Caro Wahl, eine außergewöhnliche Autorin aus Altenbach
Bevor Caroline Wahl die Bestseller-Listen stürmte, führte ihr Weg über Schriesheim und Heidelberg. Wir trafen sie für ein persönliches Gespräch.

Von Matthias Kehl
Speyer. Im Porträt-Podcast "Mein Platz" spricht Caroline Wahl über ihr Aufwachsen in Schriesheim, ihre Liebe für Heidelberg, ihr Selbstbewusstsein im Spotlight und ihre Vorfreude auf neue Projekte. Eine Begegnung mit der Bestseller-Autorin:
Im Rekordtempo ins Rampenlicht
Der Treffpunkt ist ein unauffälliges Hotel im Stadtzentrum. Fußläufig vom Saal, wo die aufstrebende Autorin später für ihre ausverkaufte Lesung gebucht ist. Caroline Wahl trägt eine feine Felljacke, dunkle Boots und einen knallgelben Jutebeutel, als sie im Foyer erscheint. "Hi", stellt sie sich freundlich vor: "Caro".
Ganz schön unprätentiös für eine Schriftstellerin, deren Romane "22 Bahnen" (2023) und "Windstärke 17" (2024) direkt durch die Decke gingen. Buch Nummer drei, "Die Assistentin", wird für Ende August mit Spannung erwartet. Die 29-Jährige gilt gerade als Role Model unter Deutschlands Nachwuchsschriftstellerinnen. Star-Allüren zeigt Caro Wahl im direkten Kontakt keine. Ganz im Gegenteil.
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Höflich, zugänglich und interessiert nimmt sie sich eine gute Stunde Zeit fürs Interview, das unmittelbar vor ihrem Lese-Auftritt stattfindet. In Hektik gerät sie dabei nicht. Könnte man doch meinen, dass sie es generell eilig habe. Als Autorin, die mit ihren Büchern durch die Republik tourt und scheinbar im Rekordtempo ins Rampenlicht geraten ist. Dass der Weg dorthin lang und kompliziert war, erkennt, wer sich intensiver mit ihr beschäftigt.
Aufgewachsen in Altenbach
Etwa 45 Kilometer entfernt vom Hotel in Speyer, wo wir uns auf dem Eck-Sofa gegenübersitzen, ist Caro Wahl aufgewachsen. Mit fünf Jahren zog die gebürtige Rheinland-Pfälzerin samt Familie nach Schriesheim-Altenbach. Zusammen mit ihren Eltern und den zwei älteren Brüdern wohnt sie einst im 2000 Einwohner fassenden Stadtteil, nah am Odenwald. "Wenn ich an zu Hause denke und träume, träume ich von diesem Haus", erinnert sie sich und meint dabei das Heim der Familie an der Bergstraße. Wahl, die gerade in Schleswig-Holstein wohnt, denkt mit guten Gefühlen an diese Zeit.
Geprägt wird ihre Kindheit durch ihre Brüder. Mit ihnen verbringt sie viel Zeit, nimmt ihre Hobbys an. Jeder, der große Geschwister habe, wisse, dass es da auch mal ruppig zugehe, sagt sie. Schwierigkeiten hat das Mädchen zu jener Zeit, Freundinnen zu finden. Die Ursache sieht sie im durch Jungs geprägten Umgangston daheim: "Ich wollte alles immer auf dem direkten Weg klären – und fand Pferde doof."
Zu Schulzeiten hat sie insgesamt nicht viele Freunde, tut sich mit Gruppendynamiken eher schwer. "Ich war einfach nicht so krass integriert", fasst sie es zusammen. Mit etwa 14 Jahren öffnet sich Caro Wahl eine neue Welt: das Lesen in der Schulbücherei. Stundenlang zieht sie sich dorthin zurück, probiert sich durch die Literatur-Genres. Auch im Bücherregal der Eltern. Sie liest "exzessiv", sodass Mama und Papa sie abends ans Schlafen erinnern müssen. Auch in puncto Sport wählt Wahl ein Feld, das eher für ehrgeizige Einzelkämpferinnen gemacht ist: Sie spielt Tennis beim TC Schriesheim.
