Fremdenfeindlicher Angriff Wiesloch

Opfer bricht weinend im Zeugenstand zusammen

Frau hat an der Tat bis heute schwer zu tragen und deshalb ihren Job verloren

07.05.2020 UPDATE: 08.05.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 16 Sekunden

Von Alexander Albrecht

Heidelberg/Wiesloch. So vorsichtig und feinfühlig der Vorsitzende Richter Michael Rensch auch nachhakt: Die Zeugenbefragung gerät für eine 35-jährige Nußlocherin zur Tortur. "Die haben mein Leben zerstört", sagt die Frau am Donnerstagnachmittag mit tränenerstickter Stimme. Und meint die Angeklagten.

Die Brüder Johannes, Manuel und Lukas B. sollen stark alkoholisiert gemeinsam mit anderen Teilnehmern eines Junggesellenabschieds am Abend des 8. September die überwiegend türkischstämmigen Gäste eines Wieslocher Eiscafés angegriffen und teilweise verletzt haben. Das Motiv: Fremdenhass. Zwei des Trios sind in der rechtsextremen Szene bekannt. Das Verfahren gegen drei weitere Angeklagte ist abgetrennt worden.

Die Zeugin berichtet, wie sie mit ihrer Familie und Freunden im Außenbereich der Eisdiele saß. Als ihr Gatte "Ausländer raus"- und "Deutschland den Deutschen"-Rufe hörte, forderte er sie auf, sich mit den Kindern im Lokal vor einer möglichen Attacke zu schützen. Dann ging es ganz schnell. "Einer hat mit dem Fuß gegen unseren Tisch getreten, sodass alles herunter fiel. Das war wie im Horrorfilm", gibt die 35-Jährige zu Protokoll. Tatenlos und "voller Angst" musste sie mit ansehen, wie ein anderer Angreifer eine Bierflasche auf dem Kopf ihres Schwagers zertrümmerte, ihn mit zwei Männern schlug und trat.

Auf dem Handyvideo eines Anwohners sind ihre minutenlangen, lauten Schreie zu hören. Zur Aufklärung des Falls kann sie indes nur wenig beitragen. "Ich weiß nicht, wer meinem Schwager die Flasche auf den Schädel geschlagen hat, weil ich ihn nur von hinten sah", räumt sie ein.

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Die Tumulte setzen der einst so selbstbewussten und lebensfrohen Frau bis heute schwer zu. Sie ist wegen Angststörungen und Panikattacken in Behandlung, traut sich kaum aus dem Haus und hat schon vor Corona-Zeiten größere Menschenansammlungen gemieden.

Vor vier Monaten hat sie ihre Arbeit in einem Fitnessstudio verloren – wegen ihrer häufigen Krankmeldungen. Für Unverständnis bei vielen Prozessbeobachtern vor dem im Heidelberger Landgericht tagenden Wieslocher Amtsgericht sorgt Opferanwalt Ramazan Akbas. Er befragt die Zeugin so hartnäckig danach, wie genau sie das Geschehen von damals verfolgt, bis die Frau einen Weinkrampf erleidet, fast zusammenbricht und von einer Angehörigen gestützt den Saal verlassen muss. Ein Verfahrensbeteiligter wirft Akbas gegenüber der RNZ "Effekthascherei" vor. Der Anwalt wolle offenbar einen "Schauprozess" veranstalten.

Dabei haben die Schilderungen der 35-Jährigen auch die Angeklagten nicht kalt gelassen, die meist beschämt zur Seite blicken. Es ist Johannes B., der schließlich das Wort ergreift und sich in einer kurzen Stellungnahme bei der Frau entschuldigt. Ihm sei nicht klar gewesen, dass die 35-Jährige so stark unter den Geschehnissen leide. Gemeinsam mit seinen Brüdern sagt er der ebenfalls als Zeugin geladenen Frau des Eiscafé-Betreibers zu, den noch nicht erstatteten Sachschaden in Höhe von rund 500 Euro zu bezahlen und das Geld selbst vorbeizubringen. Die Gastronomen-Gattin und eine andere damalige Besuchern können sich derweil nicht an Nazi-Parolen entsinnen, möglicherweise haben die Portugiesinnen diese wegen Sprachbarrieren nicht als solche verstanden.

Starke Erinnerungslücken weist ein 51-jähriger Geschäftsmann mit Blick auf den Septemberabend 2018 auf. Sprach er damals von einem "langen dünnen Mann", der mit der Bierflasche zugeschlagen habe, erkennt er den mutmaßlichen Täter – laut den Ermittlungen Lukas B. – vor Gericht nicht. Dafür macht er eine "politische" Ansage. "Ich lebe seit 42 Jahren in Deutschland, fast 99 Prozent meiner Kunden und Mitarbeiter sind Deutsche. Wir leben im 21. Jahrhundert, da müssen wir doch aufeinander zugehen", erklärt er eindringlich. Ansonsten habe er "die Sache" abgehakt. Das kann der Mann der 35-Jährigen nicht behaupten. "Meine Frau ist nicht mehr die, die ich geheiratet habe", hadert er. "Deswegen sollen die Angeklagten die schwerste Strafe bekommen, die möglich ist."