Von Simon Michaelis
Die Astronautin Samantha Cristoforetti verbrachte
200 Tage auf der ISS – Ein Interview über Alltag und Humor im Weltraum, kosmische Ortsgespräche und Espresso.
Frau Cristoforetti, Sie steigen mit zwei Astronauten in die Sojus. Noch zweieinhalb Stunden bis zum Start zur ISS. Worüber spricht man da?
Bei uns herrschte eine lockere Atmosphäre. Wir haben viel gelacht, zum Beispiel über unsere zusammengekauerte Haltung. Besonders für Terry (Virts, Anm. d. Red.) war das aufgrund seiner Größe schmerzhaft. Er versuchte, sich mit Sudoku abzulenken, konnte es aber nicht lösen. Als wir einige Minuten vor dem Start die Visiere zuklappten, herrschte natürlich Ruhe.
Machten Sie sich zu keinem Zeitpunkt Sorgen?
Am Ende macht man sich tatsächlich eher um die kleinen praktischen Dinge Gedanken. Wie kann ich im Weltall pinkeln, ohne dass es zu unwürdigen Zwischenfällen kommt? Wir waren auf alle technischen Störfälle vorbereitet, wussten genau, was wann zu tun ist. Wenn die Rakete explodiert, kannst Du sowieso nichts tun.
Stimmt es, dass sich die Astronauten Lieder wünschen können, die sie gemeinsam vor dem Start hören?
Ja, natürlich lief "The final Countdown". Ich habe mir "Oh what a Night" von den Four Seasons gewünscht, Anton (Nikolajewitsch Schkaplerow, Anm. d. Red.) wählte "Soli" von Adriano Celentano. Er versteht kein Italienisch, aber eine Textzeile hat lustigerweise gut gepasst. Übersetzt heißt es da: "Es ist zwecklos, hier zu klingeln, es macht euch keiner auf, die Welt mit ihrem Lärm und Chaos haben wir ausgesperrt." (Lacht)
Sie durften eineinhalb Kilo an persönlichen Dingen mit an Bord nehmen. Wie sah Ihr Handgepäck ins All aus?
Das waren symbolische, emotional wertvolle Sachen von Freunden und der Familie: Schmuckstücke, Spielzeug, Fotos oder Kinderzeichnungen, die ich in der Schwerelosigkeit fotografiert und dann wieder zurückgegeben habe. Außerdem hatte ich 150 durchnummerierte Exemplare eines von mir selbst zusammengestellten Minibuchs dabei, mit thematisch passenden Texten und Gedichten von Goethe, Emily Dickinson oder Antoine de Saint-Exupéry. Ich verschenke sie noch heute an Freunde.
Apropos Freunde: Wie blieben Sie mit ihnen auf die Entfernung in Kontakt?
Wir hatten ein Voice-over-IP-Telefon, mit dem wir uns über das Internet ins irdische Telefonnetz einklinken konnten.
Und welche Vorwahl hat unsere Erde?
(Lacht) Ich musste so wählen, als säße ich in Houston. Für Anrufe in die USA brauchte ich also nicht die 001 vorzuwählen, für Deutschland galt aber die 0049.
Ein Anruf aus dem All nach Houston war also ein Ortsgespräch?
Genau, das habe ich anfangs nicht verstanden. Als ich meine zwei Freundinnen Mary und Stacy in Houston anrufen wollte, klappte es nicht. Irgendwann meldete sich eine Stimme: "Bitte erläutern Sie die Art Ihres Notfalls." Ich hatte versehentlich die Notrufnummer 911 gewählt (lacht).
Was haben Sie empfunden, als Sie zum ersten Mal von der ISS auf die Erde blickten?
Überwältigende Schönheit! Und gleichzeitig symbolisierte dieser Blick das Ziel meiner langen Reise - nicht nur all meiner Trainingsstunden, sondern das Ziel meines Lebens. Das war wahnsinnig intensiv. Es ist schon seltsam, wie winzig meine Heimat und wie klein Europa von dort oben ist. Da denkt man schon: All das, was ich bisher erlebt habe, ist nur so ein verschwindend kleiner Teil dessen, was auf der Erde passiert. Und wir umrunden sie in der ISS in gerade mal 90 Minuten.
Wäre es heilsam, wenn mehr Menschen diese Perspektive teilen könnten?
Kann sein, aber es gibt sehr viele heilsame Dinge, die effizienter wären als Menschen in den Weltraum zu schicken. Zu denken, dass das unsere Probleme lösen würde, ist etwas zu einfach gedacht.
Wie sieht denn der Alltag im All aus? Abgesehen von Ihrer täglichen Arbeit.
