Von Wolf H. Goldschmitt
Was haben die USA der Welt beschert? Auf Anhieb fällt einem ein: den Rock’n’ Roll, Coca-Cola, McDonalds und natürlich die Comics. Zwar gehen die ersten Zeichnungen dieser Art auf frühe Steinzeitmalereien zurück, doch Anfang der 1930er Jahre des vergangenen Jahrhunderts beginnt die eigentliche Kunst, moderne Mythen zu erschaffen. Und zwar als wöchentliche Streifen in den Tageszeitungen. Was zunächst als Wegwerfprodukt für Kinder gilt, wird von Major Malcolm Wheeler-Nicholson salonfein gestaltet. Im Jahr 1935 veröffentlicht der Gründer der Firma DC Comics New Fun Nr. 1, das erste Heft mit einem völlig neuen Unterhaltungsstoff, der die Lesekultur verändern wird.
Drucken die ersten Hefte anfangs auch Zeitungscomics ab, beginnt der Herausgeber rasch, aus Kostengründen eigene Serien zu produzieren. Neben der neuen Leserschaft entsteht auch eine neue Generation an Gegnern. Ende der 30er Jahre tritt innerhalb des Genres Abenteuer die Figur des Superhelden ins Rampenlicht. Los geht’s mit "Superman", gefolgt von "Batman". Die ersten Hefte als Serienexemplar sind die "Famous Funnies". Andere Genres ziehen schnell nach, so wird "Superman" testweise als Lückenfüller publiziert, erhält aber bald danach, wie andere populäre Figuren nach ihm, eine eigene Serie, von der monatlich Millionen Exemplare gedruckt werden. Gefördert wird der Aufstieg der übermenschlichen Retter auch durch den beginnenden Weltkrieg. Nach "Captain America" ziehen zur moralischen Aufrüstung der Zivilbevölkerung auch fast alle anderen Superhelden in den Kampf.
Im Anschluss an den Krieg werden die Comics härter, um auch eine erwachsene Leserschaft anzusprechen. Das ruft im Klima der McCarthy-Ära einen Kreuzzug gegen die angeblich jugendzersetzende Wirkung der Bilder hervor. Eine Zäsur für die Entwicklung des Comics, dem unter den modernen Massenmedien eine besonders verrohende Wirkung zugeschrieben wird, steht an. In der Folge kommt die Industrie durch die Gründung eines Verbandes zur freiwilligen Selbstkontrolle und dem dort beschlossenen "Comic-Code" staatlichen Eingriffen zuvor. Der Code beinhaltete den Verzicht auf vulgäre Sprache, Flüche und die Zurschaustellung von Narkotika und Rauschgiften sowie die Verpflichtung dazu, dass das Gute letztlich immer siegt, Kriminelle nicht in Saus und Braus leben und sexuelle Beziehungen nicht gezeigt werden. Jedes Heft muss der Comics Magazine Association of America zur Prüfung vorgelegt werden. Bewilligte Comics erhalten ein Siegel, Comics ohne Siegel werden vom Handel zurückgewiesen. Die Hälfte der Publikationen in den USA stellt daraufhin ihr Erscheinen ein. Die Comics von Micky Maus & Co. überleben. Erst nach 30 Jahren wird das Siegel bedeutungslos. Als Reaktion auf die Markteinbrüche entwickeln die Verlage andere Superhelden, die nun mit alltäglichen Problemen zu kämpfen haben. Ein in dieser Zeit geschaffener Superheld heißt "Spiderman". Solche und ähnliche Figuren bestimmen bis heute das Genre.
Jetzt legt der Verlag Taschen ein kompaktes Buch über die "Keimzelle DC Comics" vor: weit über 2000 Bilder - Cover und Innenteilseiten, Originalillustrationen, Fotografien und Sammlerobjekte füllen die 720 Seiten des gewichtigen Bandes. Alles neu fotografiert, um die Geschichten, die Charaktere und ihre Schöpfer zu pulsierendem Leben zu erwecken, so, wie man sie noch nie zuvor gesehen hat. Geschichten zur Geschichte präsentiert Paul Levitz, der 38 Jahre bei DC gearbeitet hat und in seinen ausführlichen Essays die Firmenchronik nachzeichnet - von den schäbigen Anfängen bis zum hochmodernen Digital Publishing. Präzise Zeitleisten und ein ausführlicher Anhang mit den Biografien aller Protagonisten aus der bunten Firmengeschichte runden das opulente Werk ab.
Info: Paul Levitz: "75 Jahre DC Comics. Die Kunst moderne Mythen zu schaffen". Deutsch u. Englisch, 720 S., Taschen-Verlag, 49,99 Euro.