Im Großen Salon des Kurpfälzischen Museums Heidelberg fand unter reger Beteiligung die Diskussion um die Thesen des 'Kulturinfarkts' statt. Als 'Überraschungsgast' hatte sich ein Autor des umstrittenen Buchs unter das Publikum gemischt. Foto: Hentschel
Von Jan Knobloch
Selten dürfte eine Schrift zur Kulturpolitik solches Aufsehen erregt haben. Als der "Spiegel" einen Auszug aus dem Buch "Der Kulturinfarkt" veröffentlichte, ging ein Ruck durch die Feuilletons. Über Kulturpolitik wurde auf einmal heftig gestritten. Dabei sind die Probleme, die die vier Autoren Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz in ihrer "Polemik" ausmachten, nicht neu.
Kulturförderung sei "ineffizient, ungerecht, elitär und überteuert", wird da argumentiert. Gefördert würden vor allem bereits institutionalisierte Schlachtschiffe wie Theater, Oper und Museum, während die restliche Kulturszene außen vor bleibe. Die ungleich verteilten "Subventionen" erhielten somit ökonomisch nicht sinnvolle Strukturen aufrecht, gegen deren Reformierung sich eine an Selbsterhalt interessierte Kulturlobby sperre. Aufregung verursachte dabei vor allem die propagierte Lösung des Problems: Die Hälfte aller subventionierten Institutionen könne man schließen.
In einer vom Heidelberger Kunstverein organisierten Podiumsdiskussion im Kurpfälzischen Museum sollte eine Debatte darüber angestoßen werden. Einer der Autoren, Dieter Haselbach, saß dabei mit im Publikum, bleib zunächst jedoch unerkannt. Auf dem Podium saßen Manfred Metzner (Wunderhorn Verlag), Bürgermeister Joachim Gerner, Ulrike Lorenz (Kunsthalle Mannheim), Petra von Olschowski (Kunstakademie Stuttgart), Holger Schultze (Intendant) sowie Klaus Staeck (Präsident der Akademie der Künste Berlin).
Selbstkritisch vermerkten einige der Diskutanten, sie hätten das Buch zu Beginn nicht sonderlich ernst genommen. Umso erstaunlicher fiel die aktuelle Wortwahl aus. Die Vermischung unterschiedlicher Ebenen mache die Schrift "gefährlich" (von Olschowski), die "Gefahr" an diesem Buch sei, dass niemand es gelesen habe (Schultze), und eine der "verheerenden Folgen" sei, dass alle jetzt dicht machten, statt offen miteinander zu sprechen (Staeck).
Besonders Kunsthallendirektorin Lorenz und Theaterintendant Schultze, Vertreter der als behäbig kritisierten "Riesentanker" also, brandmarkten die Zustandsanalyse des Buches als realitätsfern. Man reagiere schon lange auf Veränderungen in der Gesellschaft, habe sich in den letzten 20 Jahren weit geöffnet und den einstigen paternalistischen Hochkultur-Gestus zugunsten offener, gesprächsbereiter Kulturvermittlung abgelegt. Ein Zuhörer brachte daraufhin den Eindruck vor, hier säßen sechs Leute aus dem etablierten Kulturbetrieb, die sich fürchterlich über das Buch aufregten, Reformen aber mit einem "das machen wir doch schon alles" abtäten.
Hier wirkt die populistische Mechanik des "Kulturlobby"-Arguments: Jede Gegenrede zu den im Buch aufgestellten Thesen scheint ebendiese wiederum zu bestätigen, indem Gegenredner einfach als interessengeleitete Kulturlobbyisten eingeordnet werden.
Als Haselbach sich dann nach rund 90 Minuten als Mitautor zu erkennen gab, trat die starke Emotionalität der Debatte zutage. Nach wenigen Sätzen wurde er unterbrochen, und das Podium musste darum ringen, sich zu einer sachlichen Diskussion fähig zu zeigen. Unschöne Bemerkungen, Provokationen und entnervtes Stöhnen folgten, Haselbach ätzte zurück: "Können Sie lesen?" Passend dazu kam der entscheidende Aufruf zu Sachlichkeit und gegenseitigem Respekt aus dem Publikum.
Nach Haselbach würden Kultureinrichtungen generell als unverzichtbar angesehen. Dabei wollten er und seine Kollegen nicht alle Kultursubventionen abschaffen, sondern hinterfragen, welche Teilnehmer des Kulturmarktes Unterstützung bekommen sollten und welche nicht. Das Podium setzte dem entgegen, man befinde sich schon seit Jahren in ebendieser Debatte, der "Kulturinfarkt" aber hebe sie aus ihren sachlichen Angeln und schüre Emotionen und Populismus. Letztlich warf jede Seite der anderen vor, als Populist beziehungsweise Lobbyist für Argumente nicht zugänglich zu sein. Es wird noch dauern, bis diese Debatte Früchte tragen kann.