Ideen müssen schnell umsetzbar sein
Schwerpunkt liegt deshalb auf Tarifsenkungen im öffentlichen Nahverkehr

Hoffen auf deutlich mehr Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs: (von links) Mannheims Erster Bürgermeister Christian Specht, Ludwigshafens Beigeordneter Klaus Dillinger, VRN-Geschäftsführer Volkhard Malik und RNV-Geschäftsführer Christian Volz. Foto: Gerold
Von Olivia Kaiser
Mannheim. Bus- und Stadtbahnfahren in Mannheim wird ab 2019 günstiger - das ist der Kern des Konzepts, das Mannheim als eine von fünf Modellstädten am Dienstag in Berlin vorgestellt hat, vor. Die Hoffnung ist, dass sich dann mehr Menschen entscheiden, ihr Auto in der Garage stehen zu lassen, um öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Gleichzeitig wird das Angebot des Nahverkehrs ausgeweitet. So will man der immer stärker werdenden Luftverschmutzung entgegenwirken.
Warum wurde Mannheim ausgewählt? "Ausgewählt wurden Städte, die in Größenordnung und Verkehrsstruktur einen gewissen Grad an Repräsentativität haben, so dass bestimmte Vorhaben relativ leicht in anderen Kommunen angewendet werden können", erklärte Mannheims Erster Bürgermeister Christian Sprecht. Deshalb hätte beispielsweise Berlin als einzige Drei-Millionen-Einwohner-Stadt in Deutschland wenig Sinn gemacht. Zudem hätte man mit einem großen Verkehrsverbund, der drei Bundesländer umfasst, und gewissen Projekten wie dem Stadtbahnausbau oder der E-Busline 63 einen gewissen Ruf in Sachen öffentlicher Nahverkehr (ÖPNV). Weitere Modellstädte sind Essen, Bonn, Reutlingen und Herrenberg.
Was sind die Hintergründe für das Modellstadt-Projekt? Derzeit überschreiten 90 deutsche Städte den von der EU festgelegten Jahresmittelwert an Stickoxid von 40 Gramm pro Kubikmeter. In Mannheim und Ludwigshafen beispielsweise beläuft er sich auf 46 Gramm pro Kubikmeter - in Heidelberg auf 42. Deshalb droht Deutschland von Seiten der EU ein Vertragsverletzungsverfahren. Die Bundesrepublik sucht deshalb nach Möglichkeiten, den Wert so schnell wie möglich zu senken. Denn wird er nicht gesenkt, drohen im schlimmsten Fall Fahrverbote. Zu diesem Zweck haben Umwelt- und Verkehrsministerium im Februar fünf Modellstädte ausgewählt, die in einem Versuchszeitraum von zwei Jahren (2019 bis 2020) verschiedene Ideen entwickeln und diese testen sollen. Eine Prämisse ist, dass die Ideen schnell umsetzbar sind, deshalb scheiden lang- und mittelfristige Projekte aus.
Die Stadt Mannheim hat im März ein Konzept eingereicht. Daraus hat der Bund die Vorhaben ausgewählt, die jetzt realisiert werden. "Schnelle Resultate gibt es bei Ticketpreisänderungen im ÖPNV", erklärte Christian Specht, deshalb habe man sich darauf konzentriert. Man dürfe das Modellstadt-Projekt übrigens nicht mit anderen Umwelt-Projekten wie "Green City" oder "Saubere Luft" verwechseln, an denen Mannheim ebenfalls beteiligt ist, und in deren Zug längerfristige Maßnahmen in Sachen Verkehrswende wie etwa die Lastenseilbahn über den Rhein diskutiert würden.
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Welche Tickets werden billiger? Weil Mannheims sich mit Ludwigshafen eine Großwabe teilt, ist die Stadt auf der anderen Rheinseite mit im Boot, beispielsweise beim Konzept des GreenCity Tickets: Einzelfahrscheine kosten dann statt 2,60 nur noch 1,80 Euro, eine Mehrfahrkarte statt 2,50 lediglich 1,72 Euro. Die Preissenkung wirkt sich auch auf ermäßigte Tickets aus. "Wir gehen davon aus, dass uns diese Vergünstigung 587.000 zusätzliche Fahrten bringt", erklärte Volkhard Malik, Geschäftsführer des Zweckverbands Verkehrsbetriebe Rhein-Neckar (VRN). Wer eine Zeitkarte für beide Städte besitzt, befindet sich damit in der Preisstufe 3, sie soll auf 2 gesenkt werden. "Das ist eine Senkung von 34 Prozent", betonte Malik.
