Atü auf dem Kessel: Hoffenheims emotionaler Sieg gegen Mainz

Julian Nagelsmann ist beim 4:0 seiner Hoffenheimer gegen den FSV Mainz 05 für fast alles in der Arena zu haben.

05.02.2017 UPDATE: 06.02.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden

Mit wilder Entschlossenheit: "Hoffes" Deutsch-Italiener Marco Terrazzino (3.v.l.) staubt zum 2:0 ab. Die Mainzer Jonas Lössl und Fabian Frei können nichts mehr machen. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Sinsheim. Julian Nagelsmann kennt man als besonnenen Typen. Doch am Samstag bekamen seine Jungs, die anwesenden Zuschauer und die diversen Chronisten der Medienzunft eine präzise Vorstellung davon, welche Energie in diesem kernigen Burschen steckt, der nicht genug kriegen kann vom Erfolg und sich daran auch zu berauschen vermag. Nach dem deutlichen 4:0 (1:0) der TSG 1899 Hoffenheim gegen den FSV Mainz 05 war Nagelsmann in Plauderlaune. "Wenn wir diese Gier haben und nicht satt werden, dann können wir uns über weitere Siege freuen", strahlte der TSG-Cheftrainer über die prompte Kurskorrektur nach der ersten Saisonniederlage bei RB Leipzig, "für uns alle war es sehr wertvoll zu sehen, wie das Team auf diesen Miniatur-Rückschlag reagiert - und die Reaktion war nicht so schlecht."

Hintergrund

Einzelkritik

Baumann: Aufmerksam gegen Muto und de Blasis. Viel Risiko gegen Cordoba, einige verunglückte Abschläge.

Süle: Heiße Duelle mit Cordoba. Zuverlässiger TSG-Riese.

Vogt: Zurück im Team. Unersetzbar als Stabilisator und

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Einzelkritik

Baumann: Aufmerksam gegen Muto und de Blasis. Viel Risiko gegen Cordoba, einige verunglückte Abschläge.

Süle: Heiße Duelle mit Cordoba. Zuverlässiger TSG-Riese.

Vogt: Zurück im Team. Unersetzbar als Stabilisator und Organisator.

Hübner: Der Wiesbadener Bub im Derby-Fieber. Resolute Grätschen. "Hoffes" Bester im Defensivverbund.

Kaderabek: Laufmaschine. Diesmal mehr Fehlpässe als gewohnt.

Rudy: Genialer Pass auf Uth zum 1:0. Zweikampfstark. Baute freilich ab.

Zuber: Arbeitsbiene. Schont weder sich noch die Gegenspieler.

Amiri: Viele lange Läufe, viele Sprints. Präziser Flankengeber zum 4:0.

Demirbay: Kann mehr, manchmal zu verspielt. Wichtig: Sein Freistoß an die Latte, den Terrazzino verwertete.

Uth: Gut, dieser Uth! Erst recht gegen Lieblingsgegner Mainz - fünf Tore in den letzten drei Duellen.

Kramaric: Glücklos. Ihm fehlte es an Zielstrebigkeit und Effizienz.

Szalai: Änderte die Charakteristik des Spiels. Zwei Joker-Tore gegen seinen alten Arbeitgeber. Daumen hoch.

Terrazzino: Brachte Elan rein. Glänzte als Torschütze und Assistgeber. Sein Lohn für eine entbehrungsreiche Zeit.

Bicakcic: Kam für Hübner (83.) und durfte noch zweimal mitjubeln. jog

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Für die Hoffenheimer Führungscrew sollte es ein emotionaler Nachmittag werden. Nagelsmann stieg sogar auf den Zaun, denn 80 Mitglieder seines oberbayerischen Heimatvereins FC Issing hatten einen Ausflug in die Sinsheimer Arena gemacht. Selfies hier, Abklatschen, Umarmungen und warme Worte dort - die Nagelsmann-Fangemeinde habe "schon genügend Atü auf dem Kessel gehabt", so dass eine Einladung der Pilgerschar nicht zwingend gewesen sei.

