donnerstag, 11. Dezember, tritt Raphaela Gromes mit dem Goldmund Quartett in der Alten Oper Frankfurt auf. Tickets ab 25 Euro unter Telefon 069 13 40.400.



