Von Petra Kaminsky
Berlin. Mit scharfen Messern kann sie umgehen. Und mit Männern - oder besser mit Köchen. Denen, die sie fördern und denen, die sie ausbremsen wollten. Sonja Frühsammer hat es an die Spitze geschafft, sie ist Sterne-Köchin. Und damit eine Ausnahmeerscheinung in der von Platzhirschen dominierten Branche. "Beim Vorwärtskommen helfen ein starker Partner, Mut und Ehrgeiz", sagt sie.
Die Testesser des Michelin-Führers kürten in der Deutschlandausgabe für 2018 insgesamt 300 Häuser mit den begehrten Sternen. In nur zehn davon hat eine Küchenchefin das Sagen. Keine erreichte die Höchstnote von drei Sternen. Nur eine, Douce Steiner aus dem Schwarzwald, bekam zwei. Auch in anderen Koch-Rankings häufen sich Männernamen und Männerfotos. Ein krasses Missverhältnis: Im Alltag gehören Kochen und Backen fast wie eh und je zum Frauen-Klischee. Wenn es aber um Profi-Jobs, Ruhm und Geld geht, bleiben Köchinnen oft außen vor.
In der Küche des Berliner Restaurants "Frühsammers" arbeiten die Mitarbeiter eng beieinander. Die Chefin wirft einen Kontrollblick in die Runde. Vor Sonja Frühsammer liegt Fleisch. "Der Lammrücken kommt aus Neuruppin", sagt sie und trennt mit dem Messer die obere Fettschicht ab. Andere Rohstoffe werden ebenfalls im Umland der Hauptstadt gekauft. Aber nicht alle. Die 48-Jährige mag Atlantikfisch und den oft nussigen Geschmack des Iberico-Schweins aus Spanien.
Lokale und regionale Produkte gelten doch als trendig? Na und! Sonja Frühsammer setzt auf eigene Maßstäbe. Ihren Stern besitzt sie seit 2014. Da war sie deutlich über 40. Sie erzählt von frühen, hohen Zielen, Umwegen, etwa wegen der Kinder, und von Zweifeln. Zu ihrem Aufstieg, der nach dem Abitur von der Lehre in einer Firmenkantine über ein Cateringunternehmen zur Chefin des Top-Restaurants führt, sagt sie: "Es sind die Gäste, die uns immer besser gemacht haben."
Uns - das schließt ihren Mann Peter mit ein. Als Koch konnte dieser sich bereits im Alter von Mitte 20 über seinen ersten Stern freuen. Bei der Gründung des "Frühsammers" übernahm er die Rolle des Gastgebers und Sommeliers. Und überließ seiner Frau die Sterne-Jagd. In der Gourmetszene insgesamt ändern sich die Dinge nur im Schneckentempo. Gesellschaftliche Debatten um Gleichberechtigung und weibliche Chefs scheinen lange folgenlos geblieben zu sein. Knochenjobs am heißen Herd, familienfeindliche Arbeitszeiten und ein rauer Umgangston - so versuchen viele den Frauenmangel zu erklären.
Doch inzwischen gerät die Männerbastion unter Druck. Der weibliche Nachwuchs boxt sich nach oben. Köchinnen bilden Netzwerke. Und nicht zuletzt das Schreckgespenst Fachkräftemangel lässt manche Gastronomie-Päpste umdenken. Noch Anfang der 90er Jahre bekam Sonja Frühsammer bei ihren Bewerbungen zu hören: "Nein, wir stellen keine Frauen ein, das bringt das Team durcheinander." Heute sei das Schnee von gestern.
Das Missverhältnis beginnt schon in der Ausbildung: Auf drei männliche Auszubildende im Fach Koch und Köchin kommt ein weiblicher. "Diese Zahl ist seit vielen Jahren nahezu konstant", sagt Sandra Warden von der Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga).
Auch Ralf Flinkenflügel, Direktor des "Guide Michelin" Deutschland/Schweiz, sieht die Ausbildungszahlen als Teil des Problems. "Was das Kochen angeht, gibt es auf Sterne-Niveau keine Unterschiede zwischen Küchenchefinnen und Küchenchefs. Sie alle kochen hervorragend, sind jeder auf seine und jede auf ihre Weise", lobt er.
Douce Steiner ist Gastronomin und Geschäftsführerin des Hotel "Hirschen" im südbadischen Sulzburg.
Die israelische Star-Gastronomin Haya Molcho, Jahrgang 1955 und Chefin mehrerer Restaurants, ist Späteinsteigerin. Ihre Augen leuchten, wenn sie vom Kochen spricht. Sie ist mit ihrem Mann, dem Künstler Samy Molcho, viel gereist. Dann kamen vier Söhne. Erst allmählich wurde aus ihrer Leidenschaft ein Beruf.
Gerade schneidet sie kleine Tomaten für Mezze, einen orientalischen Vorspeisen-Gang. "In Mitteleuropa haben junge Frauen Angst davor, in der Küche zu arbeiten", meint Haya Molcho. "Sie denken: Ich möchte nicht wie meine Mutti sein. Sie verbinden die Arbeit als Köchin immer noch mit der Hausfrauenrolle."
Damit die Frauenpower in der Gourmetszene sichtbarer wird, macht Haya Molcho bei einem Event mit: der "Frauenwirtschaft". Im früheren Kaufhaus Jandorf in Berlin-Mitte kochen sechs Topköchinnen je einen Gang. Das Dinner für rund 180 Gäste ist Teil der Berliner Food Week, eines Branchentreffs. Die Küchenparty gibt Frauen eine große Bühne. Und präsentiert Vorbilder.
