Hintergrund Martin Kirchberger

Martin Kirchberger

29.05.2018 UPDATE: 29.05.2018 21:30 Uhr 1 Minute, 27 Sekunden

Martin Kirchberger, geboren 1960, stammt aus einer kleinbürgerlichen Familie in der hessischen Arbeiterstadt Rüsselsheim und gehörte dort zu den rebellischen Künstlern der achtziger Jahre, die sich in der Tradition der avantgardistischen Fluxus-Bewegung der sechziger Jahre sahen. Sie selbst nannten sich gelegentlich "Ahoi-Spaßguerilla" und veranstalteten Happenings im nahen Mainz oder Wiesbaden, bei der beispielsweise die Putzlappensammlung von Kirchbergers Mutter - sie tritt auch in Thomas Frickels Dokumentarfilm auf - präsentiert wird. Die skurril wirkenden Aktionen haben oft einen politischen Zug: So fordern beispielsweise acht Salatgurken den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner vor dem Landtag ultimativ zum Gespräch auf. "Er hat es nicht bierernst genommen", sagt Kirchbergers damalige Freundin. Auch bei großen Protestaktionen dieser Zeit findet man den Künstler, der das Hüttendorf an der Startbahn-West mit aufbaut.

Doch Kirchberger hat noch andere Talente: Er ist charismatischer Sänger der Lokalband "Kapitän Rüssel" und zudem Maler: Noch heute gibt es ein lebensechtes Wandgemälde an einem Kulturzentrum, das ihn mit einem Freund zeigt - und wo, wie Frickel berichtet, auch Jahre nach seinem Tod immer eine rote Rose lag.

Seiner wahren Passion, dem Film, widmet sich Kirchberger relativ spät - nachdem er an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main sein Studium aufgenommen hat. Seine Filmgesellschaft "Cinema Concetta" fungiert auch eher als eine Künstlergruppe zusammen mit Kameramann Ralf Malwitz und Drehbuchautor Klaus Stieglitz. Seit 1986 produzieren sie etliche Kurzfilme, die immer etwas sehr Skurriles haben und stets satirischer werden - wie beispielsweise über den alten Einsiedlerbauern Schgaguler, der als einer der wenigen die Kunst des (fiktiven) Gurkenstechens beherrscht: Nur wenn das Gemüse richtig in den Schnee versenkt wird, wird Unheil für die kommende Ernte abgewehrt. "Gurkenanbau ist Sache der Frau, aber stecken muss sie der Mann", erklärt Schgaguler ernsthaft. Fast alle Filme - insgesamt acht mit einer Gesamtlänge von 96 Minuten - floppen, die Filmprüfstelle verweigert das Prädikat als Film. Ausgerechnet für den neunten, "Bunkerlow" erhält Kirchberger 95.000 Mark von der Filmförderung. In "Bunkerlow", 18 Minuten lang, wird eine Verkaufsveranstaltung für Bunker nachgestellt. Ohne das Geld hätte sich Kirchberger nie das Oldtimerflugzeug leisten können, das schließlich abstürzt. Die Statisten, die dabei sterben, hat Kirchberger selbst zum Mitmachen überredet. "Er war keiner, dem man etwas abschlagen konnte", sagt Frickel. "Er war ein Getriebener, ein Überzeugungstäter." (hö)