"Körperwelten"-Kritiker lassen nicht locker
Verres schreibt einen offenen Brief an Würzner - Germanist: "Heidelberg ist die Hauptstadt des Morbiden"

Prof. Rolf Verres. Foto: Hentschel
Heidelberg. (hö) Zur Eröffnung der "Körperwelten" im Alten Hallenbad meldet sich auch einer der schärfsten Kritiker zu Wort: Prof. Rolf Verres. In einem offenen Brief an Oberbürgermeister Eckart Würzner erneuert der ehemalige Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie der Universität Heidelberg seine Argumentation, die er bereits beim RNZ-Forum vor drei Monaten vorgetragen hat.
Im Anschreiben an Würzner heißt es beispielsweise: "Herr Dr. von Hagens und Frau Dr. Whalley (die Organisatoren der Ausstellung, Anm. d. Red.) benutzen die Körper gestorbener Menschen einerseits zu Zwecken der Aufklärung, andererseits aber auch zur Zerstückelung und zum Zurechtschnitzen in einer Weise, die von vielen Menschen als Infragestellung essenzieller kultureller Werte wie Achtung der Menschenwürde auch über den Tod hinaus empfunden wird. Besonders auch die zu erwartenden aggressiven überregionalen Plakatierungsaktionen mit Leichenfratzen werden das Image Heidelbergs als Wissenschaftsstadt nicht gerade fördern."
Verres verweist auch darauf, dass die "Körperwelten"-Macher nicht auf das Angebot Würzners eingegangen sind, ein kritisches Begleitgremium für die Dauerausstellung einzurichten. Verres fordert den OB auf, bei seinen weiteren Stellungnahmen zu diesem kommerziellen Projekt, auch die Empfindlichkeiten vieler Menschen im Blick zu haben, nicht zuletzt auch die der psychisch kranken Menschen in den Bergheimer Kliniken des Zentrums für Psychosoziale Medizin.
Verres verweist auf einen kritischen Artikel, den der Heidelberger Germanist Prof. Tobias Bulang in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 3. August veröffentlicht hat. Darin beschreibt der Altphilologe die Anatomen des 16. und 17. Jahrhunderts, in deren Tradition sich von Hagens sieht, als Selbstdarsteller und Inszenierer, die damals das breite Publikumsinteresse "der morbiden Schaulust" befriedigten. Insofern sei Gunther von Hagens, wie Bulang schreibt, ein "Schausteller". Er spricht ihm ein nachhaltiges Interesse an Wissensvermittlung ab: Es gehe in der Ausstellung weniger um Glück oder Gesundheit, schon gar nicht um eine Bewusstwerdung des eigenen Körpers - da Krankheit und Leiden nicht vorkommen: "Der Tod erscheint als ewiges Fitnessreich, in dem Sportler, Reiter und Liebespaare ihren Verrichtungen nachgehen. In der fetischistischen Hingabe an diesen Glücks- und Gesundheitskult, der die Sterblichkeit des Menschen noch an der Leiche selbst verkennt, kommt die Schaulust des Publikums letztlich zu sich selbst - nach dem Motto ,Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist’. Gültige Wissensvermittlung sieht, wie viele beeindruckende Ausstellungen auf diesem Feld gezeigt haben, anders aus."
Und noch nicht einmal ein Künstler sei von Hagens, denn in der Kunstszene gab es bisher gar keine Auseinandersetzung mit den Plastinaten. Resignierend, schreibt Bulang, machten die "Körperwelten" zusammen mit dem ebenfalls in der Stadt angesiedelten Medizinthriller "Anatomie" "Heidelberg zur Hauptstadt des Morbiden. Wer braucht das?"