Ein Herz für Heidelberg
Als Jugendliche zieht es sie später häufig nach Heidelberg. Am liebsten spaziert sie am Philosophenweg. An den Torbögen vom Schloss sitzt sie gerne mit ihrer engsten Freundin. In der Altstadt feiert sie in der Unteren Straße, der Halle02 oder im Karlstorbahnhof. Von Altenbach aus ist Heidelberg für sie ein "Sehnsuchtsort". Auch wenn sie heute für Termine dorthin zurückkehrt, ist sie "immer wieder verliebt" in die Stadt.
Den Wunsch, einen Beruf zu erlangen, der mit Literatur zu tun hat, wächst schon in ihrer Jugend. 2013 macht sie Abitur am Kurpfalz-Gymnasium in Schriesheim. Germanistik und Deutsche Literatur wählt sie als Fächer für ihr Studium, für das es sie nach Tübingen und Berlin verschlägt. Während der Sommersemesterferien absolviert sie in ihrer Heimat 2015 ein Praktikum: in der Heidelberg-Redaktion der Rhein-Neckar-Zeitung.
Konfrontiert mit ihren alten Texten, lächelt Caro Wahl, wischt Anmerkungen beiseite, dass genau ausformulierte Beobachtungen schon seinerzeit zu erkennen gewesen seien. "Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich es drauf hab', habe mich eher wie eine Hochstaplerin gefühlt." Sie merkt, dass sie lieber in fiktionale Texten eintaucht.
Schwieriger Start in der Schweiz
Ihr Weg nach dem Studium führt über ein Presse-Volontariat in Stuttgart. Dort sammelt sie auch erste Berufserfahrung im Verlagswesen. Wahl liebäugelt, in einer der renommierten Schreibschulen unterzukommen. Leipzig und Hildesheim stehen zur Debatte – für noch mehr Praxis im literarischen Schreiben.
Aus Leipzig kommt eine Absage, die für sie hart gewesen sei, sagt Wahl. In Hildesheim wird sie eingeladen. Parallel dazu kommt eine Jobzusage aus Zürich. Sie könne direkt anfangen beim Diogenes Verlag, als Assistentin vom Verleger. Sie hadert, sieht darin indes eine Chance für den Start einer Verlags-Karriere und wagt schließlich den Schritt in die Schweiz.
Gewagt, getan. "Dann war ich in Zürich und es war richtig kacke", resümiert Wahl im Gespräch in Speyer. Sie fühlt sich weder wohl in ihrer Wohnung, noch generell in der Stadt, "die so reich ist". Auch der Job entpuppt sich nicht so, wie von ihr erhofft. Doch der Drang, selbst zu schreiben, bleibt. Er wird sogar stärker denn je.
Freigeschwommen mit "22 Bahnen"
Caro Wahl verfällt nicht in Selbstmitleid. Auch ohne Schreibschule entschließt sie sich ein Projekt auf eigene Faust anzugehen. Stets setzt sich nach getaner und nicht zufriedenstellender Arbeit hin und schreibt und schreibt und schreibt. Im Gespräch beschreibt sie es als "eine Art Schutzraum", der sich damit für sie öffnet. In gerade mal drei Monaten entsteht zu dieser Zeit ein Roman: "22 Bahnen".
Durch ihre persönliche Situation in der Schweiz bekommt das Projekt "eine besondere Dringlichkeit". Sie möchte, dass der Text schnell steht, selbst schnell weg aus Zürich. Rückblickend, sagt sie, mobilisiert sie dafür besondere Kräfte – und wird belohnt. Um die Geschichte überbieten sich später mehrere Verlage, Dumont aus Köln schlägt letztendlich zu. Parallel mit ihrer Roman-Protagonistin Tilda schwimmt sich so auch Caroline Wahl frei aus unkomfortabler Lage. Mittlerweile ist ihr Erstling ein Millionen-Seller.