Ordentlich Dampf hatten auch Nagelsmann und seine Schützlinge gemacht, insbesondere in der Schlussphase. Lange Zeit schien der frühe, wunderbare Führungstreffer von Mark Uth (5.) die einzig nennenswerte Szene zu bleiben, doch mit dem 2:0 (81.) von Marco Terrazzino und dem 3:0 von Adam Szalai (86.) brachen gewissermaßen alle Dämme. Die Orgie an der Eckfahne, zu der sich Nagelsmann im zackigen Sprint als Erster gesellte, und die Jubel-Pyramide im Kasten der Mainzer, getoppt von Torhüter Oliver Baumann, entpuppten sich als Bilder des Tages. Als Zugabe gelang dem ehemaligen Bruchweg-Boy Szalai per Kopf (90.+1) der Endstand von 4:0, so dass Gästetrainer Martin Schmidt "eine bittere Klatsche" eingestehen musste. "Die letzten zehn Minuten waren zu viel für uns", stellte der faire Schweizer knochentrocken fest, "jetzt wissen hoffentlich alle, welche Stunde geschlagen hat."

Das Spiel war nicht so eindeutig, wie es das Resultat am Ende ausdrückte. Über 70, 80 Minuten traten die fleißigen "Mainzelmännchen" fast ebenbürtig auf. Wenn der urplötzlich frei vor Baumann auftauchende Argentinier Pablo de Blasis (73.) genauer zielt, dann hätte die kämpferische, zwischendurch zähe Partie durchaus eine andere Wendung nehmen können. So aber bewies Nagelsmann erneut sein goldenes Händchen. Witzbolde unkten, der TSG-Trainer könne den Greenkeeper oder Zeugwart einwechseln - und auch diese würden für Hoffenheim treffen.

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Vielleicht liegt die Einstellung des Klubrekords von zehn ungeschlagenen Heimspielen - wie 2008/09 oder 2011/12 - an anderen Faktoren. Zum Beispiel an der Ansprache, mit der Nagelsmann seine Profis zu motivieren versteht. Launig berichtete der 29-Jährige von "VHS-Fortbildungsabenden", die er den Spielern seit Jahresbeginn anbieten würde. "Die sind freiwillig - noch kommen relativ viele", sagte er. Auch mit dem bis dato kaum berücksichtigten Mannheimer Marco Terrazzino (zweiter Einsatz am Samstag) hatte Nagelsmann ein langes Gespräch in der Winterpause geführt.

"In unserer Truppe steckt ein guter Geist", so Nagelsmann. Als die Samstags-Joker Terrazzino und Szalai nach Interview-Verpflichtungen die Kabine betraten, sei das Team aufgestanden und habe ihnen zwei Minuten lang applaudiert.

Während vieles unverändert auf die erste Europacup-Teilnahme des Kraichgauklubs spricht, nervt die Verantwortlichen zusehends die Resonanz. Offiziell 26.078 Besucher gab "Hoffe" gegen Mainz bekannt, tatsächlich aber war die 30.150 Zuschauer fassende Rhein-Neckar-Arena zu gut zwei Dritteln gefüllt. "Mir stinkt, dass es zu viele freie Plätze gibt", moserte Manager Alexander Rosen in den Katakomben, "das hat die Mannschaft mit ihren Leistungen nicht verdient." Nagelsmann schlug in eine ähnliche Kerbe, drückte es indes eine Spur diplomatischer aus: "Da haben wir noch Luft nach oben."

Wie dem auch sei: Vor Terrazzinos erlösendem 2:0 betätigte sich der TSG-Fußballlehrer in Sandro-Wagner-Manier als Einpeitscher, diesmal vor dem Haupttribünen-Publikum. Es hätte "partiell geklappt, manchmal muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen", so Nagelsmann augenzwinkernd.

Vor der Fan- oder Bierkurve bedarf es weniger Animation. Die TSG-Getreuen hatten sich bereits zum Anpfiff eine originelle Choreografie einfallen lassen - mit einer stilisierten Burg und blau-weißen Wappenschildern. "Festung verteidigen", stand auf dem Mauerwerk. Hoffenheims moderne Bundesliga-Ritter erfüllten die Mission - die Beute an Toren und Punkten stimmte wiederholt.

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