Historische Krimis haben immer noch Konjunktur, sowohl hierzulande - allen voran die Zwanziger-Jahre-Romane von Volker Kutscher, Vorlagen für "Babylon Berlin" - als auch international, wie die als "Miss Fishers mysteriöse Mordfälle" verfilmten Bücher der Australierin Kerry Greenwood. Braucht es da noch den von seiner Frau Sophie unerhört liebevoll "Willi" genannten zugereisten Hauptmann? Seine literarische Mutter Seeburg lässt das alte München detail- und kenntnisreich anklingen, vom Victualienmarkt mit c über längst nicht mehr existente Straßen bis hin zu simplen, aber nicht jedem bekannten Details wie dem Zahnsalz, das der Edelmann der Kaiserzeit zu nutzen pflegte, wenn er der neumodischen Zahnpasta misstraute. Manches ist auch 125 Jahre später noch aktuell, die Wohnungsnot etwa, manches hat sich diametral verändert, nämlich die einfachen Viertel, die jetzt zu Münchens teuersten Lagen zählen.
Neben dem 19. Jahrhundert ist die eigentliche Heldin des Buchs die Kriminalistik, die 1894 noch in den Kinderschuhen steckt. Gespickt mit Zitaten des österreichischen Vaters des Disziplin, Hans Groß, bietet "Der falsche Preuße" dem Leser Informationen über Spurensicherung und Zeugenbefragung in einer Zeit ohne DNA-Abgleich und Fingerabdrücke.
Trotz der illustren Bühne für die Geschichte verliert Seeburg die eigentliche Handlung nicht aus dem Blick. Gryszinski muss den Mord an einem Bierbeschauer aufklären, der der Gattin eines steinreichen Emporkömmlings schöne Augen gemacht hat und in ihrem Federkleid an der Isar gefunden wird, der Kopf zerfetzt von einer Schrotflintenladung. Der den jüngst verstorbenen König Ludwig verehrende Gatte wiederum hat sich eine Phantasiewelt in Bogenhausen aufgebaut. Da er auch noch in eine Tragödie um eine Afrika-Expedition zum blauen Diamanten verwickelt und wie Gryszinski Preuße in Bayern ist, wird dieser zum Spion zwischen zwei Fronten. Dabei steht er zwischen Berufsehre, Wahrheitsliebe sowie der neuen Heimat auf der einen Seite und dem Vaterland, Rang und Ehre auf der anderen. Keine leichte Entscheidung, zumal Gryszinski mehrfach Verdächtige entwischen und Beweisstücke verloren gehen.
Manches ist hart an der Grenze zum Kintopp, doch langweilig wird es mit dem falschen Preußen nie. Wenn man dann noch sein Wissen über die Kaiserzeit vertiefen kann, ist das mehr, als man über viele historische Krimis sagen kann. Seeburg plant bereits die zweite Ermittlung des jungen Vaters Gryszinski. Er darf loslegen.