Mit Rückenwind zu "Windstärke 17"
Von Zürich hat Caro Wahl dann die Nase voll und zieht an die Ostsee nach Rostock. Noch bevor das Lektorat zu "22 Bahnen" abgeschlossen ist, greift sie aber noch einmal ein. Sie lässt alle Zeitreferenzen im Roman anpassen. Denn sie hat eine Eingebung: die Fortsetzung der Geschichte. "Mich hat es beschäftigt, wie es mit Ida weitergeht", sagt sie. Ida ist die kleine Schwester der Roman-Protagonistin Tilda. Sie wird die Hauptfigur in ihrem zweiten Buch, die ihre Perspektive und Geschichte zehn Jahre nach dem Ende von 22 Bahnen erzählt.
Wahl will nachlegen. Dabei bekommt sie ordentlich Rückenwind. 22 Bahnen sahnt mehrere hochkarätige Preise ab, führt die Spiegel-Bestseller-Liste an. Sie selbst geht mit dem Roman auf Lese-Tour - und schreibt derweil weiter an "Windstärke 17". Auf der Reise durch die Republik beamt sie sich fürs Schreiben in die Gedanken ihrer Romanfiguren.
Selbstbewusst im Spotlight
2024 landet auch ihr zweites Buch wieder in den Bestseller-Listen. Währenddessen wird ihr Debütroman als Theaterstück inszeniert und verfilmt. Dass es "22 Bahnen" 2024 nicht auf die Liste für den Deutschen Buchpreis schafft, macht sie sauer – und das teilt sie auch auf Instagram mit.
Dass eine U30-Autorin keinen Hehl daraus macht, zu den Besten zu gehören, ja gar die beste Schriftstellerin in Deutschland werden zu wollen, sorgt für Gesprächsstoff. Caroline Wahl gibt gerne die freche, feministische Vorreiterin (die Pferde immer noch doof findet). "Ich weiß, dass es auch wieder abwärts gehen wird, aber jetzt ist meine Zeit", sagt sie im Speyerer Hotelzimmer.
Später wundert sich im ausverkauften Stadtsaal in der Fragerunde ein Herr, dass er als Mann bei den Besuchern in der Halle doch deutlich in der Unterzahl sei. Er möchte am Mikrofon eine Antwort und bekommt sie. Wahl spricht zugewandt und ohne überheblich zu klingen, dass sie vermute, Frauen würden generell mehr lesen. Und damit vielleicht auch die intelligentere Spezies sein. Es gibt Lacher und reichlich Applaus. Auch der erwähnte Herr lässt sich ein Schmunzeln abringen.
Voller Vorfreude
Im Juni wird Caroline Wahl 30. Ein Alter, dem die Zuschreibung "erwachsen" entspricht. Beim Ausblick auf die kommende Zeit, spricht die Autorin im Interview aber vor allem von "kindlicher Vorfreude".
Kinostart für "22 Bahnen" ist der 4. September. Eine deutsche Produktion, in der etwa Schauspieler Jannis Niewöhner mitwirkt. Den Cast hat sie beim Deutschen Filmball schon kennengelernt, berichtet sie begeistert.
Einige Zeit nach unserem Treffen verkündet Wahl via Instagram auch Neues zu ihrem dritten Buch. Es heißt "Die Assistentin" und erscheint am 28. August im Rowohlt Verlag. Wieder ein Roman. Aber, keine Fortsetzung, sondern ein völlig neues Projekt, wie sie schon im Interview betonte.
Bis das Werk erscheint, will sich die Schriftstellerin erholen. In der "Wahl-Heimat" Kiel. Dort möchte sie die Gegend erkunden, ihre Wohnung weiter einrichten, sich noch mehr einfinden. Und wie gewohnt: schreiben.