So eine Vorbildrolle besitzt Maria Groß: "Wir stehen uns manchmal selbst im Weg, wenn wir es zu gut machen wollen", sagt sie. Ihr heutiges Gericht: Forellen-Tatar mit Chia und Limone. Einige Männer in der Szene hätten ein übersteigertes Ego. "Es gibt Typen, die gehen mir tierisch auf die Nerven." Die Thüringerin studierte bis Mitte 20 Philosophie. Dann merkte sie, dass eine Lehre als Köchin mehr nach ihrem Geschmack war. Mit steiler Karriere: 2013 erntete sie ihren ersten Michelin-Stern. Sie mag es lieber ungekünstelt als hochdekoriert: Seit 2015 betreibt die heute 38-Jährige das Lokal "Bachstelze" in Erfurt.
Haya Molcho ist Chefin ihres eigenen Restaurants „Neni“ in Hamburg. Nach vielen Reisen fand sie zu ihrem Beruf."Wir Frauen müssen lernen, nicht gegeneinander zu arbeiten, sondern mehr Netzwerke zu bilden", findet sie. "Man darf sie nicht in Ruhe lassen, die Riege der alten Herrn da oben."
Ähnlich sieht das Laura Villanueva Guerra, spezialisiert auf Süßwerk. Mit Handschuhen portioniert sie Blätterteig fürs Dessert. "Es bewegt sich gerade ganz viel", beschreibt sie die Lage. Sie führt in Berlin eine Firma für Catering mit Süßspeisen und Torten. Die 36-Jährige ergänzt, dass auch viele Kollegen weg kommen möchten vom Klischee der Männerwirtschaft. Am Kochtresen im Gala-Saal bereitet Michéle Müller ihre neu interpretierte Soljanka vor. Gekrönt wird das Gericht, das kaum noch an den traditionellen Eintopf erinnert, von einer Blume aus gegarter Roter Bete.
Im Alltag führt sie das Restaurant "Quarré" im Nobel-Hotel "Adlon". Die 36-Jährige sieht zwar den Wandel, aber die alten Denkstrukturen seien zäh. Persönlich passt sie manches im Leben an die Job-Erfordernisse an. Etwa bei den Arbeitszeiten: "Wir feiern Weihnachten eben nicht unbedingt, wenn alle feiern. Sondern genau dann, wenn ich frei habe." Dabei erzeuge der weibliche Vormarsch auch Widerstand: "Ich habe gemerkt, wie eifersüchtig manche Männer werden."
Im Berliner Zwei-Sterne-Tempel "Reinstoff" sind die Tische vorbereitet. Die Gäste kommen abends. Den vier Frauen, die in verschiedenen Positionen für Genuss sorgen, bleibt noch Zeit. "Im Service kann ich bei uns von Gleichberechtigung sprechen. Dort haben die Frauen fast noch mehr Verantwortung als die Männer", sagt Geschäftsführerin Sabine Demel. Sie ist die Lebensgefährtin von Chefkoch Daniel Achilles. "Aber in der Küche, da haben wir nur eine Frau, Sophie." Gemeint ist Sophie Behnert, 28, aus Leipzig und Commis Pâtisserie, die Frau fürs Süße.
Laura Villanueva Guerra, gefeierte Berliner "Zuckerbäckerin" mit ihrem Laden "Tausendsünd".
"Frauen müssen bisher noch ein bisschen fleißiger sein als ihre männlichen Kollegen, um den gleichen Erfolg zu haben", sagt die 44-Jährige. "Das ändert sich erst langsam." Und manche Unterschiede springen ins Auge. "Es kommen Bewerbungen von Frauen und Männern gleichermaßen." Aber: Männer stellten sich gern als Macher dar, Frauen hofften eher auf die Aussagekraft ihrer Leistung. "Das sehe ich manchmal schon am Bewerbungsfoto: Da setzen manche Männer, die sich für die Küche auf Führungspositionen bewerben, den James-Bond-Blick auf." Die Expertinnen-Runde lacht.
Dessert-Köchin Behnert weiß, dass es zwischen Öfen, Kühlschränken und Topfbatterien derbe zugehen kann: "Wenn eine Frau den Küchenton so drauf hat wie die Männer, sind die Kollegen erstmal erstaunt", berichtet sie und lächelt dezent. Trotzdem sind sich alle einig, dass neue Zeiten beginnen. Auch bei der Wein-Begleitung. Im "Reinstoff" hat Maria Rehermann als Sommelière das Sagen. "Wenn man Chefin ist, dann hören die Männer manchmal gar nicht zu", erzählt die 31-Jährige. "Mir ist es öfter passiert, dass ich in einer Teambesprechung etwas erkläre. Und kurz danach fragt mich ein Kollege genau das, was ich gerade erläutert habe."
Hannah Müller, im Fachjargon Demichef de Rang, guckt sich manches noch etwas skeptisch an. "Gastronomie und Wein, mit diesen beiden Themen möchte ich auch später im Leben arbeiten", sagt die 25-Jährige. "Ich möchte aber auch Familie haben. Ob ich in der Spitzengastronomie bleibe, das weiß ich noch nicht."
Als Chefin und im eigenen Betrieb lässt sich mancher Traum viel schneller umsetzen. Gerade wenn die Hierarchie der Sterne-Welt nicht der Hauptmaßstab ist: "Es gibt ganz viele gute Frauen in der zweiten Reihe", sagt Sonja Frühsammer. "Manchen fehlt nur eine Portion Mut. Und die Entschlossenheit, etwas alleine zu machen."