Führt die Spur zur Wieblinger Kerwe?

1422 ereignete sich dort ein tödlicher Streit - Ein Jahr darauf wurde ein Kerwe-Verbot für Studenten in Handschuhsheim erlassen

21.08.2024 UPDATE: 21.08.2024 04:00 Uhr 2 Minuten, 10 Sekunden
Ende eines mehr als 600 Jahre alten Verbots: Beim Lindentanz der Handschuhsheimer Kerwe Mitte Juni tritt Universitätsrektorin Frauke Melchior überraschend vor die Festgesellschaft, um den alten Erlass ihres Vorgängers aufzuheben. Foto: Schückler

Von Walter Petschan

Es war für viele eine Überraschung, als Universitätsrektorin Frauke Melchior auf der Handschuhsheimer Kerwe im Juni das Kerwe-Verbot für Studenten nach mehr als 600 Jahren offiziell aufhob. Der Erlass stammte noch aus dem Jahr 1423, als an der noch jungen Universität nur einige Hundert junge Männer studierten und Handschuhsheim noch ein kleines Bauerndorf war. Der genaue Grund für das Verbot ist bis heute nicht bekannt. Universitätsarchivar Dr. Ingo Runde wies im RNZ-Interview vom 13. Juli darauf hin, dass das Kerwe-Verbot für Studenten in eine Zeit von Studentenunruhen fiel. Ein konkreter Grund könnte aber auch ein Vorgang gewesen sein, der sich genau im Jahr zuvor auf der Wieblinger Kerwe abgespielt hatte.

Anlass für die früheste schriftliche Nennung der Wieblinger Kerwe im Jahr 1422 war ein tödlicher Streit. In den sogenannten Rektorbüchern der Heidelberger Universität haben die Rektoren in lateinischer Sprache Protokoll geführt, unter anderem über Untaten der Studenten und die folgenden Strafen. So wird für 1422 berichtet: "Eine beklagenswerte Tat am Tag des heiligen Bartholomäus im Dorf ,Wiebelingen’, wo bei der Kerwe mehrere Studenten wegen des Tanzes waren: Nachdem ein Streit und ein heftiger Auflauf entstanden waren zwischen ihnen und den Dorfbewohnern, auch aus anderen benachbarten Dörfern, so dass wegen der Studenten ebendort die Glocken geläutet wurden, und zwar ,Sturm’, töteten Bauern bei der Verfolgung der Studenten sofort zwei von ihnen, nämlich Seifried und seinen Freund (oder Verwandten?) [...] Außerdem verwundeten sie mehrere schwer. Ferner töteten sie einen Bartscherer zu Heidelberg und verstümmelten mehrere andere Bürger."

Zur Wieblinger Kerwe 1422 kamen also auch Studenten aus Heidelberg. Es entstand ein Gelage, das sicher wegen des Alkoholkonsums in einer tödlichen Auseinandersetzung endete. Ob die Totschläger Wieblinger waren, wird nicht gesagt; es könnten auch "Nachbardörfler" gewesen sein. Die Heidelberger Studenten waren wegen ihres Verhaltens in der ganzen Umgebung wenig beliebt.

Wie ging das Drama aus? Der Rektor trug weiter in sein Buch ein: "Aber beachte: Es wurde keine Beschwerde durch irgendeinen Studenten bei der Universität oder dem Rektor geführt noch folgte durch die Beamten unseres Herrn Fürsten, der damals abwesend war, irgendeine Bestrafung." Vielleicht erstatteten die Studenten keine Anzeige, weil sich daraus ergeben hätte, dass sie den Streit provoziert und angefangen hatten. Trotzdem hätte der zweifache Totschlag nach heutigem Recht natürlich bestraft werden müssen. Und dass weder der Rektor noch die Beamten des Kurfürsten von Amts wegen tätig wurden, wäre heute ein großes Dienstvergehen. Doch womöglich war das nächstjährige Verbot für die Studenten, auf die Handschuhsheimer Kerwe zu gehen, noch eine Spätfolge des Wieblinger Vorgangs.

Für Wieblingen ist dieser Bericht insofern von Interesse, als damit bewiesen ist, dass die örtliche Kerwe schon im Spätmittelalter am 24. August stattfand, dem Fest des Apostels Bartholomäus, der einer der beiden Wieblinger Kirchenpatrone war und bis heute noch ist. Da noch bis vor einigen Jahren die Kerwe am Wochenende nach dem Bartholomäustag stattfand, darf man annehmen, dass dies Jahrhunderte lang so gewesen ist.

Aber genau dieser Termin, also mitten in den Sommerferien, wo die meisten Leute in Urlaub sind, trug dazu bei, dass die Wieblinger Kerwe 2014 endgültig "eingeschlafen" ist. Die Vereine, die abwechselnd die Großzeltkerwe ausrichteten, fühlten sich dazu nicht mehr in der Lage. Außerdem gab es ab 1981 ein "Stadtteilfest" (seit 2010 "Neckarfest" genannt) zusätzlich zur Kerwe. Und dieses viel jüngere Wieblinger Neckarfest ist bisher weitgehend friedlich verlaufen – zumindest ohne Schlägereien mit Studenten und ohne Totschlag.