Liebesgrüße aus Kasan

Die Welt freut’s

Rausgekickt von Südkorea

27.06.2018 UPDATE: 28.06.2018 06:00 Uhr 1 Minute, 20 Sekunden
Torwart Manuel Neuer (r) aus Deutschland und seine Teamkollegen (l-r) Jonas Hector, Mario Gomez und Thomas Müller gehen nach der Niederlage über den Platz. Foto: dpa

Von Hartmut Scherzer

Die schwärzesten neunzig Minuten der deutschen Nationalmannschaft in der Nachkriegszeit habe ich nicht "live" im Stadion erlebt. Das ist aber auch der einzige, schwache Trost. So viel journalistische Gefühlsanteilnahme darf sein, ja muss in meinem Fall sogar sein. Wie optimistisch war ich doch zu meiner 15. Weltmeisterschaft angereist. Zu meinem 80. Geburtstag hatte mir Joachim Löw ein von allen Spielern signiertes Trikot mit der Rückennummer "Scherzer 80" geschenkt. Nun das: Rausgekickt von Südkorea.

Bei der Planung und Ticketbestellung im Februar war es für mich so klar wie Kloßbrühe gewesen: Gegen Südkorea wird der Weltmeister nach Siegen gegen Mexiko und Schweden durch sein. Also warum noch nach Kasan fliegen, wenn Moskau, mein russisches "Zuhause" während der WM, am selben Abend Brasilien als Attraktion bietet? Keinen Flug gebucht, kein Medien-Ticket bestellt.

Aber wie heißt es doch so spöttisch? Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Also sitze ich nach einer fast einstündigen Metro-Fahrt quer durch die riesige Stadt in den äußeren Nordwesten früh genug im "Media Centre" des Spartak Stadions, um das zweite "Gruppen-Endspiel" der deutschen Mannschaft auf einem der zwanzig Flachbildschirme zu sehen. Simultan mit einem Seitenblick zu Mexiko gegen Schweden auf einem anderen Monitor.

Schon für die Vorgeschichte musste ich nicht vor Ort sein. Die eigenen Gedanken und Ansichten ließen sich durch die Überlegungen und Ansagen Joachim Löws problemlos ergänzen. Nur Leon Goretzka für Thomas Müller hatte ich nicht auf der Agenda. Die Pressekonferenz in der Kasana-Arena wurde "live" auf dem Media Channel der Fifa übertragen.

Die digitale Information des "Fifa Media Office" ist absolut perfekt, wenn man ein Konto hat, seit 2009 mit unveränderter "User ID" und "Password". Der Medien-Saal ist schon vier Stunden vor dem Anstoß von Brasilien-Serbien überfüllt. Kein Torschrei bis zur Pause. Die zweite Halbzeit bietet Hitchcock pur. Bei den Toren der Schweden noch verhaltener Jubel. Bei den Treffern der Südkoreaner in der Nachspielzeit bricht dann frenetischer Jubel aus. Ein brüllendes Hohngelächter begleitet Sons Solo zum leeren deutschen Tor. Die Welt freut sich diebisch. Der deutsche Weltmeister ist raus. Ich aber bleibe bis zum Finale. Auch ohne Jogi Löw.