Wer mit seinem Smartphone den E-Tarif nutzt, muss künftig nur noch 80 Cent anstatt 1,20 Euro als Grundpreis zahlen - man kann Mitfahrer mitnehmen und über "Prepay" zahlen. Außerdem soll es ein 20-Euro-Guthaben für Neukunden geben, die ersten 100 Neukunden, die den den E-Tarif besonders oft nutzen, erhalten eine kostenlose Jahreskarte. Derzeit nutzen 25.000 Kunden den E-Tarif.
Nur für in Mannheim ansässige Firmen gilt das neue Angebot für das Jobticket. Der monatliche Grundbetrag pro Mitarbeiter entfällt, bei Abschluss eines Neuvertrags. "Aber wir geben allen Firmen, die bereits das Jobticket nutzen die Möglichkeit, einen neuen Vertrag abzuschließen", erklärte Christian Volz, Geschäftsführer der Rhein-Neckar Verkehrsbetriebe GmbH (RNV). Er taxiert den Verdienstausfall auf knapp elf Millionen Euro. Momentan nutzen 40.000 Mitarbeiter von Mannheimer Unternehmen ein Jobticket. Volz und Specht rechnen mit 2900 neuen Jobticket-Nutzern.
Fahren dann Busse und Bahnen öfter? Es gibt keine generelle Verdichtung des Fahrplans, allerdings soll gerade für Arbeitnehmer, die in die Randbezirke fahren müssen, das Angebot verbessert werden. Ein Beispiel ist die Buslinie 50, die von Neckarau nach Neuostheim fährt und dabei einige Gewerbegebiete passiert. Auf der Line sollen zusätzliche Busse fahren. Auch die Line 60 durch die Oststadt soll öfter verkehren. Mittelfristig wird das Glücksteinquartier in der Nähe des Hauptbahnhofs an die Stadtbahntrasse angeschlossen. Bis es allerdings soweit ist, soll eine neue Buslinie mit der Nummer 65 das Viertel erschließen. Zudem sollen 18 neue Hybridbusse mit Euronorm 6 angeschafft werden.
Ab wann gilt das? Christian Sprecht hofft, dass die neuen Preise spätestens am 1. Januar 2019 gelten. Auch die Änderungen in den Buslinien sollen bis dahin in Kraft treten. "Die Hybridbusse sind dann wahrscheinlich noch nicht geliefert, aber wir fahren dann mit anderen Bussen auf den Strecken."
Was ist das Last-Mile-Konzept? "Die Innenstadt erstickt am Lieferverkehr", erklärte Specht. Gleichzeitig sei dieser Lieferverkehr aber für die ansässigen Geschäfte notwendig, um zu überleben - vor allem im Hinblick auf den boomenden Onlinehandel - der auch für eine Zunahme des Lieferverkehrs führt. Um die Mannheimer Innenstadt diesbezüglich zu entlasten, ist die Einrichtung eines sogenannten Micro-Hubs vor den Toren der City geplant. Hier können Paketdienstleister ihre Fahrzeuge stehen lassen und den Rest des Wegs mit Lastenfahrrädern zurücklegen - zumindest wenn die auszuliefernden Pakete leichter sind als 40 Kilogramm. Die Kosten dafür schätzt man bei der Stadtverwaltung zwischen 400.000 und einer Million Euro. "Wir wollen diese Idee testen und sehen, ob es langfristig und im größeren Stil realisierbar ist", betonte Sprecht. Es gebe keine genauen Erfahrungswerte. Ein allgemeines Verbot für Transporter in der Innenstadt ist nicht geplant.
Wer bezahlt das alles? Insgesamt haben Bundesverkehrs- und Bundesumweltministerium 130 Millionen Euro für die Umsetzung der Konzepte in den Modellkommunen bereitgestellt. Die einzelnen Vorhaben werden mit 95 Prozent gefördert. Welche Kommune wie viel Geld bekommt, ist noch nicht sicher und hängt von den Förderbescheiden ab, die jetzt gestellt werden. Für Mannheim könnte es schätzungsweise 28 Millionen Euro geben. Die geschätzten Mindereinnahmen bei den ÖPNV-Maßnahmen in Mannheim belaufen sich insgesamt auf circa 24,5 Millionen Euro. Sie werden innerhalb der zwei Jahre des Modellprojekts vom Bund beglichen. Hinzu kommen die Kosten für den Micro-Hub. "Die Modellstädte haben den Topf noch nicht ausgeschöpft", so Specht. Wie es nach den zwei Jahren weiter geht, ist unsicher.