Samstag ist Putztag, da wird gestaubsaugt. Außerdem wird viel viel Sport getrieben: Fahrradergometer, am Laufband und Krafttraining. Dabei war es eine willkommene Ablenkung, Serien zu schauen. Man konnte sich vor dem Start eine Serie aussuchen, die man auf der ISS dann schauen konnte. Mir wurde "Battlestar Galactica" empfohlen. Gute Wahl.
Als Italienerin wollten Sie nicht auf Ihren Espresso verzichten und haben als erste Astronautin eine Espressomaschine ins All gebracht.
Ich habe sie zwar nicht selbst dorthin gebracht, aber sie kam tatsächlich aus Italien. Ich habe sie aufgebaut und in Betrieb genommen, eine richtig große Maschine.
Staubsaugen, Sport, Espresso, Serien gucken - klingt, als würde sich das Leben hier unten von dem im All kaum unterscheiden.
Der Alltag ist sogar erheblich einfacher als auf der Erde. Du triffst kaum Entscheidungen, die täglichen Aktivitäten werden vom Boden aus geplant. Die Ausführung birgt natürlich eine große Verantwortung. Fehler kosten Geld und möglicherweise den Erfolg eines Experiments, an dem Forschergruppen jahrelang gearbeitet haben. Aber damit bin ich gut klargekommen. Ergebnisse abzuliefern, fand ich wohltuend. Auf der Erde muss man sich den Sinn oft erst suchen. Du hast nicht jeden Tag das Gefühl, etwas geleistet zu haben.
Was war Ihre größte Leistung, die größte Hürde auf ihrem jahrelangen Weg?
Die Ausbildung für Weltraumspaziergänge, also Außenbordeinsätze. Das war zwar das Spannendste, was ich lernen durfte, physisch aber sehr anstrengend - besonders für kleinere Menschen wie mich, denn die Anzüge gibt es nicht in kleinen Größen. Du musst also mit einem Anzug klarkommen, der eigentlich etwas zu groß ist.
Hatten Sie in diesem männerdominierten Beruf mit Hindernissen zu kämpfen?
(Überlegt) Nicht dass ich wüsste.
Sie haben also keinerlei Diskriminierungen erfahren?
Vielleicht waren die Diskriminierungen so subtil, dass ich sie gar nicht als solche wahrgenommen habe. Genauso wie die ebenso wahrscheinlichen und subtilen Situationen, in denen ich begünstigt wurde. Ich denke, dass der Nettoeffekt für mich quasi bei null liegt.
Sind Sie sich Ihrer Vorbildfunktion in diesem Hinblick denn bewusst?
Ich höre das häufiger mal, ja. Frauen kommen gelegentlich auf mich zu und sagen mir, dass ich eine Inspiration für sie bin. Natürlich freut mich das.
Sie sagten, dass der Flug ins All Ihr großes Lebensziel war. Wie war es da zurückzukommen? Sind Sie vom Himmel in ein Loch gefallen?
Nein, um Gottes Willen! Das Leben hier unten ist so schön. Ich mag meine Familie, meine Freunde, mein Leben, habe viele verschiedene Interessen. Aber natürlich würde ich gerne wieder ins All fliegen.
Derzeit sind Sie für die Esa Crew-Repräsentantin im Projekt Lunar Orbital Platform-Gateway. Eine geplante Raumstation, die den Mond umkreisen soll - als Zwischenstation für bemannte Missionen zum Mond. Ist das Ihr nächstes Ziel?
Ich gehe davon aus, dass ich als Nächstes wieder auf die ISS komme. Den Mond kann ich nicht ausschließen und würde mich auch sehr darüber freuen, aber das ist wohl weniger wahrscheinlich.
Warum, denken Sie, sind solche Missionen für die Menschheit so wichtig?
Es gibt die praktischen Aspekte: Wissenschaft, Technik, Industriepolitik. Ich halte den ideellen Aspekt aber für wichtiger. Der menschliche Geist braucht große Ziele - ein Gemeinschaftsprojekt der Menschheit.
Welche Ziele sollen das konkret sein?
Als Nächstes auf jeden Fall die permanente Präsenz in der Mond-Umlaufbahn. Und dann haben wohl alle die Hoffnung, dass es irgendwann in Richtung Mars geht.
Ihre Mission war die 42. ISS-Expedition. Sie sind großer Fan von Douglas Adams’ Buch "Per Anhalter durch die Galaxis", in dem die Zahl 42 die Antwort auf die Frage "nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest" ist. Haben Sie dort oben noch eine andere Antwort gefunden?
(Lächelt) Ich bleibe bei 42.
Info: Samantha Cristoforetti: "Die lange Reise: Tagebuch einer Astronautin" (Penguin Verlag) ist gerade erschienen. 496 Seiten; 24 Seiten.