Von Summen und Klatschen, Entdecken und Feiern
Mit der 11. Auflage kehrte das "Maifeld Derby" nach der Pandemie zurück. Namen wie "Bilderbuch" und "Kettcar" ziehen das Publikum "magisch" an.

Von Sören S. Sgries
Mannheim. Wer die Einzigartigkeit dieses Festivals begreifen möchte, fängt am besten am Ende an. An diesem Sonntagabend nämlich. Die Sonne geht allmählich unter, im "Palastzelt" steht die allerletzte Band des "Maifeld Derby" auf der Bühne. Und was serviert man der leicht schweißig müffelnden Festivalmenge, die drei Tage lang fast rund um die Uhr Musik in sich einsaugte, in der Sonne schwitzte, tanzte, lebte? Einen Headliner, der noch einmal die letzten Kräfte mobilisiert, zu einer ekstatischen Feier des Lebens anstachelt? Aber nicht doch.
Zart sind die Gitarrenklänge von der Bühne. Kein Hall, keine Zerreffekte. Nur zwei Männer mit ihren Akustik-Gitarren, ihren Stimmen: Eirik Bøe und Erlend Øye, die "Kings of Convenience". Die beiden Norweger sind Perfektionisten, jeder Ton muss sitzen, jede Harmonie. Es geht das Gerücht um, dass sie für ihr aktuelles Album ("Peace or Love") vor allem deshalb zwölf Jahre brauchten, weil sie weltweit Tonstudios durchprobierten, bis sie eine ihren Ansprüchen genügende Aufnahmequalität fanden.

Die zwei jetzt also in einem riesigen Zelt, das summt wie ein Bienenschwarm, weil zumindest in den hinteren Reihen lebhaft getuschelt wird über die vergangenen Tage – das kann doch nur schiefgehen. Und tatsächlich: Øye macht eine böse Ansage an die Unkonzentrierten. Ein Rüffel von der Bühne, den man ihnen lange verübelt hätte – wenn sich dann nicht die Magie der "Kings" entfaltet hätte.
Das Summen im Zelt wird zum aufgeladenen Knistern, das Publikum ist im Bann dieses Indie-Folks, der jetzt schrittweise opulenter wird. Kontrabass, Violine, Schlagzeug, das Instrumentarium wächst. Und, ja auch das Publikum darf jetzt mitmachen: Klatschen, bitte. Aber konzentriert! "The lonely clap" soll es sein, ein genau getimter einzelner Klatscher, präzise auf den Punkt, mit langen Pausen dazwischen. Und: Es funktioniert.
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Kompliment an die Band – aber auch an das Festival. Denn wer als Festivalleiter so einen Schlusspunkt zu setzen wagt, der riskiert die große Enttäuschung zum Abschluss, ein Fiasko, wenn der Plan nicht aufgeht. Und wenn es klappt: Sagt das dann vielleicht auch was aus über das vorbildliche Publikum, das sich "Derby"-Chef Timo Kumpf in elf Festival-Ausgaben herangezüchtet hat? Eines, das wirklich in die Musik eintauchen will, statt sich – siehe "Rock am Ring" – in Bierduschen und Saufspielen zu verlieren? Dass es soetwas beim "Maifeld" nicht gibt, ist eine Selbstverständlichkeit für die bis zu 4500 Festivalgäste, die pro Tag auf das Gelände kommen. Wobei der Spaß natürlich nicht zu kurz kommt – abfeiern darf man beim Gute-Laune-Pop der Stuttgarter "Rikas", auf den Spuren Nirvanas bei "DIIV", bei "Easy Life" aus London.
Ambitionierte Musik mit großer Fangemeinde – und für die sicherlich ein Highlight – liefert "Bilderbuch" am Samstagabend. Die Wiener hatten 2015 mit "Schick Schock" ihren Durchbruch als experimentelle Indie-Pop-Band, seitdem gehören sie auf die Spotify-Playlisten einer ganzen Generation, das Repertoire ist gewaltig gewachsen. "Spliff", "Bungalow" – alles dabei für die textsicheren Fans. Ihr Auftritt in Mannheim: rockig-mitreißend, schrill, genial. Und am Ende steht Leadsänger Maurice Ernst auch noch oben ohne am Bühnenrand.
Für die etwas ältere Generation einer der Höhepunkte: "Kettcar" mit Marcus Wiebusch am frühen Sonntagabend. Seit 2001 stehen die Hamburger Indierocker auf der Bühne. Ganze alte Songs wie "Balu" haben sie im Gepäck. Und auch solche, die leider noch immer aktuell sind – etwa "Der Tag wird kommen" über Homosexualität im Fußball.
So viel Lob für (alte, weiße) Männer bisher – hat das Derby etwa auch ein Vielfalts-Problem, wie es bei anderen Formaten gerade diskutiert wird? Aber nicht doch. Die vermeintlich "großen" Namen sind tatsächlich noch männlich dominiert. Die großen Entdeckungen aber darf man eher bei den Frauen machen.
"Sampa The Great" beispielsweise, die energiegeladene Rapperin, die voller Stolz auf ihre Wurzeln in Sambia verweist – und mit ihrer fünfköpfigen Band Actionwellen durchs feiernde Publikum jagt. Oder Arooj Aftab, die bereits am Freitagabend in kleinster Jazz-Formation – mit Kontrabass und Harfe und arabischem Gesang – die Zuschauer bannte. Büsra Kayıkçı, die türkische Pianistin, deren zarten Klängen man gerne mal in Konzertsaal-Atmosphäre lauschen würde. Oder Emily Zoé, die Schweizerin mit dem harten, lederjackigen Rocksound, die auf der Bühne tobt wie vier Stadionrock-Bands.
Das Fazit? Als Entdecker- und Liebhaber-Festival, als Perle der lokalen Musikszene wurde das "Maifeld Derby" schon lange gelobt. Der Neustart nach den Pandemiejahren bestätigt das. Perfekt kuratiert, musikalisch breit aufgestellt wie nie – ein Genuss.