Plus Uralte Stadt mit viel Zukunftspotenzial

Tagung "Assur und Assyrien" in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Neue Funde und Forschungen - Stefan Mauls Überblick

28.05.2017 UPDATE: 31.05.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden

Von Heribert Vogt

Die vor mehr als 4000 Jahren im heutigen Nordirak gegründete Stadt Assur, die Hauptstadt Assyriens, fasziniert immer noch, so der Assyriologe Stefan Maul. In der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, wo das Forschungsprojekt "Edition literarischer Keilschrifttexte aus Assur" angesiedelt ist, eröffnete er eine internationale Tagung über die Funde und Forschungen zu der historischen Stadt. Und Maul war davon überzeugt, dass das im Jahr 614 v. Chr. zerstörte politisch-kulturelle Zentrum auch weiterhin großes wissenschaftliches Zukunftspotenzial besitzt.

Die Deutsche Orient-Gesellschaft hat vom 18. September 1903 bis zum 2. April 1914 Ausgrabungen in Assur durchgeführt. Im Jahr 2014 wurden das Ende der Ausgrabungen und der Beginn der Assur-Forschungen vor hundert Jahren gefeiert. Die Grabung in Assur war sehr substanziell: Erschlossen wurden 11.000 Tontafeln, darunter 5300 beschriebene Objekte, von denen zwei Drittel in Berlin und ein Drittel in Istanbul lagern. Zum Berliner Material gibt es unmittelbaren Zugang.

Hintergrund

Das Vorderasiatische Museum

Das Vorderasiatische Museum im Berliner Pergamonmuseum - ein starker Publikumsmagnet.

Das Vorderasiatische Museum befindet sich im Südflügel des Pergamonmuseums auf der Berliner Museumsinsel und umfasst eine der

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Das Vorderasiatische Museum

Das Vorderasiatische Museum im Berliner Pergamonmuseum - ein starker Publikumsmagnet.

Das Vorderasiatische Museum befindet sich im Südflügel des Pergamonmuseums auf der Berliner Museumsinsel und umfasst eine der größten Sammlungen Vorderasiatischer Kunst der Welt. Es enthält in 14 Sälen Exponate aus sechs Jahrtausenden, die vor allem aus den heutigen Staaten Irak, Syrien und Türkei stammen.

Berühmt sind die Rekonstruktionen der riesigen Prachtbauten Babylons, der Prozessionsstraße, des Ischtar-Tors und der Thronsaalfassade des Königs Nebukadnezar II. (604-562 v. Chr.), für die glasierte Originalziegel verwendet wurden, die aus vielen Bruchstücken zusammengesetzt waren.

In der DDR wurde das Haus bereits 1953 wiedereröffnet. Hier war ab 1987 der später in Heidelberg forschende Assyriologe Stefan Maul tätig (vgl. beistehenden Artikel).

Der vormalige Heidelberger Assyrio-loge Markus Hilgert ist seit dem 1. März 2014 Direktor des Vorderasiatischen Museums. Er ist auch Honorarprofessor der Universität Heidelberg. hv

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Die Grabung in Assur versuchte erstmals, ein städtisches Gefüge zu erschließen und eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie eine Stadt im Alten Orient aussieht. Das Projekt ist für die Assyriologie grundlegend: Ohne es hätten die fundamentalen Wörterbücher so nicht entstehen können. Die Ausgrabungen von Walter Andrae haben die Akropolis-Tempel und Paläste erschlossen und dann das Ruinengebiet der Stadt mit zehn Meter breiten Suchgräben im Abstand von 100 mal 100 Metern durchzogen.

Durch dieses gewissermaßen "brutale" Vorgehen hat man aber doch einen Querschnitt der materiellen wie der schriftlichen Kultur Assurs bergen können. Die gefundenen 11.000 Tontafeln aus assyrischen Archiven und Bibliotheken stammen fast alle aus diesen Suchgräben. Da liegt das weiterhin große archäologische Potenzial auf der Hand, denn die riesigen Flächen zwischen den Gräben sind noch unerschlossen.

Mauls persönliches Steckenpferd ist das Haus des Beschwörungspriesters, das Haus einer Familie, die für Heilsbewahrung und Unheilbeseitigung zuständig war, also für medizinische Versorgung, Magie oder auch Beschwörungskunst. Es ist der große Reichtum Assurs, dass man die gelehrten Disziplinen anhand der Befunde ermessen kann. Das zeigen auch Nachgrabungen der irakischen Antikenbehörden aus dem Jahr 1979. Just im Haus des Beschwörungspriesters versuchten sie, das zu bergen, was die deutschen Archäologen damals links und rechts haben liegen lassen. Und sicherlich hat es mehrere Bibliotheken dieser Art gegeben.

Inzwischen kann auch die Assur-Forschung in Heidelberg schon auf eine kleine Historie zurückblicken, wie einige runde Jahreszahlen belegen.

Vor 30 Jahren wechselte Stefan Maul von Göttingen nach Berlin an die Freie Universität im Westen der Stadt. Von dort besuchte er dann ab Mai 1987 auch regelmäßig das Vorderasiatische Museum im Ost-Berliner Pergamonmuseum, wo er sich mit den Assur-Texten beschäftigte. Das geschah in überaus freundschaftlicher Atmosphäre, schon bald durfte der Assyriologe am Grenzübergang Friedrichstraße die DDR durch den Diplomateneingang und ohne Zwangsumtausch betreten.

Vor 20 Jahren, 1997, erhielt Stefan Maul den Leibniz-Preis, nachdem er zwei Jahre zuvor nach Heidelberg gekommen war. Damals bekam er fünf Millionen Mark, die in fünf Jahren auszugeben waren. Mit diesen Mitteln wollte er eine Forschungsstruktur schaffen, die sich anschließend selbst trägt. Im Vorderasiatischen Museum konnten Abzüge von 2000 Fotos gemacht und von den 7180 Glasplatten Walter Andraes eine Fotodokumentation erstellt werden. Eine Fotografin konnte im Museum insgesamt 16.565 Aufnahmen von den Texten machen.

So entstand in Heidelberg ein Grundstock an Material. Nun sind hier etwa 50.000 Fotografien zusam-mengetragen worden, das gesamte Schrifttum aus Assur. Jedoch haben sich die Arbeitsbedingungen stark gewandelt. Vor allem die Digitalisierung eröffnet viele neu Möglichkeiten. Wenn etwa Grabungsfotos von Andrae an die vierzig Tontafeln vereinen, so kann man sie jetzt scannen, vergrößern und lesbarer machen, auch die Bestände aus Istanbul. Durch das Zoomen haben sich ganz neue Forschungsfelder ergeben, etwa im Hinblick auf Layout-Fragen.

Vor 10 Jahren, 2007, erschien die erste Publikation der Akademie-Edition, "Divinatorische Texte I" aus Assur, ein zweiter Band folgte sogleich. Und gerade ist der siebte Band "Ritualbeschreibungen und Gebete II" von Wiebke Meinhold herausgekommen.

Insgesamt Grund genug, jetzt mit internationalen Teilnehmern (Japan, USA, Israel, Irak, Spanien, Italien, Frankreich) über den Forschungsstand in Sachen Assur zu diskutieren.

Durchstreift wurden dabei die weiten Gebiete "Überlieferungen der mittelassyrischen Zeit", "Assyrische Lebenswel-ten", "Assyrien und Babylonien", "Keilschriftliteratur und ihre Wirkungsgeschichte", "Assyrische Gelehrsamkeit: Heilkunde und die Kunst der Zukunftsdeutung" sowie "Wiedergewinnung verloren geglaubter Keilschrifttexte".