Heidelberger Schlossgespräch: Bewusste Verdichtung oder urbane Misere?
Beim 13. Heidelberger Schlossgespräch diskutierten Christoph Ingenhoven und Peter Sloterdijk über Städtebau

Der Philosoph Peter Sloterdijk (l.) und der Architekt Christoph Ingenhoven (r.) diskutierten mit Moderator Wolfgang Riehle, Ehrenpräsident der Architektenkammer Baden-Württemberg. Foto: Rothe
Von Susann Behnke-Pfuhl
Heidelberg. Die Schlossgespräche haben sich zu einem festen Bestandteil des Heidelberger Kulturlebens entwickelt. Jetzt waren es der Architekt Christoph Ingenhoven und der Philosoph Peter Sloterdijk, die für einen bis auf den letzten Platz besetzten Königssaal des Schlosses sorgten. Eingeladen hatte Baudirektor Bernd Müller, Amtsleiter des Amtes für Vermögen und Bau von Mannheim und Heidelberg, der als Initiator dieser Gespräche verantwortlich zeichnet.
Christoph Ingenhoven gehört zu den führenden Architekten, die sich für nachhaltige Architektur einsetzen. Mit seinem Konzept "Supergreen" hat er sich eine Selbstverpflichtung auferlegt, die weit über die Standards hinausgeht, wie Müller anmerkte. Dem Energie- und Ressourcenverbrauch wird beim Bauen dabei grundsätzlich Rechnung getragen, auch im Hinblick auf die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes. Aufsehen erregten seine ökologischen Hochhäuser, beispielsweise der RWE-Turm in Essen oder "1 Bligh" in Sydney.
Der 1960 in Düsseldorf geborene Ingenhoven, der an der RWTH Aachen und der Düsseldorfer Kunstakademie studierte, begann seinen Vortrag mit einem Film, der das "Raumschiff Erde" aus der Vogelperspektive zeigte. Er erinnerte an die Macht, die Architekten, Designer und Ingenieure in ihrer Verantwortung für begrenzte Ressourcen besitzen. Beeinflusst haben ihn die Visionäre Buckminster Fuller und Frei Otto, aber auch anonyme Architektur. Die Architektur werde überschätzt, sie sei eher die Folge guter Entscheidungen. In seinen Projekten ist der Zwischenraum wichtig, der nach dem Bauen übrig bleibt, die Annahme der Freiflächen durch die Nutzer und die Entstehung eines Ortes. Und: "Wie viel Fläche können wir als Grün oder Gemeinschaftsfläche am Ende wieder zurückgeben?"
Beim umstrittenen Neubau des Stuttgarter Bahnhofs, der nun spätestens 2024 fertiggestellt sein soll, ginge es auch um die Zusammenführung zweier Parks sowie die Verlegung von Hauptverkehrsachsen, wie Ingenhoven in seinem Bildvortrag erläuterte.
Im Anschluss daran stellte er die beiden ökologischen Hochhäuser "1 Bligh" (2011) in Sydney und "Marina One" (2011 - 2017) in Singapur vor. Das ausgezeichnete Gebäude in Sydney weist im Rahmen des ökologischen Gesamtkonzeptes ein ausgeklügeltes Belüftungssystem und Abwasserrecycling auf. Die zweischalige Fassade dient ebenso wie das Atrium der natürlichen Belüftung. Das Atrium gewährt Einblick in die Arbeit in den verschiedenen Büros. Eine Gemeinschaft der in diesem Haus Arbeitenden wird dadurch angestrebt.
"Marina One" ist ein Ausnahmeprojekt für verdichtetes städtisches Wohnen: In diesem Büro- und Wohnbaukomplex können rund 30.000 Menschen arbeiten. Herzstück ist ein riesiger Park. Das Gebäude weist Gärten auf mehreren Ebenen auf. Die natürliche Belüftung gewährleisten "offene Korridore".
Die anschließende Debatte mit Peter Sloterdijk, der bis Oktober 2016 an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe Philosophie und Ästhetik lehrte, entspann sich im Wesentlichen um die Funktion von Hochhäusern im Zuge eines zunehmend verdichteten Wohnens in den Städten. Sloterdijk führte vor allem im Hinblick auf die außereuropäischen Beispiele aus, dass 2060 unter dem Druck einer ungeheuren Fatalität die ländliche gegen die urbane Misere eingetauscht werde. Vor diesem Hintergrund sollten die Städte glänzend gemacht werden, um sie vor Verwahrlosung zu bewahren.
Angesichts des Lobs der Dichte in den Städten verwies er auf Stiche von Künstlern in der Renaissance, die - als PR-Maßnahme - die Physiognomie einer Stadt abbildeten. So spräche alles dafür, Elemente zu erhalten oder Gebäude zu schaffen, die Wahrzeichencharakter hätten. Indes habe Dichte noch einen zweiten Sinn, Leben sei die Erfolgsphase eines Immunsystems, Häuser "verräumlichte Immunsysteme". Ingenhoven dagegen sah den Bau von Hochhäusern als "Schlüsseltechnologie" an, da Städte keine endlose Ausdehnung vertragen. Dichte werde oft als angenehm empfunden. Eine Kultur des Zusammenlebens sei allerdings notwendig.