Kirchenbesuch

Petronellas Geheimnis

Eintauchen in die Vergangenheit der Evangelischen Kirche Michelbach.

12.06.2025 UPDATE: 12.06.2025 04:00 Uhr 2 Minuten, 8 Sekunden
Nicht umsonst macht der Turm einen wehrhaften Eindruck: Im Mittelalter bot das Gebäude Schutz vor Angreifern. Fotos: Deutsch

Von Diana Deutsch

Jedes alte Gotteshaus birgt ein Geheimnis. Ganz gleich, ob es sich um eine Kathedrale oder eine Kapelle handelt. Und irgendwann, wenn niemand damit rechnet, kommt dieses Geheimnis ans Licht. So wie in Michelbach im Kleinen Odenwald, wo seit 1440 ein bildhübsches, gotisches Landkirchlein steht. Mit schönen Fresken im Chor. In den Siebzigern, als die Menschen zwar noch fromm aber schon anspruchsvoll waren, wurde die Forderung nach einer Kirchenheizung laut. Entschlossen gruben die Bauern den Keller auf – und fanden einen uralten barocken Sarg. Mit Leichnam! Sehr wahrscheinlich handelte es sich um Petronella Christina Sass, laut Kirchenbuch anno 1724 "bei Nacht hier eingesenket". Willkommen im Kleinen Odenwald, wo die Welt noch mystisch ist.

Michelbach, 243 Meter hoch, liegt exakt auf der Grenze zwischen dem fruchtbaren Löss des Kraichgaus und dem Buntsandstein des Odenwalds. Das macht etwas mit den Menschen. Von jeher tat sich das Dorf schwer mit dem Gedeihen. Ja, manchmal drohte es sogar auszusterben. Dabei heißt "michel" auf Mittelhochdeutsch "groß". Vielleicht nennen die Leute deshalb ihr munteres Fließgewässer lieber Forellenbach als Michelbach. Seit einiger Zeit jedoch verändert sich das Dorf. Landwirte im Vollerwerb gibt es keine mehr; die letzte Kuh ist vor fünf Jahren gestorben. Jetzt gedeihen hier vorwiegend Einfamilienhäuser. Sehr zur Freude des Kirchleins. Endlich lachen und singen wieder Kinder in seinem verwunschenen Pfarrgarten, durch den besagter Michelbach plätschert. Im Sommer wird auch im Freien getauft.

Zisterzienser-Mönche sollen die gotische Kirche erbaut haben. Mit ihrem breiten, trutzigen Turm, in dem es sogar Schießscharten gibt, und den winzigen Fenstern im Chor ähnelt sie einer Wehrkirche. Auch der Kirchhof soll früher von einer übermannshohen Feldstein-Mauer umgeben gewesen sein. Wahrscheinlich war das Kirchlein ursprünglich auch als Zufluchtsort bei Angriffen konzipiert worden. Das gab es auf dem Land oft, die Zeiten waren rau. Der Kirchhof soll ebenfalls von einer übermannshohen Feldstein-Mauer umgeben gewesen sein. In dem trutzigen Turm wurden archaische Zeichen entdeckt wie Totenköpfe, durch die sich Nattern schlängeln. Deuten konnte diese Runen bislang noch niemand.

Der Gottesmutter Maria war das Kirchlein ursprünglich geweiht – weshalb die Fresken im Chor auch Szenen aus dem Marienleben darstellen. Die Reformation übertünchte die Gemälde jedoch rigoros. Erst 1964 hat man sie wiederentdeckt und restauriert. So gut es ging.

1528 wurde Michelbach evangelisch. Der Pfarrer kam anfangs noch über die Felder von Helmstadt. Später residierte er im schönen, stattlichen Pfarrhaus neben der Kirche. Im Dreißigjährigen Krieg verlor diese dann ihr Langhaus. 1783 bauten es die Bauern neu, im barocken Stil.

Einfach war das Leben hier oben im Kleinen Odenwald nie. Das bestätigt der Blick in die alten Kirchenbücher, die noch existieren. In der Rubrik "Taufen" beispielsweise gibt es eine Extra-Spalte für "Bemerkungen". Hinter vielen Namen steht "unehelich", versehen mit einem dicken Ausrufezeichen. In Rot. Auf Toleranz hoffte man hier offenbar vergebens. Ob unsere arme verscharrte Petronella das auch zu spüren bekommen hat?

1974 wurde Michelbach nach Aglasterhausen eingemeindet. Es darf sich heute "Staatlich anerkannter Erholungsort" nennen. Mit Anglersee, Grillplatz und Wohnmobilpark. Unangefochtene Herrin über das Dorf ist jedoch die alte evangelische Kirche geblieben. Und das wird sich wohl auch nie ändern. Denn wer außer ihr bringt es fertig, jede Viertelstunde zu läuten?


Ev. Kirche Michelbach

Adresse: Bürgermeister-Wagner-Straße 5, 74858 Aglasterhausen

Konfession: evangelisch

Baujahr: um 1440

Baustil: Gotik

Kunstschätze: romanische Fresken im Chor um 1440 (restauriert 1964), Sakramentsnische von 1481, mittelalterliches Taufbecken

Öffnungszeiten: nach Vereinbarung

Kontakt: Pfarramt der Evangelischen Kirchengemeinden Michelbach und Unterschwarzach, Bürgermeister-Wagner-Str. 5, 74858 Aglasterhausen

Telefon: (06262) 6306

E-Mail: michelbach@kbz.ekiba.de

Internet: www.ekimi.de