Baden-Württemberg

Gewalt gegen Prostituierte auf neuem Höchststand

Das Sozialministerium verweist auf die zunehmende Prostitution in Wohnungen und Hotels. Die CDU-Fraktion fordert ein "Sexkaufverbot".

09.05.2024 UPDATE: 09.05.2024 13:00 Uhr 2 Minuten, 19 Sekunden
Symbolfoto: Boris Roessler/dpa

Von Theo Westermann

Stuttgart. Neuer Höchststand der Gewalt, ein steigender Einfluss der organisierten Kriminalität und eine veränderte Szene: Mit Sorge beobachten Polizei, Politik und Sozialministerium die ansteigende Gewalt gegen Prostituierte.  2023 wurden in Baden-Württemberg 194 Gewaltstraftaten registriert, bei denen mindestens ein Opfer Prostituierte war. In den vergangenen drei Jahren wurde keine Gewalttat gegen sogenannte "Strichjungen" registriert. Die Anzahl der Straftaten stieg im Vergleich zum Vorjahr (155 Fälle) um 25,2 Prozent an und erreichte einen neuen Höchststand, heißt es in einem Bericht des Sozialministeriums, der unserer Redaktion vorliegt. Die CDU-Fraktion hatte in dieser Sache nachgefragt und fordert nun einen "wirksamen Schutz von Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution", ein "Sexkaufverbot" sei unumgänglich, hieß es. Der Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel sagte: "Unser Land ist ein Hotspot der Prostitution in Europa."  Es sei unerträglich, dass Frauen mitten in Deutschland missbraucht und ausgebeutet werden.

Die meisten registrierten Straftaten sind demnach Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit (156 Fälle). Bei mehr als einem Viertel der Taten (27,8 Prozent) handelt es sich um ein Körperverletzungsdelikt. Die meisten dieser Fälle ereigneten sich laut Bericht in Stuttgart (63), gefolgt von Heilbronn (26) und Karlsruhe (14). Die Zahlen kommen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik.  Personen können mehrfach Opfer von Gewalttaten werden. Dann sind sie mehrfach erfasst. Die in der Statistik gesondert erfassten Delikte Menschenhandel und Zwangsprostitution bewegen sich jeweils auf einstelligem bis niedrigem zweistelligem Niveau.

Das Fundament dieser Entwicklung sehen Polizei und Ministerium bereits in der Corona-Zeit angelegt.  2020 bis 2023 wurde der legale Prostitutionsbetrieb erheblich eingeschränkt. In der Folge stellten die Behörden im Internet eine deutliche Zunahme der Werbung für sexuelle Dienstleistungen fest, auch verstärkt Angebote von "Haus- und Hotelbesuchen". Prostituierte nutzten zunehmend illegal Privat- und Ferienwohnungen. "Dieser Trend setzt sich auch nach Beendigung der pandemiebedingten Einschränkungen nahezu unverändert fort", heißt es in dem Bericht.

Durch die zunehmende Wohnungs-, Straßen- und Hotelprostitution und die Anbahnungen über das Internet habe sich die Gefahr und Unsicherheit für Menschen in der Prostitution erhöht, schlussfolgert das Sozialministerium.  Jene arbeiteten häufig allein und könnten in Gefahr nicht auf Unterstützung oder Schutz von Dritten zurückgreifen.

Laut den aktuellsten Daten des Statistischen Bundesamtes für 2022 waren bei den Behörden in Baden-Württemberg 3.448 Prostituierte nach dem seit Juli 2017 geltenden Prostituiertenschutzgesetz angemeldet. 2002 hatte die damalige rotgrüne Bundesregierung die Prostitution im Wesentlichen legalisiert.  Ende 2022 hatten in Baden-Württemberg 256 Prostitutionsgewerbe eine Erlaubnis. Bei all diesen offiziellen Zahlen handele es sich aber nur um das "Hellfeld", so das Sozialministerium. In Deutschland sind rund 28.800 Prostituierte offiziell registriert, Beobachter der Szene gehen aber von bis zu 250.000 Prostituierten aus.

Aufgrund dieser Zahlen fordert die CDU-Landtagsabgeordnete Isabell Huber Konsequenzen: "Der Versuch, mit dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 die Prostitution in Deutschland zu legalisieren und damit die Situation für Betroffene zu verbessern, ist gescheitert."  Die Stellungnahme der Landesregierung zeige, dass die Corona-Pandemie zu einer erheblichen Verschlechterung geführt habe. Huber weiter: "Die Verflechtung der Organisierten Kriminalität mit dem Prostitutionsmilieu zeigt, dass die Vorstellung einer freiwilligen und sauberen Prostitution vielfach ein Märchen ist."  Ein Sexkaufverbot sei daher unumgänglich. Dabei sollten Freier, die die Lage der Mädchen und Frauen ausnutzen, bestraft werden – und nicht die betroffenen Frauen. Sie sprach sich für eine "kluge Umsetzung" des "Nordischen Modells" aus, damit Beratungs- und Unterstützungsangebote weiterhin erfolgreich sein könnten. Nach dem zunächst in Schweden, aber inzwischen auch in anderen Ländern praktizierten "Nordischen Modell", macht sich der Kunde einer Prostituierten strafbar, sie selbst aber nicht.  Außerdem gibt es Angebote zum Ausstieg aus der Prostitution.

Zum "Nordischen Modell" und einer möglichen Anwendung wollte sich Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) in seiner Antwort auf die CDU-Anfrage nicht äußern.  Eine Bewertung der Wirksamkeit des Prostituiertenschutzgesetzes und Schlussfolgerungen daraus sei erst nach Abschluss der Evaluation im Juli 2025 möglich, so der Minister.

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